Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung Grünes Systems Engineering

So funktioniert das Cradle-to-Cradle Prinzip in vereinfachter Form.

Bild: iStock, bsd studio
18.10.2023

Nachhaltigkeit wird zukünftig eine zunehmend wichtige Rolle bei der Entwicklung von Produkten und Systemen spielen. Dementsprechend neu muss sich zukunftsorientiertes Systems Engineering aufstellen und Aspekte wie Energieeffizienz, Verwendung umweltfreundlicher Materialien, Abfallminimierung und Wiederverwendbarkeit einbeziehen.

Grüne Technologien sind heute omnipräsent, man begegnet ihnen mittlerweile in so gut wie allen Lebensbereichen – Tendenz weiter steigend. Denn einer Studie zufolge rechnen Green Tech-Unternehmen in Deutschland bis 2025 mit einem durchschnittlichen jährlichen Umsatzwachstum von 9,9 Prozent.

Von 2020 bis 2030 wird sich das Marktvolumen mehr als verdoppeln, nämlich auf 856 Milliarden Euro (Studie „GreenTech Made in Germany“). Gute Aussichten also für Unternehmen, die Green Tech-Lösungen anbieten. Nicht nur private Verbraucher, sondern auch Unternehmen werden sich bei ihren Kaufentscheidungen zunehmend von Energie- und Ressourceneffizienz leiten lassen.

Nachhaltigkeitsaspekte werden künftig mehr denn je über langfristigen Markterfolg entscheiden. Das gilt auch für elektronische und mechatronische Produkte. Denn diese werden häufig unter Einsatz sehr knapper Ressourcen und mit hohem Primärenergieaufwand hergestellt.

Für Produktdesigner und -entwickler bedeutet das, dass sie ihre Arbeit künftig konsequent auf Nachhaltigkeitsaspekte hin ausrichten müssen. Dies gilt insbesondere auch für das Systems Engineering, das durch seinen interdisziplinären und strukturierten Ansatz perfekt dazu geeignet ist, dieser Komplexität gerecht zu werden. Denn Systems Engineering ist eine Methodik, die in der Lage ist, den Entwicklungsprozess genau an den Produktanforderungen auszurichten. Am Ende steht ein Produkt, das mit minimalen Ressourceneinsatz hergestellt wurde und auf allen Ebenen nachhaltiger ist – ökologischer, ökonomischer und sozial verträglicher.

Ansatzpunkte für mehr Nachhaltigkeit

Ansatzpunkte gibt es bei der Produktentwicklung gleich mehrere, meint man es ernst mit mehr Nachhaltigkeit und Effizienz:

  • Produktdefinition und -design

  • Auswahl von Technologien und Materialien

  • Lebenszyklus der Produkte

Steht man am Anfang dieses gewollten ökologischen Umbruchs in der Produktentwicklung, wird man nicht umhinkommen, alle drei Aspekte in das neue Entwicklungskonzept zu integrieren. Es liegt dabei nahe, dass die Definition und das Design des geplanten nachhaltigen Produkts den Anfang machen. Die Herausforderung: das Produkt so zu gestalten, dass es

  • auf Langlebigkeit ausgelegt ist

  • sich leicht reparieren lässt

  • aus umweltfreundlichen und eventuell sogar recyclebaren Materialien besteht

  • unter Verwendung umweltfreundlicher Technologien hergestellt wird.

Eine Herausforderung besteht dabei darin, dass nachhaltige Materialien und Technologien oft teurer sind als herkömmliche, und dies zu höheren Produktionskosten führt. Das liegt unter anderem daran, dass sie bisher eher selten eingesetzt werden – und folglich in geringen Stückzahlen hergestellt, was mit höheren Preisen verbunden ist.

Beispiele dafür sind die Nutzung alternativer Energieversorgungen oder der Einsatz spezieller Fertigungstechnologien. Produkte, die auf nachhaltigem Weg hergestellt werden, sind deshalb derzeit häufig teurer als konventionell produzierte. Weitere kritische Faktoren, die der Herstellung eines umweltfreundlichen Produkts entgegenstehen, sind die Rohstoffverfügbarkeit und die Produktionskosten.

Nachhaltigkeit zieht sich über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg: Vom Entwurf, Materialauswahl, Herstellung über Wartung und im Idealfall bis hin zur Wiederverwertbarkeit. Dementsprechend komplex mutet die Umsetzung des ersten nachhaltigen Produkts für viele Unternehmen an.

Design to Nachhaltigkeit – Wege zur Umsetzung

Jahrzehntelang folgte die Produktentwicklung dem Prinzip „Design to Cost“, das mit dem Ziel möglichst geringer Entwicklungskosten verbunden ist. Die Abkehr davon fällt den meisten Unternehmen schwer, da die Berücksichtigung ökologischer Aspekte in der Regel zwangsläufig mit höheren Kosten verbunden ist.

Weil Verbraucher und Gesetzgeber aber zunehmend nachhaltige Produkte fordern, muss nun ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden, der sowohl Kosten- als auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt. Einer, der es versteht, „Design to Cost“ mit dem neuen Prinzip „Design to Nachhaltigkeit“ zu verbinden – oder letzteres sogar als neuen Standard zu etablieren.

