Industrieunternehmen stellen Lieferketten und Produktion neu auf

Protektionismus trifft die Industrie: Produktion wandert, Strategien ändern sich

Handelshemmnisse beeinflussen immer stärker die Standortentscheidungen, Produktionsmodelle und Lieferketten deutscher Industrieunternehmen.

Bild: ChatGPT, publish-industry
23.12.2025

Fast jedes zweite Industrieunternehmen ist stark von neuen Handelshemmnissen betroffen. Das geht aus einer Allensbach-Studie im Auftrag von FTI-Andersch hervor. Demnach verlagern viele Unternehmen ihre Produktion, passen ihre Portfolios an und bauen Kapazitäten in den USA oder China aus.

Im Auftrag von FTI-Andersch, der auf Restrukturierung, Business Transformation und Transaktionen spezialisierten Beratungseinheit von FTI Consulting, hat das Institut für Demoskopie Allensbach insgesamt 169 Top-Manager deutscher Industrieunternehmen telefonisch befragt. Unter den vom Protektionismus betroffenen Unternehmen versuchen bereits vier von fünf (80 Prozent), über ihre Verbände oder direkt selbst politischen Einfluss zu nehmen, um auf die Belastungen durch Handelshemmnisse aufmerksam zu machen.

„Der Dialog mit der Politik ist wichtig – aber er ersetzt keine Entscheidungen im Unternehmen. Protektionismus ist inzwischen eine Planungsgröße: Wer erst reagiert, wenn Zölle steigen, verliert Zeit, Marge und Lieferfähigkeit“, sagt Jens Paulus, Senior Managing Director und Leiter des Bereichs Geopolitical Risk Services bei FTI Consulting Deutschland. „Entscheidend ist, wie Unternehmen ihr Markt- und Produktionsmodell sowie ihre Lieferketten so aufstellen, dass sie auch bei kurzfristigen Änderungen im Zoll- und Handelsregime handlungsfähig bleiben.“

Maßnahmen gegen Handelshemmnisse

Zu den häufigsten direkten Reaktionen der betroffenen Unternehmen gehören Anpassungen der Märkte und der Produktion. Rund 47 Prozent der vom Protektionismus betroffenen Unternehmen richten ihre Absatzmärkte stärker auf weniger von Zollschranken betroffene Regionen aus oder planen diesen Schritt. Ein ähnlich großer Anteil baut identische Produktionslinien im Ausland auf oder zieht dies in Betracht, um Produkte bei tarifpolitischen Veränderungen direkt im Zielmarkt fertigen zu können.

39 Prozent passen ihr Produktportfolio an oder planen dies, um künftig weniger zollintensive Produkte zu priorisieren. Größere Standortentscheidungen bleiben zwar selten, finden aus volkswirtschaftlicher Sicht jedoch bereits signifikant häufig statt. Knapp ein Drittel (32 Prozent) baut Produktionskapazitäten in den USA oder China auf oder aus, während 21 Prozent Investitionen aus besonders exponierten Regionen zurückziehen oder diesen Schritt planen. Geopolitisch flexible Lieferverträge mit Ausstiegsklauseln nutzen oder planen 24 Prozent, Joint Ventures in Drittstaaten 16 Prozent.

„Viele Unternehmen sind bereits in die Umsetzung gegangen. Aber es sind noch zu wenige. Wer jetzt handelt, gewinnt Zeit und Erfahrung. Wer abwartet, muss später unter Druck entscheiden und zahlt am Ende mehr – im schlimmsten Fall mit Wettbewerbsfähigkeit. Entscheidend ist deshalb jetzt ein klares Risikoprofil: Wo sind wir durch Zölle und andere Handelsbarrieren am verwundbarsten? Und welche Maßnahmen haben Priorität?“, sagt Jens Paulus.

Unterschiede zwischen den industriellen Schlüsselbranchen

Die untersuchten Branchen sind ähnlich betroffen, reagieren jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Unternehmen der energieintensiven Industrie schaffen häufiger identische Fertigungskapazitäten im Ausland als Unternehmen der beiden anderen Branchen: 42 Prozent haben entsprechende Produktionslinien bereits etabliert, im Maschinen- und Anlagenbau sind es 34 Prozent und bei Automobilzulieferern 26 Prozent. Automobilzulieferer setzen dagegen häufiger am Produktportfolio an, um weniger von Handelsschranken betroffen zu sein: 34 Prozent haben ihr Portfolio bereits angepasst, gegenüber 28 Prozent in der energieintensiven Industrie und 22 Prozent im Maschinen- und Anlagenbau.

Im Maschinen- und Anlagenbau fällt auf, dass sich mehrere Schritte noch im Planungsstadium befinden, etwa der Aufbau identischer Produktionslinien im Ausland (22 Prozent) und die stärkere Ausrichtung auf weniger betroffene Absatzmärkte (14 Prozent). Geopolitisch flexible Lieferverträge mit Ausstiegsklauseln nutzen oder planen Unternehmen der energieintensiven Industrie deutlich häufiger als die beiden anderen Branchen. Insgesamt nutzen 36 Prozent der Unternehmen solche Verträge oder planen sie, bei Automobilzulieferern sind es 18 Prozent und im Maschinen- und Anlagenbau 16 Prozent. Ein Rückzug von Investitionen aus bestimmten Ländern oder Regionen ist insgesamt eher selten, wurde aber in der energieintensiven Industrie bereits von 23 Prozent der Unternehmen umgesetzt, während es bei Automobilzulieferern und im Maschinen- und Anlagenbau jeweils 16 Prozent sind.

„Die Muster passen zu den wirtschaftlichen Zwängen der Branchen: Energieintensive Unternehmen setzen bereits umfangreicher um, weil Kosten- und Standortdruck unmittelbar wirken. Im Maschinen- und Anlagenbau bestand dagegen vielerorts über Jahre eine stärkere Wettbewerbsposition, etwa durch Technologievorsprung und integrierte Services, sodass sie weniger von direktem Preisdruck betroffen waren. Jetzt ist die Lage neu: Viele Unternehmen erwarten zunehmend selbst den Verlust der Technologieführerschaft und damit an Preissetzungsmacht“, sagt Jens Paulus. „Entscheidend ist es darum, jetzt die eigenen Risiken sauber zu priorisieren und die wichtigsten Maßnahmen konsequent umzusetzen – bevor der nächste Zollschritt kommt.“

Methodik: Für den German Economic Pulse 2025 – State of German Industry hat das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Unternehmensberatung FTI-Andersch – der auf Restrukturierung, Business Transformation und Transaktionen spezialisierten Beratungseinheit von FTI Consulting – insgesamt 169 deutsche Industrieunternehmen telefonisch befragt. Im Fokus standen die Branchen energieintensive Industrie (64 Unternehmen), Maschinen- und Anlagenbau (58) sowie Automobilunternehmen (47). Die Stichprobe umfasst sowohl mittelständische Unternehmen (67 mit Umsatz < 100 Millionen Euro) als auch Konzerne (102 mit Umsatz > 100 Millionen Euro). Rund 80 Prozent der Interviews wurden mit Vorständen oder Geschäftsführern geführt, die restlichen mit Bereichsleitern der Bereiche Finance, Strategie und Vertrieb – die Ergebnisse spiegeln damit die Einschätzungen des Top-Managements wider.

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