Kaum eine Branche ist so systemrelevant – und zugleich so verwundbar – wie die Logistik. Ob Lebensmittelversorgung, medizinische Lieferketten oder Ersatzteillogistik: Die Transport- und Umschlagprozesse im Hintergrund müssen selbst unter widrigsten Umständen zuverlässig funktionieren. Mit dem neuen KRITIS-Dachgesetz (KRITIS-DachG) rückt dieser Sektor erstmals explizit in den Fokus regulatorischer Anforderungen. Ziel ist es, kritische Dienste wirkungsvoll vor physischen und digitalen Gefahren zu sichern. Doch wie weit sind Logistikunternehmen heute – und was müssen sie künftig leisten? Gandhi Gabriel, Sicherheitsexperte und Geschäftsführer von SSB -Sicherheit, Service und Beratung kennt die Anforderungen und weiß, wie Unternehmen ihre Resilienz steigern.
Neue gesetzliche Rahmenbedingungen: KRITIS-Dachgesetz
Noch ist es nicht in Kraft getreten, obwohl der Regierungsentwurf des KRITIS-Dachgesetzes bereits im November 2024 verabschiedet wurde. Die rechtliche Umsetzung liegt nun in der Verantwortung der neuen Bundesregierung. Neben Energie- und Wasserversorgung, Gesundheit oder IT wird in dem vorliegenden Entwurf auch die „Sektorübergreifende Logistik“ als kritischer Bereich definiert. Betroffen sind Unternehmen, die wesentliche Dienstleistungen für die Aufrechterhaltung des Gemeinwohls erbringen – etwa zentrale Umschlagknoten, überregionale Distributionszentren oder Betreiber von multimodalen Verkehrsverbindungen.
Pflichten nach dem KRITIS-DachG umfassen unter anderem die Durchführung einer Risikoanalyse aller relevanten Betriebsprozesse sowie die Erstellung eines Sicherheitskonzepts. Zudem erfordert es den Nachweis, dass die Abläufe auch bei Störungen resilient bleiben. Erhebliche Vorfälle müssen unverzüglich dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kurz BBK, gemeldet werden. Eine revisionssichere Dokumentation sowie regelmäßige Überprüfungen sind ebenfalls verpflichtend. Wer sich nicht vorbereitet, riskiert empfindliche Bußgelder – und noch schwerwiegendere Reputationsverluste im Ernstfall.
Herausforderung: Komplexität und Vernetzung
Logistiksysteme zeigen sich heutzutage in hohem Maße vernetzt – physisch wie digital. Lieferketten erstrecken sich über mehrere Länder und sind abhängig von einer Vielzahl externer Partner. In dieser Gemengelage genügt ein einziger Ausfall – etwa durch Cyberangriffe, extreme Wetterlagen oder Systemfehler – um weitreichende Störungen zu verursachen. Zudem arbeiten viele Betreiber nach Just-in-time-Strategie. Diese erhöht zwar die Effizienz, lässt jedoch wenig Puffer für Notfälle. Die größte Herausforderung für Sicherheitsverantwortliche besteht daher darin, funktionale Resilienz in ein auf Effizienz getrimmtes System zu integrieren.
Lösungsansatz: Resilienz statt reiner Verfügbarkeit
Moderne Sicherheitsstrategien gehen heute weit über klassische Maßnahmen wie Zutrittskontrollen und Videoüberwachung hinaus. Es ist ein ganzheitliches Risikomanagement gefragt, das präventiv, adaptiv und lernfähig ist. Dazu zählt beispielsweise die Segmentierung von IT- und OT-Netzen, um digitale Risiken zu minimieren. Ebenso spielt die Szenarienplanung und Durchführung von Stresstests eine wichtige Rolle, etwa durch die Simulation von Stromausfällen oder Cyberattacken, um die Widerstandsfähigkeit zu prüfen. Redundante Strukturen für kritische Anlagen und Kommunikationskanäle wie Notstromaggregate, USV-Systeme oder doppelte Netzwerkverbindungen sorgen dafür, dass im Ernstfall weiterhin Betriebsfähigkeit gewährleistet ist.
Ein weiteres wesentliches Element bildet das Business Continuity Management (BCM), das klare Eskalationspläne umfasst, um im Notfall schnell reagieren zu können. Zudem bleibt die Schulung und Sensibilisierung aller Mitarbeitenden – vom Lagerpersonal bis zur Geschäftsführung – unerlässlich, um Sicherheitsmaßnahmen effektiv umzusetzen. Viele dieser Maßnahmen sind bereits bekannt, doch neu sind die gesetzlich geforderte Systematik sowie die Nachweisbarkeit der getroffenen Sicherheitsvorkehrungen.
Von der Pflicht zur Kür: Sicherheit als Wettbewerbsvorteil
Wer sich frühzeitig mit den KRITIS-Anforderungen auseinandersetzt, gewinnt neben regulatorischer Sicherheit auch einen strategischen Vorteil. Denn Resilienz bedeutet nicht Stillstand, sondern Anpassungsfähigkeit: Unternehmen, die auf Störungen vorbereitet sind, können schneller reagieren, Kunden besser bedienen und Vertrauen aufbauen. Sicherheitsmanagement wird so zu einem Qualitätsmerkmal – ähnlich wie Nachhaltigkeit oder Digitalisierung. Gerade im B2B-Geschäft fragen Auftraggeber vermehrt nach belastbaren Notfallplänen und Sicherheitszertifikaten. Die Logistikbranche steht an einem Wendepunkt.
Es wächst der regulatorische Druck, aber auch die Bedrohungslage gestaltet sich real – von geopolitischen Spannungen über Extremwetter bis hin zu gezielten Angriffen auf Lieferketten. Wer jetzt handelt, schützt nicht nur das eigene Unternehmen, sondern trägt aktiv zur Stabilität der Versorgung in Deutschland und Europa bei. Das KRITIS-Dachgesetz ist nicht nur als lästige Pflicht, sondern als Chance zur nachhaltigen Resilienzsteigerung zu sehen. Die Investition in Sicherheit zahlt sich langfristig aus – und im Ernstfall vielfach.