Warum unsichtbare Antriebstechnik das neue Klimathema ist „Effizienz beginnt im Kopf – nicht im Motor“

Michael Pfeffer, Leiter des Geschäftsbereichs Motion bei ABB Deutschland: „Lassen Sie sich nicht von der Komplexität abschrecken – der erste Schritt zur Dekarbonisierung ist oft einfacher als gedacht.“

Bild: ABB
27.10.2025

Die Industrie steht vor erheblichen Herausforderungen: Klimaziele, steigende Energiekosten und der gesellschaftliche Druck erfordern neue Ansätze für energieeffiziente Prozesse. Michael Pfeffer, Leiter des Geschäftsbereichs Motion bei ABB Deutschland, erklärt im Gespräch mit A&D, wie man mit Technologieoffenheit, Partnerschaften und Beratungskompetenz konkrete Dekarbonisierungsmaßnahmen umsetzen kann – von hocheffizienten IE6-Motoren bis hin zu elektrischen Heizsystemen. Dabei wird deutlich: Energieeffizienz beschränkt sich nicht nur auf Produkte, sondern braucht ein ganzheitliches Systemverständnis. ABB sieht sich nicht nur als Lieferant von Komponenten, sondern als aktiver Gestalter des Wandels hin zu einer kohlenstoffarmen Industrie.

ABB treibt die Energieeffizienz und Dekarbonisierung der Industrie mit ihren Lösungen stark voran. Was treibt Sie persönlich an, diesen Weg aktiv zu gestalten?

Für mich ist Dekarbonisierung weit mehr als eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Es ist eine Verpflichtung – gegenüber der Umwelt, der Gesellschaft und den kommenden Generationen. Ich bin davon überzeugt, dass man glaubwürdig nur das vertreten kann, was man auch selbst lebt. Deshalb ist Nachhaltigkeit bei mir kein Lippenbekenntnis. Ich fahre privat ein Elektroauto, plane gerade eine Photovoltaikanlage auf dem Hausdach und versuche, auch im Alltag ressourcenschonend zu handeln. Diese Haltung trage ich bewusst auch in meinen beruflichen Alltag. Bei ABB ist mein Ziel, diese Werte in technische und strategische Konzepte zu übersetzen. Ich sehe mich als Brückenbauer zwischen Technologieentwicklung und gesellschaftlichem Fortschritt. Die zentrale Frage ist für mich immer: Wie können wir mit intelligenter Antriebstechnik die Transformation der Industrie aktiv gestalten und gleichzeitig für unsere Kunden wirtschaftliche Vorteile schaffen? Diese Kombination aus Ökologie, Technik und Wirtschaftlichkeit motiviert mich jeden Tag aufs Neue.

ABB spricht von einem deutlichen Einsparpotenzial im Bereich industrieller Antriebe. Was steckt konkret dahinter?

Die Zahlen sprechen für sich: Weltweit sind aktuell rund 300 Millionen Elektromotoren im Einsatz – ein Großteil davon in industriellen Anwendungen. Diese Motoren wandeln 45 Prozent des globalen Stromverbrauchs in Bewegung um. Das ist ein riesiger Hebel. Wenn man sich vorstellt, dass sich die Anzahl der Motoren laut aktuellen Prognosen bis 2040 verdoppeln wird, wird klar: Effizienzsteigerung in diesem Bereich ist nicht optional, sondern essenziell. Durch den Einsatz von energieeffizienten Antriebslösungen – das heißt, durch den Austausch veralteter Motoren und die Integration von Frequenzumrichtern – können Unternehmen ihren Energieverbrauch deutlich senken. Allein durch den Einsatz von Frequenzumrichtern reduziert sich der Energieverbrauch typischerweise um 25 Prozent. Und das ist nur der Anfang: Bei einer systemischen Betrachtung des gesamten Antriebsstrangs, inklusive Getrieben, Kupplungen und Steuerung, sind weitere Einsparungen möglich. Hinzu kommt die sogenannte Lastoptimierung, bei der wir durch intelligente Steuerung und Digitalisierung weitere Effizienzreserven erschließen. Diese Kombination macht es möglich, bis zu 35 Prozent Energie zu sparen – mit direkten positiven Effekten auf Betriebskosten und CO2-Bilanz.

