Vom Zollkrieg zum Friendshoring

Lieferkette unter Druck und der Welthandel ordnet sich neu

Steigende Zölle, geopolitische Spannungen und Klimarisiken verändern globale Lieferketten und Handelsrouten – besonders spürbar für exportorientierte Industrien.

Bild: iStock, cybrain
12.11.2025

Laut einer Studie von Allianz Trade hat sich das von Zöllen betroffene Handelsvolumen seit 2024 fast verdreifacht. Rund 20 Prozent des Welthandels sind davon betroffen – Protektionismus, Friendshoring und Klimarisiken verändern die globalen Lieferketten derzeit grundlegend.

In den vergangenen Jahren haben sich die weltweiten Lieferketten stark verändert. Der Welthandel befindet sich in einem anhaltenden Umbruch, der durch Geopolitik, Protektionismus und die Auswirkungen des Klimawandels vorangetrieben wird. In seiner neuesten Studie analysiert der Kreditversicherer Allianz Trade die Einflussfaktoren sowie Chancen und Risiken für Lieferketten, Handelsdrehkreuze und Transportwege.

„Die Lieferketten von Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert: Resilienz kommt inzwischen vor Effizienz“, sagt Dr. Jasmin Gröschl, Senior Volkswirtin bei Allianz Trade. „Unternehmen haben auf die harte Tour gelernt, dass Waren besser später als gar nicht ankommen; längere Transportwege sind inzwischen häufig das kleinere Übel.“

Der Handel zwischen geopolitisch ähnlich ausgerichteten Volkswirtschaften gewinnt im Kontext des Handelskriegs, zunehmender Spannungen und wachsenden Protektionismus an Bedeutung. „Die politische Ausrichtung spielt im Welthandel inzwischen eine sehr große Rolle“, sagt Gröschl. „Steigt die geopolitische Distanz um 10 Prozent, führt dies zu einem Rückgang des bilateralen Handels um etwa -2 Prozent. Das bedeutet auch: Lieferketten müssen sich anpassen.“ Diese geopolitische Fragmentierung des Welthandels fällt mit einem Wiederaufleben des Protektionismus zusammen.

Protektionismus auf Höhenflug

„Allein im vergangenen Jahr hat sich das durch Handelsbeschränkungen betroffene Handelsvolumen fast verdreifacht und betrifft Waren im Wert von schätzungsweise 2,7 Billionen US-Dollar. Das sind fast 20 Prozent der weltweiten Importe“, sagt Gröschl und fügt hinzu: „Haupttreiber sind vor allem neu eingeführte Importzölle. Bis Mitte Oktober wurden 309 neue Zölle eingeführt, das sind fast doppelt so viele wie im Gesamtjahr 2024. Dies fördert zunehmendes Friendshoring und Regionalisierung.“

Deutschland ist als Exportnation besonders stark betroffen. Während im Jahr 2023 nur rund zwei Prozent der deutschen Exporte von neuen Zollmaßnahmen betroffen waren, stieg dieser Anteil im Jahr 2024 bereits auf sieben Prozent. Mitte November dieses Jahres lag der Anteil bei rund 25 Prozent der deutschen Ausfuhren.

Laut Allianz Trade geht mehr als die Hälfte des erwarteten weltweiten Handelswachstums von lediglich 2 Prozent im Jahr 2025 auf eine Umleitung von US-Importen weg von China, eine Vorverlagerung von Lieferungen vor der Einführung höherer US-Zölle sowie eine stärkere Diversifizierung des Handels zurück. Zusammen tragen diese Faktoren rund 1,3 Prozentpunkte des ohnehin geringen prognostizierten Gesamtwachstums bei. Für die Jahre 2026 und 2027 erwarten die Volkswirte von Allianz Trade eine Verlangsamung des globalen Handels mit Waren und Dienstleistungen auf 0,6 beziehungsweise 1,8 Prozent. Dies verdeutlicht die verzögerten Auswirkungen des Handelskriegs und die Herausforderungen, denen sich die derzeitige Handelsinfrastruktur stellen muss.

