Entwicklungstools & Prototyping Weg mit der Wärme

Bild: Heger Leiterplatten-Schnellservice
13.06.2014

Sollen elektronische Baugruppen auf Leiterplatten stets funktionsfähig sein, müssen intelligente Entwärmungskonzepte zum Einsatz kommen. Ein neuer Ansatz ist die Entwärmung von FR4-Leiterplatten durch das Hinterspritzen mit wärmeleitfähigen Kunststoffen. Das Konzept kombiniert die lokale Wärmeabfuhr am Bauteil mit der Wärmespreizung entlang der Leiterplatte.

Über 55 Prozent aller Ausfälle von elektronischen Baugruppen geschehen aufgrund von dauerhaft zu hohen Bauteiltemperaturen auf Leiterplatten. Die vermehrten Kühlprobleme sind vorwiegend auf eine steigende Funktions- und Anschlussdichte von Leistungsbauteilen sowie auf zunehmende Packungsdichte und immer anspruchsvollere Einsatzbedingungen zurückzuführen. Hierdurch ergibt sich eine verstärkte Notwendigkeit verbesserte Entwärmungstechnologien für Leiterplatten zu entwickeln. Entwärmungstechnologien für Leiterplatten beruhen zusammenfassend auf zwei unterschiedlichen Techniken, die im Folgenden kurz vorgestellt werden:

  • Die erste Technik besteht darin, die Wärmeabfuhr durch ein Material mit höherer Wärmeleitfähigkeit (> FR4 (0,25 W/mK)) lokal zu erhöhen. Eine lokal hohe Wärmeabfuhr lässt sich zum Beispiel durch den Einsatz von sogenannten Thermal Vias erreichen. Dabei handelt es sich um gebohrte Durchkontaktierungen, die speziell für den vertikalen Wärmetransport platziert werden [1]. Des Weiteren ermöglichen „Kupfer-Inlays“ eine lokal hohe Wärmeabfuhr. Hierzu wird ein massives Kupferteil lokal in voller Leiterplattendicke unterhalb des hoch wärmeeintragenden elektronischen Bauteils platziert [1].

  • Die zweite Technik beruht auf dem Prinzip der Erhöhung der Wärmespreizung. Dieses Prinzip wird etwa durch den Einsatz von Dickkupfer-Leiterplatten erzielt [2, 3]. Dabei werden gezielt dicke Kupferleiterbahnen – zum Beispiel 105 µm Dickkupfer, Standarddicken liegen bei 35 µm – in die Leiterplatte eingebracht, um die Wärme zu verteilen und abzuleiten. Über selektive Ätzmethoden werden grobe und feine Strukturen umgesetzt [2]. Des Weiteren lässt sich Wärmespreizung über die „Heatsink-Technologie“ verwirklichen. Dazu werden vorzugsweise dünne Leiterplatten mit Hilfe einer Wärmetransferkleberfolie großflächig auf Metallbleche – zum Beispiel 1 bis 4 mm Aluminiumblech – laminiert, die dann als „Heatsink“ fungieren [2].

Die zuvor beschriebenen konventionellen Entwärmungstechnologien sind in der Regel sehr kostenintensiv, da ihre Umsetzungen vorwiegend auf arbeitsaufwendige Herstellungsprozesse zurückzuführen sind. Nachteilig stellen sich im Vergleich zum neuen Technologieansatz zum Beispiel die fehlende Wärmespreizung bei der Kupfer-Inlay-Technologie sowie die eigentlichen Kosten des Inlay-Teils und die engen Pass-Toleranzen dar.

Im Fall der Dickkupfer-Leiterplatten ergeben sich die unwirtschaftliche und ökologisch unverträgliche Materialausnutzung sowie der Verbrauch an Ätzmedium als Nachteil. Im Fall der Heatsink-Technologie ist die Leiterplatte anschließend nur einseitig bestückbar. Zudem weist die Heatsink in der Regel einen deutlichen Abstand zum eigentlichen elektronischen Bauelement auf, welches die Verlustwärme abstrahlt. Außerdem sind eine teure mechanische Bearbeitung und eine aufwendige Verbindungstechnologie erforderlich, um Delamination zu vermeiden.