Viele der eingesetzten Motoren sind sehr alt. Warum tun sich Kunden oft schwer mit der Modernisierung?

In der Praxis haben wir es in der Tat mit vielen Anlagen zu tun, bei denen die Motoren seit Jahrzehnten laufen. Und hier ist der Haken: Gerade weil diese Motoren so robust und langlebig sind, werden sie nicht ersetzt, solange sie nicht ausfallen. Das ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar, aber aus Effizienzsicht problematisch. Deshalb setzen wir bei ABB auf Bewusstseinsbildung. Wir erklären den Kunden nicht nur, dass es effizientere Alternativen gibt, sondern belegen das mit konkreten Zahlen. Dazu nutzen wir Tools für Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Lebenszykluskostenanalysen. In unseren Beratungs- und Serviceangeboten zeigen wir sowohl kurzfristige „Quick Wins“ als auch langfristige Strategien auf. Dabei betrachten wir nicht nur den Motor, sondern die gesamte Applikation. Das Ziel ist immer, gemeinsam mit dem Kunden eine optimale Balance zwischen Investition, Nutzen und Umsetzungszeitraum zu finden.

Also geht es nicht nur um „alt raus, neu rein“?

Nein, ganz und gar nicht. Unser Ansatz ist systemisch. Ein effizienter IE5- oder gar IE6-Motor bringt wenig, wenn er in einem ineffizienten Gesamtsystem arbeitet. Deshalb analysieren wir nicht nur einzelne Komponenten, sondern die gesamte Prozesskette. Dazu gehören zum Beispiel das mechanische Getriebe, die Kupplung, die Steuerung, aber auch die Energieversorgung und die Nutzungsszenarien der jeweiligen Anlage. Diese ganzheitliche Sichtweise ermöglicht es uns, gezielt zu beraten, ob ein Austausch sinnvoll ist, oder ob ein Retrofit – also eine Modernisierung bestehender Komponenten – mehr Vorteile bietet. Wir haben Kunden, bei denen sich der Austausch einzelner Komponenten sofort rechnet, und andere, bei denen der wirtschaftlichste Weg darin besteht, bestehende Systeme durch Service, Monitoring und gezielte Anpassungen weiter zu betreiben. Diese Differenzierung ist unsere Stärke. Wir bieten nicht nur Produkte, sondern Lösungsansätze entlang des gesamten Lebenszyklus einer Anlage.

Stichwort IE6: Wo steht ABB hier technologisch?

ABB treibt die Entwicklung hocheffizienter Antriebssysteme seit Jahren konsequent voran. Unsere IE5-Motoren sind etabliert, doch wir gehen einen Schritt weiter: Mit der SynRM-Technologie (Synchronreluktanzmotor) bieten wir eine innovative Lösung, die auf Seltene Erden verzichtet und gleichzeitig einen extrem hohen Wirkungsgrad erzielt. Der IE6-Standard steht zwar regulatorisch noch nicht als Norm, aber technisch sind wir bereit und es gibt weltweit auch bereits Anfragen. Der Wechsel von IE5 auf IE6 bedeutet einen Effizienzsprung von weiteren rund 20 Prozent – bei Anwendungen mit Dauerbetrieb und hohen Lastzyklen kann das die Stromrechnung massiv senken.

Welche politischen Impulse wären aus Ihrer Sicht notwendig, um den Weg hin zu diesen hocheffizienten Antrieben weiter zu beschleunigen?

