Im Rahmen des vom Freistaat geförderten Forschungsprojektes ZO.RRO II analysiert eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Regenerative Energietechnik (in.RET) der Hochschule Nordhausen, wie sich unterschiedliche Ausbaupfade der Windkraft auf die Struktur und die Gesamtkosten der Energieversorgung in Thüringen bis 2045 auswirken. Grundlage der Analyse ist ein detailliertes Energiesystemmodell, das die regionale Energieversorgung im Stundenverlauf abbildet und sowohl technische Potenziale als auch künftige Energiebedarfe berücksichtigt.
Windkraft als Kostentreiber des Energiesystems
Die Ergebnisse zeigen, dass die Verfügbarkeit von Windkraft die Kosten und die Zusammensetzung des Energiesystems stark beeinflusst. In den Modellrechnungen wurde das Windkraftpotenzial variiert: von einem Ausbau auf 2,2 Prozent der Landesfläche, wie es in der Regionalplanung derzeit vorgesehen ist, bis zu einem völligen Verzicht auf Windkraftanlagen. Während die erste Variante das Kostenoptimum darstellt, steigen die Kosten mit jeder Verringerung der verfügbaren Windkraftleistung weiter an. Ein vollständiger Verzicht auf Windkraftanlagen würde die Versorgung Thüringens mit Energie schließlich um 45 Prozent verteuern.
Bei einer an den regionalen Bedarfen orientierten Beschränkung des Ausbaus erneuerbarer Energien werden für die kostenoptimale Lösung etwa zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft benötigt. Sinkt das Windkraftpotenzial unter 0,8 Prozent der Landesfläche, kann sich Thüringen nicht mehr bilanziell selbst versorgen – das Land würde zum Energieimportland.
Fehlende Windstrommengen lassen sich durch einen verstärkten Ausbau der Photovoltaik nur bedingt kompensieren, da Photovoltaikanlagen insbesondere im Sommerhalbjahr Energie produzieren, Windkraftanlagen hingegen vor allem im Winter. Eine Verringerung des verfügbaren Windkraftpotenzials führt in Thüringen zu einer Winterstromlücke, die durch den Import von vergleichsweise teurem Strom ausgeglichen werden muss. Die Modellrechnungen zeigen, dass ein Kostenoptimum bei einem Verhältnis von Wind- zu Photovoltaikleistung von 1:1,4 gegeben ist. Wird von diesem Verhältnis zu Ungunsten der Windkraft abgewichen, so führt dies zu höheren Gesamtkosten des Energiesystems.
Technologieoffenheit braucht Kostentransparenz
„Die Ergebnisse bestätigen, dass eine Diskussion über Technologieoffenheit zwingend eine Kostentransparenz erfordert. Technologien können nur seriös miteinander verglichen werden, wenn ein Preisschild daran hängt“, so Prof. Dr.-Ing. Viktor Wesselak, Projektleiter von ZO.RRO II seitens der Hochschule Nordhausen.
Die Modellrechnungen berücksichtigen darüber hinaus die Wechselwirkungen mit weiteren Energiesektoren. So können beispielsweise bei ausreichend verfügbaren Windstrommengen Power-to-Heat-Anlagen und lokale Wärmespeicher zur Fernwärmeversorgung eingesetzt werden. Die Thüringer Biomassepotenziale werden bereits heute intensiv genutzt und stehen nur bedingt für eine Ausweitung im Bereich der Wärmebereitstellung zur Verfügung. Für bestehende Biogasanlagen zeigt das Modell einen Vorteil, wenn sie auf die Produktion von Biomethan umgestellt werden, da dies zur Deckung des auch im Jahr 2045 noch bestehenden Brenngasbedarfs beiträgt.
Methodik, Annahmen und Ergebnisse wurden erstmals Anfang November auf dem 32. Energiesymposium in Stralsund vorgestellt. Das vollständige Paper mit dem Titel „Einfluss des Windkraftanteils am Energiemix auf die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten des Energiesystems – Das Beispiel Thüringen“ ist hier abrufbar.
Das Projekt ZO.RRO II KMU unter der gemeinsamen Leitung der Hochschule Nordhausen und des Thüringer Erneuerbare Energien Netzwerk (ThEEN) wird gefördert vom Freistaat Thüringen durch das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie, Naturschutz und Forsten. Ziel ist es, realistische Zukunftsszenarien einer klimaneutralen Energieversorgung für den gesamten Freistaat Thüringen zu berechnen sowie konkret für kleine und mittlere Unternehmen der Thüringer Industrie (KMU). Aus diesen Pilotprojekten erfolgt abschließend bis Juli 2026 ein wertvoller Wissenstransfer für die Thüringer Wirtschaft und darüber hinaus. Kern der Arbeiten sind digitale Werkzeuge, wie die Energiesystemmodellierung, die auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen.