Interview mit Christoph Stoppok, ZVEI „Privates Laden muss stärker gefördert werden“

Christoph Stoppok, Bereichsleiter Components, Mobility & Systems beim ZVEI

Bild: ZVEI
30.08.2018

Die mangelhafte öffentliche Ladeinfrastruktur gilt als Hemmschuh der Elektromobilität. Wieso ihre Bedeutung überschätzt wird, erklärt Christoph Stoppok, Bereichsleiter Components, Mobility & Systems beim ZVEI. Im Interview mit der E&E erläutert er auch, welche Möglichkeiten Wireless-Charging realistisch bietet und was sich bei den Energienetzen verbessern muss.

E&E:

Kaufen die Deutschen so wenige Elektroautos, weil die entsprechende Ladeinfrastruktur fehlt, oder fehlt die entsprechende Ladeinfrastruktur, weil es zu wenige Elektroautos dafür gibt?

Christoph Stoppok:

Das ist das berühmte Henne-Ei-Problem. Die Situation ist schwierig und beides trifft zu. Als Business-Modell rechnet sich die Ladeinfra- struktur nicht. Dafür nehmen sie zu wenige Fahrzeuge in Anspruch. Schaut man sich die einzelnen Ladesäulen an, so gibt es meines Erachtens nach, keinen einzigen Betreiber, der damit Geld verdient. Aus diesem Grund sind in den letzten 10 Jahren, in denen wir in Deutschland über Elektromobilität sprechen, die Ladesäulen auch nicht aus dem Boden geschossen. Es liegt aber nicht nur an der Ladeinfrastruktur. Als Käufer wartet man sehr lang auf sein Elektrofahrzeug. Das zieht sich ein Dreiviertel- bis ein komplettes Jahr. Deshalb sind wir in Deutschland weiterhin weit weg von der von der Bundesregierung angepeilten eine Million Elektrofahrzeugen. Im Moment gibt es ungefähr 65.000 Elektrofahrzeuge in Deutschland.

Wenn sich die Ladesäulen für die Betreiber nicht rechnen, warum werden sie dann überhaupt betrieben? Geht es um Prestige oder Marketing?

Das spielt sicherlich eine Rolle. Vor allem möchten die Betreiber aber in den Markt hineinkommen und sich dort einen festen Platz sichern. Wer sich dort bereits etabliert hat, besitzt dann natürlich einen Vorteil, sobald die Elektromobilität richtig durchstartet. Wer später dazukommt, hat es schwerer. Zurzeit wird also erst einmal in die Zukunft investiert.

Ist die mangelnde Rentabilität der einzige Grund dafür, dass es nicht so richtig vorangeht?

Die öffentliche Ladeinfrastruktur ist nicht die einzige Stromquelle für Elektroautos. Den Erhebungen verschiedener Institutionen zufolge, findet 70 bis 90 Prozent des Stromladens im privaten Bereich statt. Die öffentliche Ladeinfrastruktur ist deshalb nicht unbedingt der Schlüssel dafür, dass Elektromobilität sich durchsetzt. Natürlich sind die wenigen Ladesäulen ein Hindernis, aber eigentlich brauchen wir vor allem an anderen Stellen Lademöglichkeiten; etwa am Arbeitsplatz oder zu Hause. Das ist meines Erachtens das eigentliche Nadelöhr. Beim Miet-, Bau- oder Eigentümerrecht sind die Hemmnisse noch sehr hoch. Um beispielsweise bei bestehenden Gebäuden eine Stromtankstelle zu installieren, müssen alle Eigentümer zustimmen. Das ist oft nicht umsetzbar. Die Politik sollte das vereinfachen.

Bei Neubauten ist das allerdings kein Problem.

Das stimmt. Die Gebäude müssen aber auch von Anfang an so konzipieren werden, dass es technisch möglich ist, Ladestationen ohne große bauliche Veränderungen zu installieren.

300 Millionen Euro stellt die Bundesregierung bis 2020 für die Förderung von öffentlichen Ladesäulen bereit. Reicht diese Summe aus oder müssten noch mehr Mittel in das Programm fließen?

Zurzeit existieren laut Bundesnetzagentur ungefähr 5.000 Ladensäulen in Deutschland und damit etwa 10.000 Ladepunkte. An einigen der Säulen lassen sich nämlich mehrere Fahrzeuge gleichzeitig laden. Flächendeckend wären aber 70.000 bis 80.000 Ladepunkten notwendig. Es gibt also noch einiges zu tun. Dafür wird die Förderung nicht ausreichen. Die Bundesregierung sollte deshalb über weitere Förderprogramme nachdenken.

Ist es mit dem aktuellen Stromnetz möglich, die angesprochenen 70.000 Ladepunkte zu versorgen?

Flächendeckend haben wir hinsichtlich der Energieversorgung kein Problem. Problematisch wird es, wenn es punktuell mehrere Ladevorgänge gibt. Wenn 30 Personen in einer Straße ihr Elektrofahrzeug laden, schafft das das bestehende Stromnetz nicht.

Wie müsste das Stromnetz umgebaut werden, damit es das bewältigen kann?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Sinnvoll wäre zum Beispiel eine intelligente Regelung. Bei dieser fließt nicht gleich Strom, sobald ein Stecker eingesteckt wird. Stattdessen sorgt ein Energiemanagement-System dafür, dass Fahrzeuge nacheinander oder nachts geladen werden, wenn keine große Last am Netz hängt.

Sie sprechen damit die sogenannten Smart Grids an.

Genau. Das geht klar in die Richtung Smart Grids. Eine andere Möglichkeit ist bidirektionales Laden. Dabei wird Energie aus der Batterie eines Fahrzeugs ins Netz zurückgespeist, um ein anderes zu laden. Dadurch lassen sich Engpässe abpuffern. Mit der weitestgehend analogen Technik des deutschen Stromnetzes, geht das aber natürlich nicht.

