Es rechnet sich ökonomisch, wenn die EU ihr Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 konsequent verfolgt und erreicht. Denn die dabei entstehenden Kosten sind niedriger als die wirtschaftlichen Schäden, die anderenfalls durch einen verschärften Klimawandel entstehen würden. Dabei sollte neben der CO2-Bepreisung auch ein zusätzlicher Investitionsfonds auf EU-Ebene eingesetzt werden, da dieser die notwendige Transformation gesamtwirtschaftlich effizienter macht – trotz der zusätzlichen Kredite, die zur Finanzierung nötig wären. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. In der Studie werden die wirtschaftlichen Wirkungen einer Kombination aus konsequenter CO2-Bepreisung und einer mit einem solchen Fonds finanzierten Investitionsoffensive auf EU-Ebene mit dem aktuellen klimapolitischen Status quo verglichen.
Wirtschaftliche Effekte der europäischen Klimaneutralität bis 2050
Die Studie arbeitet dabei mit verschiedenen Szenarien. In einem positiven Szenario, in dem weltweit eine ähnlich ambitionierte Klimapolitik wie in der EU verfolgt wird, würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Euroraums laut Studie bei konservativer Abschätzung vermiedener Schäden bereits im Zeitraum von 2036 bis 2040 um ein Prozent höher ausfallen. Voraussetzung ist, dass komplementär zur CO2-Bepreisung zwischen 2027 und 2034 EU-weit jährlich 170 Milliarden Euro vor allem in ein nicht-fossiles Energiesystem und eine klimafreundliche Produktion investiert werden. Dieser Gewinn an Wirtschaftskraft würde die Verluste ausgleichen, die im Zeitraum von 2025 bis 2035 durch die Aufwendungen für CO2-Neutralität bis 2050 entstehen. Zwischen 2041 und 2045 läge der Vorsprung beim BIP bei knapp drei Prozent und zwischen 2046 und 2051 bei knapp fünf Prozent.
In einem zweiten Szenario, in dem andere Länder eine deutlich weniger ambitionierte Klimapolitik verfolgen als die EU, wäre die Entwicklung der Wirtschaftsleistung im Euroraum spürbar schwächer. Auch in diesem Szenario würde sich ein EU-Investitionsfonds aber positiv auswirken. Denn er würde wesentlich dazu beitragen, dass es sich auch in diesem Szenario über die kommenden 25 Jahre trotz höherer Einbußen in der ersten Zeit mit Blick auf die Wirtschaftskraft rechnet, wenn die EU bis 2050 die CO2-Emissionen auf Null reduziert.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass durch die CO2-Besteuerung zunächst negative Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowie inflationäre Effekte entstehen. Berücksichtigt man jedoch den Klimawandel und die damit verbundenen langfristigen Schäden für das Wirtschaftswachstum, zeigt sich, dass Untätigkeit weitaus schwerwiegendere Folgen in der Zukunft haben wird“, schreiben die Studienautoren PD Dr. Sebastian Watzka, Dr. Christoph Paetz und Yannick Rinne. Ein EU-weiter Investitionsfonds würde die Dekarbonisierung der europäischen Volkswirtschaften beschleunigen und gleichzeitig die vorübergehend negativen wirtschaftlichen Auswirkungen abfedern.
In ihren Berechnungen mit dem international anerkannten makroökonomischen Modell NiGEM gehen die Wissenschaftler davon aus, dass zusätzlich zur CO2-Bepreisung zwischen 2027 und 2034 jährlich rund ein Prozent des EU-weiten BIP – das entspricht etwa 170 Milliarden Euro – in einen europäischen Investitionsfonds fließen. Je nachdem, wie konsequent die Dekarbonisierung vorangetrieben wird, entstehen durch den Klimawandel mehr oder weniger zusätzliche Kosten, beispielsweise durch den Verlust fruchtbarer Böden, einen steigenden Meeresspiegel oder mehr Extremwetterereignisse. Um diese Schäden – und den wirtschaftlichen Wert ihrer Vermeidung – zu quantifizieren, stützen sich die Forscher unter anderem auf Daten des „Network for Greening the Financial System“ (NGFS) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Diese haben bereits entsprechende Berechnungen durchgeführt.
Investitionsfonds kann Übergangskosten zur Klimaneutralität abfedern
An der globalen Zusammenarbeit hängt viel, aber die Höhe der Übergangskosten lässt sich auch auf europäischer Ebene erheblich beeinflussen. Die deutlichen Unterschiede, die sich in den beiden Szenarien zeigen, unterstreichen laut den Forschern des IMK die Bedeutung der globalen Zusammenarbeit für eine wirksamere Eindämmung des Temperaturanstiegs. Wichtig sei jedoch auch das Ergebnis, dass sich die Übergangskosten in beiden Szenarien durch die Einrichtung eines EU-Investitionsfonds erheblich senken ließen. Das gesamtwirtschaftliche Verhältnis von Aufwand und Ertrag einer ambitionierten Klimapolitik in Europa lässt sich also zu einem wichtigen Teil auf europäischer Ebene beeinflussen.
Über den EU-Investitionsfonds ließen sich öffentliche Investitionen effizienter finanzieren als über die einzelnen Mitgliedstaaten, die nur über einen begrenzten nationalen finanzpolitischen Spielraum verfügen. Als Vorbilder könnten bereits existierende EU-Programme wie die Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF), die maßgeblich zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise beigetragen hat, sowie der europäische Aufbauplan NextGenerationEU dienen.
Laut den Wissenschaftlern ist die Ausweitung dieser Modelle auf die sozial-ökologische Transformation wirtschaftlich sinnvoll und notwendig, um weitaus kostspieligere Zukunftsszenarien zu vermeiden. Durch gezielte grüne Investitionen sinken die CO2-Preise für Haushalte und Unternehmen. Der Fonds federt damit nicht nur kurzfristige BIP-Verluste ab, sondern steigert auch das langfristige Wachstumspotenzial Europas.
Die häufig vorgetragene Kritik, kreditfinanzierte Investitionen seien nicht tragfähig, stützt sich nach Ansicht der IMK-Forscher auf Analysen, die klimabedingte Schäden und Übergangskosten ignorieren. Dadurch würden falsche Schlüsse gezogen und sowohl der verfügbare finanzpolitische Spielraum als auch die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum falsch eingeschätzt. „Die Entscheidungsträger müssen erkennen, dass Nicht-Handeln im Klimabereich keine haushaltsneutrale Option ist – es führt zu höherer Verschuldung und geringerem Wachstum“, schreiben Paetz, Rinne und Watzka.