Dazu muss von Anfang an die traditionelle Betrachtung von Kosten und Funktionalität erweitert und das Thema Nachhaltigkeit bewusst in den gesamten Entwicklungsprozess integriert werden. Erreicht werden kann dies durch ein ganzheitliches Denken, klare Nachhaltigkeitsziele, Fachwissen über nachhaltige Materialien und Prozesse, systematische Analyse und Bewertung sowie die Zusammenarbeit mit relevanten Stakeholdern.

Erfolgsentscheidend ist dabei die Definition klarer und messbarer Nachhaltigkeitsziele. Diese sollten sich auf umweltbezogene Faktoren wie Ressourcenschonung, Energieeffizienz, Emissionsreduzierung und Abfallminimierung konzentrieren, aber auch soziale Aspekte wie Arbeitsbedingungen und soziale Gerechtigkeit berücksichtigen.

Ebenso wichtig ist fundiertes Wissen im Unternehmen über nachhaltige Materialien und Prozesse. Dies umfasst das Verständnis von Recyclingfähigkeit, Biokompatibilität, erneuerbaren Materialien und Verfahren zur Energieeinsparung. Fehlt dafür intern das Knowhow, können für das Projekt auch Experten für Nachhaltigkeit oder Umweltmanagement an Bord geholt werden. Und auch der Austausch mit Kunden, Lieferanten und Forschungseinrichtungen kann wertvollen Input bringen.

Systems Engineering als Umsetzungshelfer

Grundsätzlich muss klar sein: das Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit muss in allen Phasen der Produktentwicklung da sein – und bei den beteiligten Stakeholdern erst einmal geschaffen werden. Denn diese sind gefordert, bisherige Best-Practices bei der Produktgestaltung neu zu überdenken und an Nachhaltigkeitskriterien und -anforderungen neu auszurichten. Gesetzte Konzepte müssen neu gedacht werden. Und es muss frühzeitig eine konsequente Abwägung zwischen Nachhaltigkeit, Kosten und Funktionalität erfolgen.

Sprich: die Anpassung bestehender und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle ist die Voraussetzung dafür, die Herstellung nachhaltiger Produkte rentabel zu machen.

Was bedeutet all das konkret? Wie kann das Thema in der Praxis angegangen werden? Best-Practices des Systems Engineering sind nach wie vor gut geeignet, um auch diese Fragestellungen systematisch zu lösen, an – ein Methodenkoffer bestehend aus bewährten Vorgehensweisen und Prinzipien, die bei der Entwicklung komplexer Systeme Anwendung finden und auch bei der von nachhaltigen Produkten funktionieren. Dazu zählen:

  • Ganzheitlicher Ansatz: Systematische Betrachtung des gesamten Lebenszyklus des Produkts einschließlich seiner Wechselwirkungen mit der Umwelt – immer unter der Prämisse, negative Umweltauswirkungen zu minimieren.

  • Anforderungsmanagement: Stellt sicher, dass Nachhaltigkeitsaspekte in den Entwicklungsprozess einfließen – durch messbare Nachhaltigkeitsziele, die während des gesamten Entwicklungsprozesses überwacht werden.

  • Systemmodellierung und Simulation: Zeigen die Auswirkungen von Designentscheidungen auf die Nachhaltigkeitsleistung des geplanten Produkts.

  • Lebenszyklusanalyse (LCA): Hilft bei der Bewertung von Umweltauswirkungen eines Produkts über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg. Unter anderem durch Datensammlung und -analyse, die als Basis für Managemententscheidungen dienen.

  • Berücksichtigung von Normen und Standards: Zertifizierungen wie LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) oder „Cradle to Cradle“ (C2C) decken bestimmte Nachhaltigkeitsaspekte von selbst ab und können bei der Entwicklung nachhaltiger Produkte als Richtlinien dienen.

Nimmt man das Beispiel des Cradle-to-Cradle-Designprinzips – ein Ansatz, der die sichere und potenziell unendliche Nutzung von Materialien und Nährstoffen in Kreisläufen vorsieht – so ist man mit dessen Umsetzung bereits auf einem guten Weg.

Fazit

Der Weg zu nachhaltigeren Produkten erfordert – auch in der Welt industrieller Produkte und Systeme – ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit in allen Phasen der Produktentwicklung, eine Abwägung zwischen Nachhaltigkeit, Kosten und Funktionalität, eine Anpassung von Geschäftsmodellen und die Verwendung von Methoden, die den Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen.

Nur so kann Nachhaltigkeit als Chance zur Differenzierung und zur Erweiterung des Geschäftes genutzt werden. Wer jetzt damit startet, kann sich einen sehr großen Vorsprung sichern.

So ergab eine jetzt aktuelle Studie (PAC Studie: „IT & Sustainability – Reifegradindex 2023“), dass derzeit nur vier von zehn deutschen Unternehmen bereits Nachhaltigkeitsziele verabschiedet haben, deren Erreichung mit konkreten Kennzahlen gemessen werden soll. Das wundert, denn immerhin versprechen sich 90 Prozent der Befragten davon Wettbewerbsvorteile – zum Beispiel durch einen effizienteren Ressourceneinsatz und eine optimierte Auslastung.

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