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Ansteckungsgefahr mit Sars-CoV-2 Wie hoch ist das Infektionsrisiko in Skigebieten wirklich?

Skigebiete gelten als Infektionsherd für das Coronavirus. Forscher der Empa wollten es genauer wissen.

Bild: Streamwise / Video: Empa

03.02.2021

Forscher haben das Infektionsrisiko mit Sars-CoV-2 in Skigebieten untersucht. Mithilfe von Messungen und Simulationen in Gondeln und Seilbahnkabinen berechneten sie Luftströme und Virenverteilung. Das Ergebnis: Jemanden zum Abendessen einzuladen, ist unter Umständen riskanter als ein Skiausflug.

Skifahren während Corona: Seit Ischgl ist der beliebte Wintersport etwas in Verruf geraten. Nicht zuletzt, weil sich dort meist viele Menschen auf engem Raum tummeln, unter anderem in Seilbahnkabinen und -gondeln.

Ein Team der Empa-Abteilung „Multiscale Studies in Building Physics“ um Ivan Lunati hat nun einen Feldversuch in Kabinen der schweizerischen Firma Bergbahnen Engelberg-Trübsee-Titlis (BET) durchgeführt. Untersucht wurden drei Kabinentypen: eine kleinere Gondel namens Omega 3 mit einem Volumen von gut 5 m3 für maximal acht Passagiere und zwei größere Kabinen mit Raum für 80 beziehungsweise 77 Menschen und einem Volumen von knapp 40 beziehungsweise knapp 50 m3.

Luftströme durch offene Fenster

Wie sich die Luft in diesen Fahrzeugen bewegt, ließ das Empa-Team zunächst mit einem mobilen System erkunden: In Zusammenarbeit mit der Firma Streamwise wurde mittels Luftdrucksensoren die räumliche Verteilung der Strömung in Echtzeit erfasst. Aus diesen Daten berechneten die Forscher dann „Luftaustausch-Raten“ für die jeweiligen Kabinentypen.

In die gleiche Richtung zielten Messungen des CO2-Gehalts, der als gutes Maß für den Luftaustausch in Innenräumen gilt. Bei Fahrten in der kleinsten Kabine von der Talstation zur Bergstation in gut 2.400 m Höhe erfassten zwei Sensoren – einer auf Kopf-, der andere auf Bauchhöhe – die Konzentration des Gases.

Die Resultate: Waren beide Schiebefenster an der rechten Gondelseite geschlossen, stieg der Wert bis zum nächsten Halt, an dem die Türen öffneten, nahezu linear an. War eines der beiden Fenster geöffnet, fiel der CO2-Anstieg deutlich geringer aus. Und bei zwei offenen Fenstern stabilisierte sich der Wert rasch um 500 ppm (parts per million), nach einem Anfangswert von 400 ppm, was der Außenluft entspricht.

Die CO2-Messkampagne dauert zwar noch an, doch sie hat bereits die Resultate der Messungen mit den Luftdrucksensoren bestätigt. Konkret: In der kleinsten Kabine wurde die Luft 138-mal pro Stunde ausgetauscht, in der mittleren 180-mal und in der größten nur 42-mal. Die Ursachen sind laut Lunati die aufklappbaren Fenster im Dach der Gondel: „Im Gegensatz zu den anderen Kabinen ist der Luftstrom durch den Fahrtwind sehr sensibel“, erklärt er. „Dort herrschen kompliziertere Strömungsverhältnisse, die weniger effizient sind.“

Auf den ersten Blick mag die Zahl von 42 Luftwechseln pro Stunde gering erscheinen, doch ein Vergleich mit anderen Innenräumen rückt den Eindruck ein wenig zurecht: In einem Zugwaggon finden sieben bis 14 Luftwechsel statt, in einem durchschnittlichen Zweierbüro sogar nur etwa ein Luftwechsel pro Stunde. In Seilbahnkabinen tragen geöffnete Fenster also klar dazu bei, das Risiko einer hohen Aerosolkonzentration zu verringern.

