Über Jahre hinweg wurde KI als technologische Inszenierung vermarktet: immer größere Modelle, spektakuläre Demos und weitreichende Versprechen von Transformation. Doch in den Vorstandsetagen und IT-Abteilungen Deutschlands hat sich das Narrativ geändert. Führungskräfte lassen sich nicht mehr vom theoretischen Potenzial beeindrucken. Sie stellen heute die deutlich pragmatischere Frage: Was liefert mir die KI noch in diesem Quartal – und nicht erst in fünf Jahren?
Vom Hype zur Realität
Das wirtschaftliche Umfeld in Deutschland beschleunigt diesen Wandel zusätzlich. Angespannte Budgets, neue regulatorische Vorgaben wie der EU AI Act sowie eine wachsende kritische Betrachtung von Technologieausgaben veranlassen Unternehmen, vorsichtiger, aber auch anspruchsvoller zu werden. Auch die deutsche Medienlandschaft spiegelt diese Stimmung deutlich wider. Auf die Phase der KI-Begeisterung folgt nun eine Phase der Rechtfertigung. Künstliche Intelligenz muss sich schnell beweisen.
Der „Global Cost of Complexity Report“ von Freshworks zeigt, warum. Demnach verschwenden Unternehmen 20 Prozent ihrer Softwarebudgets und verlieren nahezu sieben Stunden Produktivität pro Mitarbeitendem und Woche, weil ihre Technologielandschaften zu fragmentiert und schwer zu steuern sind. Gerade deutsche Unternehmen spüren diese Belastung besonders deutlich. Viele erkennen inzwischen, dass nicht fehlende Innovationskraft, sondern die erdrückende Komplexität der Systeme das größte Hindernis für den erfolgreichen Einsatz von KI ist.
Altlasten der Enterprise-Software
Hier zeigen sich die Folgen jahrzehntelanger Überfrachtung durch Enterprise-Software. Legacy-Anbieter wie Salesforce oder ServiceNow haben zwar Plattformen geschaffen, die darauf ausgelegt sind, Beratungsökosysteme zu befeuern, jedoch nicht die Effizienz. Jedes Modul schafft neue Abhängigkeiten und jede Anpassung löst das nächste Projekt aus. So wird Software zum Ausgangspunkt jahrelanger Transformationszyklen, statt ein konkretes Problem zu lösen. Es überrascht daher kaum, dass KI-Pilotprojekte auf dieser Grundlage zusammenbrechen.
Unternehmen zeigen heute deutlich weniger Geduld für digitale Umwege. Sie wollen keine Fünfjahres-Roadmaps, keine Heerscharen von Integrationspartnern und keine vagen Verweise auf eine „Phase zwei“. Sie erwarten KI, die innerhalb weniger Wochen messbaren Nutzen liefert – und nicht erst nach Jahren. Deutsche Unternehmen sind dabei besonders konsequent: Bleiben konkrete Verbesserungen aus, werden KI-Initiativen beendet und die Budgets neu verteilt.
Deshalb wird die nächste Phase beim Einsatz von KI nicht mehr vom Hype, sondern von praktischer KI geprägt sein. Damit ist KI gemeint, die im Arbeitsalltag tatsächlich funktioniert: Systeme, die Routineaufgaben zuverlässig übernehmen, Mitarbeitende spürbar entlasten und Abläufe vereinfachen, statt neue Komplexität zu schaffen. Es geht um KI, die Ordnung in gewachsene Tool-Landschaften bringt, unnötige Reibung reduziert und überlasteten IT- und Service-Teams wieder Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben verschafft.
Verlässlichkeit schlägt Vision
Entscheidend ist, dass praktische KI zu einem Wert passt, den deutsche Unternehmen häufig höher gewichten als Innovation: Verlässlichkeit. Gefragt sind Systeme, die sich einfach einführen und betreiben lassen und deren Nutzen sich direkt an den Geschäftsergebnissen messen lässt. Dabei legen CIOs strenge ROI-Maßstäbe an. Sie prüfen, ob sich eine Lösung ohne ein sechsmonatiges Projekt integrieren lässt, ob sie spezialisierte Berater erfordert und ob sie die Arbeitslast messbar reduziert. Bleibt dieser Nachweis aus, wird das Projekt nicht weiterverfolgt.
Einfachheit entwickelt sich zum neuen Standard im Enterprise-Umfeld. In einem Umfeld, in dem jeder Euro auf dem Prüfstand steht, wenden sich Unternehmen zunehmend von Systemen ab, deren Betrieb aufwendig und komplex ist. Stattdessen rücken Plattformen in den Fokus, die auf Klarheit, Geschwindigkeit und einfache Nutzung ausgelegt sind. Der Markt teilt sich dabei deutlich: Auf der einen Seite stehen Legacy-Plattformen, deren Geschäftsmodell darauf beruht, durch Komplexität fortlaufende Serviceumsätze zu generieren. Auf der anderen Seite entstehen Lösungen, die Produktivität durch Einfachheit ermöglichen. Die einen liefern langsam und zu hohen Kosten einen Mehrwert. Die anderen sorgen für schnellen, wiederholbaren Nutzen.
Das ist jedoch nicht das Ende von KI. Die Gewinner der KI-Ära werden nicht die Unternehmen mit den größten Plattformen oder den lautesten Versprechen sein, sondern jene, die Technologie bereitstellen, die einfach, praxisnah und sofort nutzbar ist. Der Hype-Zyklus ist endgültig ausgelaufen. KI muss sich nun ihren Platz verdienen – nicht durch Inszenierung, sondern durch Belege. Organisationen, die auf praktische KI setzen und sich an messbaren Ergebnissen statt an großen Erzählungen orientieren, werden das nächste Jahrzehnt des digitalen Fortschritts prägen. Die Ära der Inszenierung endet. Die Ära der Ergebnisse beginnt.