Bisher konzentriert sich der Aufbau vor allem auf die großen Städte und Autobahnen. Auf dem Land gibt es bisher relativ wenige Ladesäulen. Sehen Sie das als Problem?

Eigentlich nicht. Auf dem Land ist die Gebäudestruktur so ausgelegt, dass die Menschen eher vereinzelt wohnen und nicht in großen Wohnkomplexen. Dadurch steht das private Laden im Vordergrund. In den Großstädten und an den Autobahnen besteht der größte Bedarf für Ladesäulen. Der bisherige Ausbau ist deshalb nur folgerichtig.

Sie haben die Bedeutung des Ladens im privaten Bereich angesprochen. Müsste auch hier der Ausbau stärker unterstützt werden?

Im öffentlichen Bereich war die Förderung eine gute Initiative. Diese sollte nachhaltig und mit Nachdruck aufrechterhalten werden. Im Privatbereich, gerade bei Bestandsbauten, ist der finanzielle Aufwand allerdings ebenfalls erheblich. Es ist nicht damit getan, einfach eine Wallbox an die Wand zu hängen. Oft muss auch die Elektroinstallation in den Häusern noch erweitert werden. Relativ schnell entstehen somit Kosten in Höhe von 5.000 bis 10.000 Euro für eine Ladeinfrastruktur im Haus. Förderungen im privaten Bereich halte ich demnach für sehr wichtig. Gerade da wie gesagt 70 bis 90 Prozent des Ladens im privaten Bereich stattfinden. Wenn jemand zu Hause sein Elektroauto nicht laden kann, kauft er sich natürlich keines. Dieser Convenience-Aspekt spielt eine große Rolle.

Bisher kommt beim Laden sowohl Wechsel- als auch Gleichstrom zum Einsatz. Wird sich eines davon zukünftig durchsetzen?

Viele der aktuellen Elektrofahrzeuge sind lediglich für Wechselstrom ausgelegt. Gleichstromladen ist technisch aufwendiger. Deshalb ist es bei vielen Elektrofahrzeugen zurzeit nur als Zusatzausstattung erhältlich. Bis Gleichstromladen großflächig verwendet wird, dauert es also sicher noch einige Zeit.

Richtiges Schnellladen ist allerdings nur mit Gleichstrom möglich.

Da haben Sie vollkommen recht. Es wird sicherlich auch in immer mehr Fahrzeuge integriert werden. Aber dahin müssen wir erst einmal kommen.

Immer wieder wird auch Wireless-Charging, also das Laden ohne Kabel, angesprochen. Dabei handelt es sich aber lediglich um eine Zukunftsvision?

Wireless Charging funktioniert auch in der Praxis bereits. In Industriebauten wird das zum Beispiel schon praktiziert. Manche Anbieter bieten das auch schon als Zusatzausstattung an. Eine flächendeckende Infrastruktur dafür wird es aber sicher in den nächsten zehn Jahren nicht geben. Für Oberklassefahrzeuge und deren Halter wird es sicherlich Angebote dafür geben, aber nicht in der Fläche für den normalen Mittelklassewagen. Anders sieht das bei Nutzfahrzeugen aus, beispielsweise bei Bussen. Solche Wireless-Charging-Systeme könnten etwa an Haltestellen installiert sein. Dann wird der Bus bei jedem längeren Stopp etwas geladen. Wenn das öfter auf einer Strecke geschieht, rentiert sich das auf jeden Fall.

Im letzten Jahr hat der Chaos Computerclub massive Lücken in der IT-Sicherheit von Ladesäulen aufgezeigt. Müssen die Betreiber dort deutlich mehr investieren?

Es geht gar nicht so stark darum, dass sie mehr investieren müssten. Eine ordentliche IT-Sicherheit ist gar nicht so aufwendig und teuer. Sie sind schlicht und ergreifend nachlässig gewesen und haben sich nicht darum gekümmert. Das ist nicht entschuldbar. Die öffentlichen Berichte über diese Lücken werden aber sicher zu einem Umdenken führen.

Viele Besitzer von Elektroautos ärgern sich außerdem über die unterschiedlichen und unübersichtlichen Abrechnungssysteme an Ladesäulen verschiedener Betreiber.

Das hören wir in der Tat öfter. Jeder Betreiber kocht so ein bisschen sein eigenes Süppchen und rechnet unterschiedlich ab. Auch die Zugänge sind oft sehr verwirrend. An der einen Säule muss sich der Fahrer anmelden, an der anderen nicht. Mal erfolgt der Zugang mit einer Karte, mal über das Handy. Das ist sehr unschön. Für die Fahrer muss es möglich sein, ohne große Probleme an jeder Säule zu laden.

Wieso sind die Betreiber nicht dahinter her, ein einheitliches System zu schaffen?

Die Betreiber haben kein wirkliches Interesse daran. Sie möchten nur Strom verkaufen. Da kann nur der Gesetzgeber helfen. Wir brauchen eine Vereinheitlichung. Aber ohne staatliche Regulierung wird da nichts geschehen.

Welche Art der Abrechnung sehen Sie als Zukunftsmodell?

An den Ladesäulen wird zukünftig ohne Hardware, also Karten oder ähnliches, bezahlt werden; zum Beispiel über das Smartphone. Außerdem bezahlen die Kunden den Strom und nicht die Ladezeit, wie es zurzeit zum Teil üblich ist. Die Verbraucher möchten das so. An Benzin- und Dieselzapfsäulen läuft das ja genauso. Da werden auch die Liter und nicht die Zeit abgerechnet.

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