Wahrscheinlichkeit eines unerkannten Corona-Falls

Doch was ist mit der Emissionsrate an Erregern? Ein kniffliger Punkt, sagt Lunati, weil manche Eigenschaften von Sars-CoV-2 noch ungeklärt sind. Zudem hängt der Ausstoß bekanntlich auch vom Verhalten eines infizierten Menschen ab. Atmet dieser ruhig oder ist er vom Skifahren so angestrengt, dass er heftig schnauft? Lacht er, spricht er – und wenn ja, laut oder leise? Gute Daten dazu sind laut Lunati derzeit rar. Noch dazu sei physikalisch nicht vollständig geklärt, wie sich Tröpfchen und Aerosole in einem Raum exakt ausbreiten.

Um der Wirklichkeit so nah wie möglich zu kommen, haben die Empa-Forscher die Rechenmodelle, die für die Abschätzung von Virenausstoß oft benutzt werden, verbessert und entwickelten damit ihre eigene Abschätzung. Dabei ließen sie auch die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung mit einfließen – also die Wahrscheinlichkeit, dass in einer Kabine ein, zwei oder sogar mehr Virusträger anwesend sind.

Ein einfaches Zahlenbeispiel für eine Kabine mit fünf Menschen: Bei einer Verbreitung des Virus von 0,1 Prozent der Bevölkerung läge die Wahrscheinlichkeit, dass eine unerkannt infizierte Person anwesend ist, statistisch bei rund 1:200 – und bei 1:10.000, dass zwei Infizierte anwesend sind. Im Falle einer größeren Verbreitung von einem Prozent der Bevölkerung wäre dieses Risiko entsprechend 1:20 für einen und 1:1.000 für zwei Infizierte.

Dass jede 100. Person infiziert ist, sei als Spitzenwert während einer Pandemie durchaus realistisch, erklärt Lunati; es entspricht auch den Resultaten des Massentests in Graubünden. Ein real möglicher Fall, bei dem 80 Menschen eine vollbesetzte Kabine bevölkern, wäre in diesem Fall freilich schon heikler: Dann liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person unerkannt infiziert ist, laut den Empa-Fachleuten bei rund 36 Prozent. Und dass zwei Passagiere infiziert sind, bei rund 14 Prozent.

Risiken im Vergleich: Abendessen, Zweierbüro, Seilbahn

Mit diesen und anderen Faktoren wie etwa der Zeitspanne, in der Erreger inaktiv werden, errechneten die Forscher zunächst Infektionsrisiken für anfällige Personen in der Kabine und daraus dann ein Risiko für sämtliche Passagiere. Wichtigste Parameter sind die Luftaustauschrate, die Anzahl der Infizierten pro Luftvolumen und die gesamte Verweildauer.

Die Resultate für eine kleinere Seilbahnkabine (acht Personen, offene Fenster) veranschaulicht ein Vergleich mit anderen Orten: Ein Dinner-Event auf 30 m2 mit acht Menschen, die sich laut unterhalten, wäre demnach massiv riskanter. Auch ist das Infektionsrisiko einer zwölfminütigen Fahrt mit der kleineren Kabine deutlich geringer als etwa bei einem achtstündigen Arbeitstag in einem Zweierbüro mit 20 m2, dessen „Luftfüllung“ einmal pro Stunde ersetzt wird. Wenn die Fenster also offenbleiben, bedeutet ein Skitag mit einigen Kabinenfahrten ein deutlich geringeres Ansteckungsrisiko als ein Arbeitstag in einem wenig belüfteten Zweierbüro.

Die Abschätzungen der Empa-Forscher sind zunächst für den Fall „ohne Masken“ ausgelegt. „Wir wollten das reine Infektionsrisiko durch Aufenthalte in Seilbahnkabinen ermitteln“, erklärt Lunati. „Wenn sie richtig getragen werden, reduzieren Masken das Risiko entsprechend ihrer jeweiligen Filterleistung. Sie schützen vor allem vor der größeren Tröpfchenübertragung, zum Beispiel durch Sprechen, sehr gut.“

Husten im Fokus

In Zukunft wollen die Empa-Forscher ihre Rechenmodelle weiter verfeinern und auch völlig neue Ansätze entwickeln, um dem Verhalten von Sars-CoV-2-Erregern noch näher zu kommen. So soll etwa eine „Hust-Maschine“ die Datengrundlage für den Ausstoß von Viren verbessern: Aus zwei Zylindern, vergleichbar mit Lungenflügeln, gelangt über Schläuche spezielle Druckluft in einen „Kopf“. Er ist auf Körpertemperatur aufgeheizt und mit Feuchtigkeit und Tröpfchen angereichert, deren Verbreitung zwei Kameras aufzeichnen. Das eignet sich auch für Tests von künftigen Schutzmasken.