Ein ganz wesentlicher Hebel liegt aus meiner Sicht in klaren regulatorischen Rahmenbedingungen und gezielter politischer Flankierung. Die Technologien zur Energieeinsparung sind längst verfügbar, vielfach auch wirtschaftlich attraktiv. Doch viele Unternehmen zögern, weil die Umsetzung komplex erscheint, Investitionen schwer planbar sind oder Förderkulissen unklar bleiben. Hier wünsche ich mir mehr Verlässlichkeit – etwa durch steuerliche Anreize, gezielte Investitionshilfen oder standardisierte Nachweismethoden für CO2-Einsparungen. Ebenso wichtig ist es, Regularien international zu harmonisieren. Gerade als global tätiges Unternehmen sehen wir, wie unterschiedlich die Voraussetzungen weltweit sind – das bremst Innovation. Wenn Politik, Wirtschaft und Industrie enger zusammenarbeiten, lässt sich das volle Potenzial der Dekarbonisierung schneller heben.

Welches Potenzial spielt eigentlich KI in der Antriebstechnik?

Künstliche Intelligenz ist für uns ein elementarer Bestandteil der Digitalisierung. In der Antriebstechnik hilft KI, aus großen Datenmengen verwertbare Erkenntnisse zu generieren. Zum Beispiel analysieren wir mit KI die Betriebsdaten ganzer Motorflotten, identifizieren ineffiziente Betriebspunkte oder sich anbahnende Fehler und können so frühzeitig eingreifen. Das verbessert nicht nur die Energieeffizienz, sondern auch die Verfügbarkeit der Anlagen. Ein gutes Beispiel ist unser „Crealizer“ – ein intelligentes Auslegungstool, das auf KI basiert. Es berücksichtigt eine Vielzahl an Parametern und Applikationsbedingungen und hilft so, von Anfang an die effizienteste Lösung zu finden. Darüber hinaus setzen wir KI ein, um auf Basis gesammelter Erfahrungswerte vergleichbarer Anwendungen Benchmarking zu betreiben. Das erlaubt nicht nur bessere Entscheidungen, sondern beschleunigt auch Innovationsprozesse.

Apropos Innovationsprozesse: Wie bindet ABB Kunden hier frühzeitig ein?

Wir betreiben eine aktive Co-Creation-Kultur. In unserem Motion Services Smart Lab erproben wir gemeinsam mit Kunden neue Ideen und Lösungsansätze. Unser Ansatz ist iterativ: Wir starten mit Prototypen, evaluieren gemeinsam Nutzen und Machbarkeit und entwickeln daraus marktfähige Innovationen. Eine neue Methode ist der Einsatz von KI bei der strategischen Ideengenerierung: Wir lassen Interviews mit Kunden und internen Experten analysieren, um daraus konkrete Innovationsfelder abzuleiten. Das beschleunigt Prozesse enorm und führt zu empirisch fundierten, marktnahen Ergebnissen. Parallel dazu arbeiten wir eng mit unseren Forschungszentren zusammen, unter anderem am Standort Mannheim, wo allein 100 Forschende tätig sind.

Zurück zur Nachhaltigkeit, wie gestaltet ABB das Thema Kreislaufwirtschaft?

Nachhaltigkeit beginnt beim Design. Unsere Produkte sind modular aufgebaut, reparierbar und aus recyclingfähigen Materialien gefertigt. Und wie schon erwähnt, verzichten wir bei unserer SynRM-Technologie auf Seltene Erden. In der Konstruktion achten wir darauf, Komponenten leicht zugänglich und demontierbar zu machen. Zudem nutzen wir bevorzugt Werkstoffe, die bereits einen Recyclinganteil enthalten. Gemeinsam mit Partnern wie Remondis haben wir professionelle Rücknahmesysteme aufgebaut, insbesondere für Großkunden und umfangreiche Modernisierungsprojekte. Diese Services reichen von der Logistik über die Wiederverwertung bis zur Wertstoffgutschrift für den Kunden. Damit schließen wir den Kreis – vom verantwortungsvollen Design über den effizienten Betrieb bis zur ressourcenschonenden Rückführung.

Welche technologischen Trends begeistern Sie aus Ihrem Umfeld derzeit besonders?