Entwärmung durch Hinterspritzen

Der neue Technologieansatz zur Entwärmung von Leiterplatten basiert hingegen auf dem Hinterspritzen von vorher strukturierten FR4-Leiterplatten mit wärmeleitfähig modifiziertem Kunststoff. Übergeordnete Funktionalitäten dieser aufgespritzten Schicht sind sowohl die Erhöhung der Wärmespreizung als auch das lokale Abführen von Wärme. Die hinterspritzten Leiterplatten werden nachfolgend bestückt und können optional mit Kühlkörpern versehen werden.

Weiterer Vorteil dieses Verfahrens ist die Miteinbeziehung eines hochautomatisierten Fertigungsverfahrens – dem Spritzgussprozess – mit dem der Auftrag eines wärmeleitfähig modifizierten Kunststoffes auf eine hohe Stückzahl von Leiterplatten innerhalb kürzester Zeit möglich ist. Zudem können zuvor eingebrachte Bohrungen und Aussparungen, welche beispielsweise die herkömmlichen Thermal Vias oder Kupfer-Inlays in der FR4-Leiterplatte ersetzen, in einem einzigen Prozessschritt mitgefüllt werden. Aufwendige Nachbearbeitung und weitere Prozessschritte entfallen. Zur Verwirklichung dieser Entwärmungstechnologie haben Entwicklungsingenieure zunächst ein angepasstes Leiterplattendesign ausgelegt, die entsprechende Spritzguss-Verfahrenstechnologie zum Hinterspritzen von konventionellen Leiterplatten angepasst sowie einen wärmeleitfähig modifizierter Kunststoff entwickelt.

Die Herausforderung bestand dabei darin, den Kunststoff so zu modifizieren, dass durch Hinzugabe von wärmeleitfähigen Füllstoffen eine Wärmeleitfähigkeit >0,25 W/mK erreicht wird, das Material elektrisch isoliert und die Haftung zum FR4 gegeben ist. Zudem ist es notwendig, dass der Schichtverbund aus FR4-Leiterplatte und wärmeleitfähigem Kunststoff verzugsfrei ist.

Thermoplasten und keramische Füllstoffe

Durch das Verwenden von Hochtemperatur-Thermoplasten sowie mit der Hinzugabe von ausdehnungsarmen keramischen Füllstoffen haben die Entwicklungsingenieure ihre angestrebten Ziele erreicht. Sie haben wärmeleitfähig modifizierte, jedoch elektrisch isolierende Kunststoffe mit zwei bis dreifach höherer Wärmeleitfähigkeit als im ungefüllten Zustand beziehungsweise als FR4 entwickelt. Diese haben sowohl eine geringe Feuchtigkeitsaufnahme (<0,15 Prozent (24 h) nach DIN EN ISO 62) als auch eine geringe thermische Ausdehnung (~ 22 ppm/K in Längsrichtung und ~ 32 ppm/K in Dickenrichtung gemäß IPC Norm 650, Methode 2.4.24C).

Trotz des hohen Füllstoffanteils (>30 Volumenprozent) und der Wärmeleitfähigkeit des Materials konnten die Ingenieure erfolgreich hinterspritzte FR4-Substrate auf einer serienmäßigen Spritzgussmaschine herstellen. Die Haftfestigkeit zwischen FR4-Substrat und wärmeleitfähigem Kunststoff ist ohne Hinzugabe von Haftvermittlern erzielt worden. Aufnahmen mit dem Rasterelektronenmikroskop bestätigten, dass eingebrachte Bohrkanäle im Spritzgussprozess erfolgreich mit dem wärmeleitfähigen Kunststoff gefüllt wurden.

