Intelligentes Multi-Energie-System für die Energiewende Strom, Gas und Wärme im ersten realen Gesamtsystem gekoppelt

Die Ortschaft Ebendorf wird zum Reallabor: Hier testen Forschende die Kopplung der Energienetze Strom, Gas und Wärme unter realen Bedingungen.

Bild: ChatGPT, publish-industry
17.08.2025

Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg testet in einem Pilotprojekt die Kopplung von Strom-, Gas- und Wärmenetzen unter realen Bedingungen. Im Reallabor Ebendorf sollen neue Technologien überschüssigen Strom in Wärme oder Gas umwandeln und so Netzengpässe minimieren sowie Versorgungsengpässe beheben. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse liefern wertvolle Impulse für eine flexible und klimaneutrale Energieinfrastruktur.

Die Universität Magdeburg erprobt erstmals die Kopplung der Sektoren Strom, Gas und Wärme. In einem Forschungsprojekt werden Netzexperten der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erstmals die drei Energienetzsektoren Strom, Gas und Wärme unter Realbedingungen in einem Gesamtsystem miteinander koppeln. In der Ortschaft Ebendorf in Sachsen-Anhalt entsteht dafür ein Reallabor, in dem bis Ende des Jahres die Vernetzung der verschiedenen Energienetze getestet werden soll.

Ortschaft Ebendorf wird Reallabor für Energiewende

Das mit 2,5 Millionen Euro vom Land Sachsen-Anhalt geförderte Forschungsprojekt „Intelligentes Multi-Energie-System SmartMES plus” zielt darauf ab, überschüssigen Wind- und Solarstrom künftig nicht mehr abzuschalten, sondern lokal in Wärme oder Gas umzuwandeln und in die entsprechenden Netze einzuspeisen. Damit können Schwankungen im Stromnetz ausgeglichen, das Stromnetz entlastet und langfristig Netzengpässe und Energieverluste vermieden werden.

„Nachdem wir im Vorgängerprojekt Modelle für die Sektorenkopplungstechnologien entwickelt und die Machbarkeit durch Simulationen nachgewiesen haben, testen wir nun erstmals unter Realbedingungen ein Multi-Energie-System, das lokal Strom, Gas und Wärme zusammenführt, Energie speichert, umwandelt und anschließend intelligent verteilt“, erläutert Prof. Dr.-Ing. Martin Wolter, Projektleiter und Inhaber des Lehrstuhls für Elektrische Netze und Erneuerbare Energien der Universität Magdeburg.

Dazu wird das Team in der sachsen-anhaltischen Ortschaft Ebendorf ein Reallabor errichten und die Sektorenkopplung unter den gegebenen Bedingungen testen. „In Ebendorf bei Magdeburg treffen ein hoher Wärmebedarf, erneuerbare Energiequellen und eine engagierte Bürgerschaft aufeinander – ideale Bedingungen für die Sektorenkopplung.“ Die an der Universität bereits vorhandene Netzleitwarte wird bei der Steuerung eine zentrale Rolle spielen. „Sie ist das Gehirn des Multi-Energie-Systems.”

Gemeinsam mit der Ebendorfer ARGE Energie, der Stadtwerke Burg und der Stadtwerke Burg Energienetze werden im Vorfeld der Kopplung zunächst der Strom- und Wärmebedarf für die Ortschaft sowie die vorhandene Infrastruktur analysiert und Betriebs- und Ausbaukonzepte für die gekoppelte Infrastruktur entwickelt.

Von Simulation zur Realität

„Die Mitglieder unseres 2024 gegründeten Vereins ARGE Energie Ebendorf freuen sich sehr, dass die Ebendorfer Bürger durch diese Förderung und Zusammenarbeit mit der Universität Magdeburg eine Wärmeplanung erhalten, die gezielt auf die Bedürfnisse der Ortschaft Ebendorf abgestimmte Entscheidungshinweise erbringt, welche Energieart die günstigste ist“, so der Vereinsvorsitzende Robert Peglow.

„Beim Verteilen des Stroms sind die überlasteten Ortsnetzstationen der Flaschenhals“, sagt der Netzexperte Wolter. Deshalb müssten PV- und Windkraftanlagen regelmäßig abgeschaltet und zukünftig auch der Verbrauch von Wärmepumpen und Ladestationen für Elektroautos zeitlich befristet reduziert werden. Bisher sehe der Gesetzgeber bei einem Zuviel an produziertem Strom reduzierte Einspeisungen, sogenannte Abregelungen, als Lösung vor, wie zuletzt durch das Solarspitzen-Gesetz. „Die abgeregelte, also gar nicht erst eingebrachte Energiemenge ist dann aber leider verloren“, erklärt Wolter.

Laut dem Energieingenieur hätten die Kosten für Netzengpassmanagementmaßnahmen wie Redispatch im Jahr 2024 bundesweit knapp drei Milliarden Euro betragen, die letztlich von den Verbrauchern getragen würden. „Abgeregelte Mengen werden dann aber gleichzeitig durch konventionelle Kraftwerke – üblicherweise durch Erdgas – ausgeglichen.“ Langfristig sei zwar der Netzausbau die volkswirtschaftlichste Lösung, da dieser aber nur sehr langsam voranschreite, müssten Engpässe bis zum Netzausbau operativ behoben werden.

Risiken im Energiesektor verringern

Von der Kopplung des Strom- und Wärmesektors in der Ortschaft Ebendorf erwartet Wolter mit seinem Team nicht nur technische und ökologische, sondern vor allem auch volkswirtschaftliche Vorteile. Ein sektorenübergreifendes Energiesystem senkt die Betriebskosten, erhöht die Versorgungssicherheit und bringt uns den Klimazielen deutlich näher. Deshalb wird im Rahmen des Forschungsprojektes über die technische Machbarkeit hinaus auch die zeitliche Steuerung und die Wirtschaftlichkeit evaluiert.

Die Verfahrenstechniker Prof. Dr. Frank Beyrau und Prof. Dr. Elmar Lukas sowie die Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Magdeburg untersuchen die notwendigen Bedingungen für eine europaweite Umsetzung der Sektorenkopplung. Flexibilität ist ein Schlüssel zur erfolgreichen Energiewende, doch in der Investitionsbewertung von Energieinfrastruktur wird sie bislang kaum berücksichtigt. Dadurch bleiben wichtige Potenziale ungenutzt, so Elmar Lukas vom Lehrstuhl für BWL, insbesondere Innovations- und Finanzmanagement der Universität. „Wir setzen auf einen flexiblen Investitionsansatz, der verschiedene Handlungsoptionen von Anfang an mitdenkt. So können wir Risiken im Energiesektor verringern und gleichzeitig auf Veränderungen reagieren”, so Wolter.

Das Forschungsprojekt Intelligentes Multi-Energie-System SmartMES plus läuft bis Ende 2027 und wird durch das Land Sachsen-Anhalt aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. Zum Konsortium gehören neben den Lehrstühlen Elektrische Netze und Erneuerbare Energie, Technische Thermodynamik sowie Innovations- und Finanzmanagement der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, die ARGE Energie der Ortschaft Ebendorf, die Stadtwerke Burg und die Stadtwerke Burg Energienetze.

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