Ein Trend, den ich besonders spannend finde, ist das elektrische Heizen. In vielen Industriezweigen – von der Lebensmittel- über die Papier- bis zur chemischen Industrie – werden heute noch fossil betriebene Heizprozesse eingesetzt. Diese durch elektrische Systeme zu ersetzen, ist nicht nur aus Klimasicht sinnvoll, sondern oft auch wirtschaftlich attraktiv. Denn Strom lässt sich deutlich präziser regeln, und durch die Integration von Sensorik und digitaler Steuerung steigt die Prozessqualität. Wir sehen beispielsweise bei Anwendungen wie der Kaffeeröstung, dass sich mit unseren Power Controllern nicht nur Emissionen senken, sondern auch Produktqualität und Reproduzierbarkeit steigern lassen. Ähnliche Potenziale gibt es in der Kunststoffverarbeitung, bei Lacktrocknungen oder in der Textilbranche. Was mich außerdem begeistert, ist die zunehmende Verbindung von Leistungselektronik, smarter Steuerung und KI-gestützter Optimierung. Das erlaubt adaptive Heizstrategien, vermeidet Lastspitzen und ermöglicht die Kopplung mit Energieversorgung und Speichersystemen. Wenn wir industrielle Wärme, Antriebe und Netzdienste zusammendenken, entsteht eine neue Effizienzdimension. Diese sektorübergreifende Intelligenz – von der Quelle bis zur Anwendung – wird in den kommenden Jahren eine Schlüsselrolle spielen.

Zusammenfassend: Was antworten Sie auf die Frage, warum Industriebetriebe bei Dekarbonisierungsfragen auf ABB setzen sollten?

Weil wir Beratung, Technologie und Umsetzung aus einer Hand liefern. Wir haben ein extrem breites Produktportfolio, tiefe Applikationserfahrung und ein weltweites Netzwerk. Gleichzeitig verstehen wir uns als lokaler Partner auf Augenhöhe, der nicht nur liefert, sondern mitdenkt. Wir helfen Kunden nicht nur, einzelne Produkte zu optimieren, sondern entwickeln gemeinsam ganzheitliche Strategien – ob für Neubauprojekte oder Bestandsmodernisierungen. Unser Ansatz basiert auf fundierter Analyse, kontinuierlichem Dialog und dem festen Willen, wirtschaftlich tragfähige Lösungen zu gestalten, die auf das Thema Nachhaltigkeit einzahlen. Das unterscheidet uns vom reinen Produktanbieter.

Haben Sie noch eine zentrale Botschaft an die Industrie?

Dekarbonisierung ist eine komplexe Aufgabe, aber sie ist umsetzbar. Die Technologien existieren und sind erprobt. Wir müssen nicht alles neu erfinden, sondern die vorhandenen Möglichkeiten konsequent nutzen. Mein Appell ist: Lassen Sie sich nicht von der Komplexität abschrecken. Jeder Schritt zählt. Ob durch die Nachrüstung von Frequenzumrichtern, den Austausch alter Motoren oder durch die Digitalisierung von Anlagen: Es gibt zahlreiche Ansatzpunkte, um Energie zu sparen, CO2 zu reduzieren und gleichzeitig wirtschaftlich zu bleiben. ABB ist bereit, diesen Weg mit Ihnen zu gehen – kompetent, partnerschaftlich und zukunftsorientiert.

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  • „Ein effizienter Motor allein reicht nicht – entscheidend ist das Zusammenspiel im gesamten Antriebssystem.“

    „Ein effizienter Motor allein reicht nicht – entscheidend ist das Zusammenspiel im gesamten Antriebssystem.“

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  • „Lassen Sie sich nicht von der Komplexität abschrecken – der erste Schritt zur Dekarbonisierung ist oft einfacher als gedacht.“

    „Lassen Sie sich nicht von der Komplexität abschrecken – der erste Schritt zur Dekarbonisierung ist oft einfacher als gedacht.“

    Bild: ABB

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