Moderne Energiesysteme müssen eine Vielzahl von Komponenten koordinieren, um erneuerbare Energien effizient nutzen zu können. Denn neben Netzbetreibern speisen auch Unternehmen sowie private Erzeuger und Erzeugerinnen Energie aus eigenen Photovoltaik- oder Windkraftanlagen ins Netz ein. Energie, die aus Wind oder Solar gewonnen wird, ist stark wetterabhängig und unterliegt folglich natürlichen Schwankungen. Zudem hat sich die Energienutzung durch Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen verändert, sodass es zu Lastspitzen kommen kann, also Zeiten, in denen das Netz besonders stark belastet wird.
Warum moderne Energiesysteme flexible Verbraucher brauchen
Eine Möglichkeit, diese Schwankungen auszugleichen, sind Flexibilitäten. Damit ist gemeint, dass der Verbrauch, die Einspeisung und die Speicherung von Energie zeitlich angepasst werden. Dazu gehören beispielsweise Haushalte, die eine Wärmepumpe oder ein Elektroauto zeitlich gesteuert laden, oder Betriebe, die ihre Maschinenproduktion verschieben können, um Lastspitzen zu vermeiden. Flexibilitäten können auch Speicher sein (Batterien, Wärmespeicher), die Strom aufnehmen und bei Bedarf wieder abgeben.
Um die Netzauslastung zu verbessern und Anreize für die Nutzung von Flexibilitäten zu schaffen, hat die Bundesnetzagentur im Jahr 2024 Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes überarbeitet. Dadurch können Netzbetreiber die Energieeinspeisung und -nutzung durch Kunden und Kundinnen vorübergehend herunterregeln oder verschieben, um das Netz zu entlasten. Voraussetzung dafür ist, dass die Kunden und Kundinnen steuerbare Geräte sowie Smart Meter – digitale Stromzähler zur automatischen Erfassung und Übertragung von Verbrauchsdaten – nutzen. Im Gegenzug erhalten sie einen Nachlass beim Netzentgelt.
Netzbetreiber benötigen verlässliche Technologien, um die Flexibilitäten ihrer Kundinnen und Kunden effizient und gesetzeskonform zu steuern. Die Herausforderung besteht nicht nur darin, diese Technologien zu entwickeln, sondern auch darin, sie vor ihrem Einsatz zu testen. Dies ist im realen Energienetz nicht möglich, da Tests die Stabilität des Netzes gefährden können. Im Rahmen des Transferprojektes „Verteilte Infrastrukturen für technologiegestützte Innovationen im Verteilnetz“ (VITAL) schaffen die Forschenden daher eine sichere Testumgebung für Netzbetreiber.
Kopplung der Energielabore NESTEC und SESA
Die Forschenden des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und des Informatikinstituts OFFIS verfügen über zwei Energieforschungslabore, die sie im Rahmen des Transferprojekts miteinander koppeln werden. Im „Networked Energy Systems Emulation Centre“ (NESTEC) des DLR wird ein Stromnetz nachgebaut, das Haushalte und Betriebe versorgt. Das „Smart Energy Simulation and Automation“-Labor (SESA) des OFFIS stellt die digitale Steuerungs- und Überwachungsebene dar. Es sorgt also dafür, dass die Abläufe im nachgebauten Netz kontrolliert und geregelt werden.
Ziel ist es, mit der Kopplung der beiden Labore eine Testinfrastruktur aufzubauen, die die Komponenten eines modernen Energiesystems (Stromnetz, Informations- und Kommunikationstechnologien, Kundinnen und Kunden, Netzbetreiber) beinhaltet. Im NESTEC sollen realistische Netzauslastungen nachgebildet werden. Gleichzeitig werden kontinuierlich Daten zum Zustand des Stromnetzes an das SESA-Labor übermittelt. Von dort werden Steuerbefehle zur Regulierung des Stromnetzes zurückgeschickt, um dessen Stabilität zu sichern. Mithilfe dieser Infrastruktur können verschiedene Szenarien – auch kritische Netzüberlastungen – abgebildet werden. Somit können Netzbetreiber ihre digitalen Anwendungen zur Steuerung flexibler Geräte (sogenannte Netzregler) in einer sicheren Umgebung testen.
„Die Herausforderung besteht darin, eine geeignete Schnittstellenstruktur zwischen NESTEC und dem SESA-Labor zu schaffen, die schnell genug ist, um wichtige Prozesse in Echtzeit zu kommunizieren und eine Synchronität in der Datenbereitstellung zu gewährleisten. Hierbei wird die frühere Arbeit des Zukunftslabors Energie zur Laborkopplung weiterentwickelt, um NESTEC und das SESA-Labor miteinander zu verbinden und eine hinreichende Präzision in der Laborkopplung zu erreichen“, erklärt Frank Schuldt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Test des Netzreglers im überlasteten Niederspannungsnetz
Die Forschenden arbeiten mit dem Netzbetreiber EWE Netz zusammen. Dieser wird realistische Anwendungsfälle für die Testinfrastruktur beisteuern. Außerdem hat EWE Netz einen Netzregler entwickelt, der im Rahmen der Laborkopplung getestet werden soll. Dieser ist speziell für das Management von Flexibilitäten im Niederspannungsnetz ausgelegt. Geplant ist, das Netz absichtlich zu überlasten, sodass der Netzregler aktiv werden muss. Er soll flexible Verbraucher, zum Beispiel Wärmepumpen oder Ladegeräte für Elektrofahrzeuge, ansteuern und ihren Stromverbrauch reduzieren. In den Laboren werden die Forschenden anschließend prüfen, ob der Eingriff des Netzreglers erfolgreich war und das Stromnetz stabilisiert wurde.
„Die detaillierte Modellierung der Betriebs- und Informationsaustauschkomponenten wird die Testumgebung bereichern, indem sie es ermöglicht, den Einfluss von Datenproblemen wie Latenzzeiten, Datenverlusten und Fehlern zu bewerten. Dies kann genutzt werden, um das Verhalten des Netzreglers umfassend zu analysieren unter Berücksichtigung extremer Netz- sowie Informationsaustausch-Szenarien“, sagt Prof. Dr. Sebastian Lehnhoff vom OFFIS-Institut für Informatik.