Mit dem Seilbahnkabinenhersteller CWA in Olten, der die Forschung verfolgt und unterstützt hat, sind bereits Gespräche über eine Kooperation im Gange. „Das Thema Luftaustausch wurde bislang eher stiefmütterlich behandelt“, sagt Massimo Ratti, CTO von CWA. Daten wie diejenigen von der Empa seien da wirklich hilfreich – nicht nur in der aktuellen Lage, sondern auch mit Blick auf künftige Seilbahnen im öffentlichen Nahverkehr. Dort seien die Ansprüche schließlich noch höher als in Skigebieten, erklärt der Fachmann: „Wir wären sehr daran interessiert, bei einem Forschungsprojekt für Kabinen mit noch besserer Luftzirkulation mitzumachen.“

Bildergalerie

  • Aerodynamik in der Kabine: An den Fenstern misst ein Spezialist die Luftströme mithilfe von Luftdrucksensoren.

    Aerodynamik in der Kabine: An den Fenstern misst ein Spezialist die Luftströme mithilfe von Luftdrucksensoren.

    Bild: Streamwise

  • Die Farben und Pfeile zeigen in Echtzeit an, wie stark und in welche Richtung die Außenluft in die Kabine „fließt“.

    Die Farben und Pfeile zeigen in Echtzeit an, wie stark und in welche Richtung die Außenluft in die Kabine „fließt“.

    Bild: Streamwise

  • Vergleich der Infektionsrisiken in drei unterschiedlichen Situationen (bei einem Ein-Prozent-Anteil an Infizierten in der Bevölkerung): Die blaue Kurve zeigt die Wahrscheinlichkeit bei einer zwölfminütigen Fahrt in einer Gondel für maximal acht Personen. Die grüne Kurve zeigt sie für zwei Menschen, die sich acht Stunden in einem 20-m2-Büro befinden. Die orange Kurve zeigt sie für acht Personen, die sich in einem 30-m2-Raum bei geschlossenen Fenstern laut unterhalten, zum Beispiel bei einem Dinner.

    Vergleich der Infektionsrisiken in drei unterschiedlichen Situationen (bei einem Ein-Prozent-Anteil an Infizierten in der Bevölkerung): Die blaue Kurve zeigt die Wahrscheinlichkeit bei einer zwölfminütigen Fahrt in einer Gondel für maximal acht Personen. Die grüne Kurve zeigt sie für zwei Menschen, die sich acht Stunden in einem 20-m2-Büro befinden. Die orange Kurve zeigt sie für acht Personen, die sich in einem 30-m2-Raum bei geschlossenen Fenstern laut unterhalten, zum Beispiel bei einem Dinner.

    Bild: Empa

  • Weniger Passagiere, weniger Infektionsrisiko: Die oberste Kurve zeigt das Infektionsrisiko für eine Vollbesetzung mit acht Personen, die mittlere für fünf Personen und die untere für vier Personen.

    Weniger Passagiere, weniger Infektionsrisiko: Die oberste Kurve zeigt das Infektionsrisiko für eine Vollbesetzung mit acht Personen, die mittlere für fünf Personen und die untere für vier Personen.

    Bild: Empa

  • „Hust-Maschine“ an der Empa: Über Schläuche gelangt Druckluft bis zu einem „Mund“, in dem Feuchtigkeit angelagert ist. Zwei Kameras erfassen dann, wie sich diese Tröpfchen durch Atemereignisse wie Husten in der Luft verbreiten.

    „Hust-Maschine“ an der Empa: Über Schläuche gelangt Druckluft bis zu einem „Mund“, in dem Feuchtigkeit angelagert ist. Zwei Kameras erfassen dann, wie sich diese Tröpfchen durch Atemereignisse wie Husten in der Luft verbreiten.

    Bild: Empa

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