In den letzten beiden Jahrzehnten haben sich die weltweiten Handelsströme stärker in Richtung befreundeter oder geografisch naher Länder verlagert („Friendshoring“ und Regionalisierung). Das zeigt sich auch in den Zahlen: In mehreren Regionen hat der Handel innerhalb der jeweiligen Region im Verhältnis zur gesamten Weltwirtschaft deutlich zugenommen, insbesondere in den asiatischen Entwicklungsländern (+302 Prozent), aber auch in Nordamerika (+38 Prozent), Subsahara-Afrika (+88 Prozent) und Lateinamerika (+16 Prozent). Der Handel innerhalb Asiens ist dabei mit +337 Prozent besonders stark gewachsen. Aber auch der Handel asiatischer Länder (hauptsächlich China) mit anderen Regionen hat zugenommen. So stiegen die Exporte nach Lateinamerika um 412 Prozent und jene nach Subsahara-Afrika um 161 Prozent.

Klimawandel neben politischen Risiken größte Gefahr

Neben Geopolitik und Protektionismus spielt auch der Klimawandel im globalen Handel eine zunehmend wichtige Rolle. „Das Risiko politischer oder klimatischer Schocks für internationale Handels-Drehkreuze wächst“, sagt Lluis Dalmau, Volkswirt bei Allianz Trade. „Der Suez- und der Panamakanal führen die Liste der Hochrisiko-Engpässe an: Kapazitäten und Alternativen sind begrenzt, politische Risiken in fast allen Meeresengen sehr hoch und die klimatischen Risiken steigen fast überall – für die Häfen selbst aber aufgrund der niedrigen Wasserstände auch in der Binnenschifffahrt, allen voran am Jangtse in China als wichtigen Handelsstrom, aber beispielsweise auch an Donau und Rhein in Deutschland.“

Auch für den Hamburger Hafen könnten niedrige Wasserstände perspektivisch ein klimatisches Risiko darstellen, da er als Tidehafen besonders stark von Wasserstand und Gezeiten abhängig ist – zusätzlich zu möglichen Sturmfluten. Asiatische Drehkreuze sind zwar leistungsfähig und zuverlässig, stehen aber unter wachsendem politischen Druck. Europäische Häfen punkten mit starker Infrastruktur, sind jedoch vor allem im Süden zunehmend klimatischen Risiken ausgesetzt. Drehkreuze vom Nahen Osten bis Südafrika sichern Effizienz, bleiben aber politisch und ökologisch verwundbar. In Amerika ist die Zuverlässigkeit hoch, doch die Kapazitäten an Atlantik- und Golfküste werden knapper.

Sie haben die Nase vorn

Inmitten all dieser bereits bestehenden Veränderungen zeichnen neue Handels- und Produktionszentren eine neue Weltkarte. Das aktualisierte „Allianz-Trade-Ranking“ der Handelszentren der nächsten Generation zeigt, dass sich die Volkswirtschaften auf drei Ebenen – multimodal, logistisch und intermediär – neu positionieren. Grund dafür sind Zölle, Sanktionen und Veränderungen in der Lieferkette, die die globalen Ströme neu gestalten.

An der Spitze stehen die Vereinigten Arabischen Emirate (Platz 1) und Malaysia (Platz 3) als konsolidierte multimodale Kraftzentren, gestützt durch die gute Hafeninfrastruktur von Häfen wie Jebel Ali und Port Klang, die Asien, den Nahen Osten und Europa verbinden. Vietnam springt auf Platz 2, getragen von steigenden Exporten und einem neuen Zollabkommen mit den USA, welches seine Rolle im Zentrum der Umverteilung der Produktion in Asien festigt. Saudi-Arabien (Platz 4) verzeichnet mit einem Sprung um elf Plätze den stärksten Anstieg. Niedrigere Zölle (circa vier Prozent) und wachsende Nicht-Öl-Exporte erweitern sein Handelspotenzial. Kasachstan steigt als wichtiger Logistikknotenpunkt mit den Drehkreuzen Khorgos und Nur Zholy, die immer mehr eurasische Fracht umschlagen, in die Spitzenränge auf (Platz 16). Thailand (Platz 8), Indien (Platz 12) und Südafrika (Platz 23) liegen weiter unten auf der Liste. Trotz Weltklasse-Terminals wie Laem Chabang und Tanger-Med hinken sie in Sachen Konnektivität hinterher. Indonesien (Platz 11) und Bangladesch (Platz 15) haben mit Investitionslücken von über einer Billion US-Dollar zu kämpfen.

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