Berechnungen des Wasserkreislaufs Überflutungen und Erdrutsche mit Weltraumdaten vorhersagen

Ob Böden in verschiedenen Regionen noch genug Wasser bei starken Regenfällen aufnehmen können, ließe sich eventuell mittels eines digitalen Zwillings genau simulieren.

Bild: iStock, fotojog
13.03.2024

Viele Menschen werden unvorbereitet von Naturkatastrophen wie Überflutungen oder Hangrutschen getroffen. Ein ESA-Projekt mit Beteiligung der TU Wien will solche Ereignisse nun gezielt vorhersagen. Die Partner haben hierzu einen digitalen Zwilling des geologischen Wasserkreislaufs entwickelt.

Der Klimawandel verändert den Wasserkreislauf – aber wie genau, lässt sich nicht in eine einfache, global gültige Formel fassen. Der Wasserkreislauf ist ein komplexes System, regional können sich ganz unterschiedliche Veränderungen zeigen. In manchen Regionen wird es trockener, in anderen steigt die Regenmenge, Extremwetterereignisse ändern und verschieben sich.

Um dieses komplexe System besser vorhersagbar zu machen, hat ein internationales Pilotprojekt, finanziert von der Europäischen Weltraumbehörde ESA und geleitet vom italienischen National Research Council, nun einen digitalen Zwilling der Hydrosphäre entwickelt. Er bildet den Wasserkreislauf sowie die relevanten mit ihm verbundenen Phänomene physikalisch korrekt am Computer nach. So lässt sich simulieren, wie eine ganz bestimmte Region auf hydrologische Veränderungen reagiert.

Digitaler Zwilling der Erde

Mittels des digitalen Zwillings sollen nicht nur Katastrophen wie Überschwemmungen, sondern auch schleichende Veränderungen im Wasserhaushalt räumlich detaillierter vorhergesagt werden als bisher. Letztere werden unter anderem durch höhere Temperaturen verursacht.

Entscheidend dafür sind exakte Satellitendaten. Hier kam ein Team der TU Wien ins Spiel: Es sorgte dafür, dass speziell Radarsatellitendaten über den Wasserkreislauf in entsprechend hoher räumlicher Auflösung zur Verfügung stehen. Das bildet ein wesentliches Schlüsselelement für die Zuverlässigkeit des Vorhersagesystems.

Das Konzept des digitalen Zwillings spielt in der Industrie schon lange eine wichtige Rolle: Ein kompliziertes System, zum Beispiel eine Produktionsanlage, wird physikalisch exakt am Computer nachgebildet. „Genau so ein digitaler Zwilling entsteht nun für das globale Wassersystem“, sagt Dr. Mariette Vreugdenhil vom Department für Geodäsie und Geoinformation der TU Wien, die den Anteil der TU Wien an dem ESA-Projekt geleitet hat. Wenn für große Gebiete, im Idealfall den ganzen Globus, räumlich hochaufgelöste Daten für die Validierung und laufende Verbesserung von Computersimulationen zur Verfügung stehen, dann lässt sich mit höherer Treffsicherheit sagen, welche Effekte sich unter bestimmten Bedingungen zeigen werden – bis hin zu Überflutungen oder Hangrutsche an einem ganz bestimmten Ort.

Hohe Auflösung durch KI

Von besonders großer Bedeutung sind dabei Daten über die Bodenfeuchte. Daran forscht man an der TU Wien schon seit Jahren: Man nutzt Messergebnisse von Radarsatelliten, die den Erdboden rund um die Uhr untersuchen. Daraus lassen sich wichtige Informationen über die Eigenschaften des Bodens herausrechnen und letztlich vorhersagen, ob der Boden in einer bestimmten Gegend angesichts kommender Regenfälle noch weiteres Wasser aufnehmen kann oder nicht.

Entscheidend dafür ist allerdings, dass die räumlichen Gegebenheiten in sehr hoher Auflösung vorliegen. „Hohe Auflösung heißt bei uns etwa: ein Pixel pro Kilometer“, erklärt Prof. Wolfgang Wagner, Leiter des Forschungsbereichs Fernerkundung der TU Wien. „Man verwendet dafür heute oft Künstliche Intelligenz. Die trainiert man mit unterschiedlichen Datensätzen und hofft dann, auf diese Weise die Auflösung zu verbessern. Das ergibt zwar schöne Bilder, aber ob die etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben, ist oft eine andere Frage.“

Um die Interpretation der Satellitendaten auf ihre Richtigkeit hin besser überprüfen zu können, hat man sich an der TU Wien für eine andere Strategie entschieden. Wagner: „Wir verfolgen einen rigorosen Ansatz. Unser Modell arbeitet mit physikalischen Formeln, von denen wir wissen, dass sie stimmen.“ Machine Learning kommt unterstützend zum Einsatz, etwa für die Kalibrierung der Parameter, aber die Berechnung der Daten lässt sich klar nachvollziehen und erklären. So wird sichergestellt, dass die Berechnung eines hochauflösenden Datensatzes auf bekannten Naturgesetzen beruht und es nicht etwa zu einer KI-Halluzination ohne faktische Basis kommt, wie das bei Künstlicher Intelligenz manchmal zu beobachten ist.

Von der Po-Region in die ganze Welt

Zu Beginn des Projekts wurde die Po-Ebene in Italien abgebildet – eine besonders komplexe Region, wie Projektleiter Luca Brocca erklärt: „Wir haben die Alpen, wir haben Schnee, der schwer zu simulieren ist, besonders in unregelmäßigem und komplexem Gelände wie den Bergen. Dann gibt es das Tal mit all den menschlichen Aktivitäten – Industrie, Bewässerung.“ Aufbauend darauf wurde der gesamte Mittelmeerraum abgebildet.

Letztendlich soll das Modell auf den ganzen Erdball ausgedehnt werden. Außerdem sind weitere Verbesserungen und Verfeinerungen geplant. Wünschenswert wäre am Ende eine multidimensionale Abbildung der Hydrosphäre, in der ausgewählte Prozesse mit einer räumlichen Auflösung in der Größenordnung von 10 m erfasst werden können. Das Ziel des Projekts ist ein Computermodell, das rechtzeitig auf Gefahren hinweisen kann und auch dazu dient, die Auswirkungen verschiedener menschlicher Eingriffe auf lokaler Ebene zu erklären, sodass nachhaltige Entscheidungen getroffen werden können.

„Diese gemeinsamen Bemühungen von Wissenschaft, Raumfahrtbehörden und Entscheidungsträgern versprechen eine Zukunft, in der ein digitaler Zwilling der Erde für die Hydrologie unschätzbare Erkenntnisse für ein nachhaltiges Wassermanagement und die Widerstandsfähigkeit gegen Katastrophen liefern“, sagt Brocca.

Bildergalerie

  • Im ESA-Projekt wird an einem digitalen Zwilling der Erde gearbeitet.

    Im ESA-Projekt wird an einem digitalen Zwilling der Erde gearbeitet.

    Bild: TU Wien

  • Um das Simulationsmodell auf die gesamte Erde auszuweiten, sind einige Meilensteine nötig.

    Um das Simulationsmodell auf die gesamte Erde auszuweiten, sind einige Meilensteine nötig.

    Bild: TU Wien

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