Im Weiteren sind die erstellten Schichtverbunde einer anwendungsnahen Funktionsprüfung unterzogen worden. Hierzu haben die Ingenieure mittels regelbarem Dickschichtwiderstand (Typ RTO 50F) für 40 Minuten eine konstante Heizleistung von 2 W auf die strukturierte FR4-Oberfläche des Schichtverbundes aufgebracht. Mit Hilfe von Thermoelementen haben sie während dieses Vorgangs die Bauteiltemperatur detektiert. Als Referenz diente ein nicht hinterspritztes FR4-Substrat mit identischer Geometrie und identischem Leiterbild. Die Auswertung zeigte, dass mit Hilfe der Schicht aus wärmeleitfähig modifiziertem Kunststoff die Bauteiltemperatur unter identischen Bedingungen um bis zu 20 °C im Vergleich zur Referenz gesenkt werden konnte.

Die Funktionsprüfungen der Schichtverbunde und Reinmaterialien zeigten weiter, dass bei freier Konvektion bei Materialien mit Wärmeleitfähigkeiten von 1 bis 10 W/mK untereinander größere Unterschiede in den sich einstellenden Bauteiltemperaturen verzeichnet werden konnten als bei Materialien mit >10 W/mK. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass teure und hoch wärmeleitfähige Metalle wie Kupfer (zirka 400 W/mK) und Aluminium (zirka 235 W/mK) nicht immer unbedingt notwendig sind.

Rein thermoplastisches Substratmaterial

Zukünftig ist es denkbar auch das FR4-Substrat durch ein rein thermoplastisches Substratmaterial [4] zu ersetzen. Großer Vorteil daran wäre, dass dieses Substratmaterial für verschiedene Anwendungsbereiche und Entwärmungskonzepte durch entsprechende Kunststoff- und Füllstoffwahl maßgeschneidert werden könnte. Des Weiteren ließen sich rein thermoplastische Substratmaterialien vollständig recyceln, nachträglich thermisch umformen und in eine kontinuierliche Prozesskette integrieren. Zudem sind sie frei von toxischen Flammschutzmitteln und bleifrei lötbar.

Literatur

[1] Ludwig, N.: Kupfer-Inlays sind eine interessante Alternative zum Thermal Via, Elektronik Praxis, 2006
[2] Heinz, B.: Heiße LEDs auf coolen Leiterplatten, All-Electronics, 2011
[3] Fiehler, R., Schauer J.: Layoutkriterien und Designrules, EPP Elektronik Produktion & Prüftechnik, 2007
[4] Apeldorn, T.: Dissertation: Untersuchung Leiterplattensubstrat-spezifischer Eigenschaften von ausdehnungsarmen Compounds auf Basis von HT-Thermoplasten, Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften der Universität Bayreuth, 2013

Bildergalerie

  • Abbildung 1: Prinzip des Entwärmungskonzepts „Hinterspritzen mit wärmeleitfähig modifizierten Kunststoffen“

    Abbildung 1: Prinzip des Entwärmungskonzepts „Hinterspritzen mit wärmeleitfähig modifizierten Kunststoffen“

    Bild: Heger Leiterplatten-Schnellservice

  • Abbildung 2: REM-Aufnahme einer mit einem wärmeleitfähig modifizierten Kunststoff hinterspritzten FR4-Leiterplatte (links). Detailaufnahme von mit wärmeleitfähig modifiziertem Kunststoff gefüllten Bohrkanälen in der FR4-Leiterplatte (rechts).

    Abbildung 2: REM-Aufnahme einer mit einem wärmeleitfähig modifizierten Kunststoff hinterspritzten FR4-Leiterplatte (links). Detailaufnahme von mit wärmeleitfähig modifiziertem Kunststoff gefüllten Bohrkanälen in der FR4-Leiterplatte (rechts).

    Bild: Heger Leiterplatten-Schnellservice

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