Maschinenbedienung mit intuitiven HMIs neu gedacht So lässt sich der Fachkräftemangel in der Produktion abfedern

Ein neues HMI-Konzept des Fraunhofer IPA erleichtert die Maschinenbedienung durch grafische Schritt-für-Schritt-Anleitungen für Fachkräfte und Quereinsteiger.

Bild: iStock, subinpumsom
04.10.2025

Fachkräftemangel zwingt zum Umdenken: Forscher des Fraunhofer IPA haben die Maschinenbedienung so vereinfacht, dass künftig auch Quereinsteiger komplexe Anlagen umrüsten können. Gemeinsam mit MBO Postpress Solutions entstand ein neues HMI-Konzept mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen und schneller Konfiguration.

Was bisher nur Fachkräften vorbehalten war, sollen bald auch Quereinsteiger schaffen. Eine Falzmaschine umzurüsten, ist eine Aufgabe für echte Profis. Eine solche Maschine faltet in Druckereien Broschüren, Prospekte, Landkarten und vieles mehr – mehrere Zehntausend Exemplare pro Stunde. Je nach Maschinentyp und Auftrag sind dafür sehr viele verschiedene Einstellungen nötig, die entweder direkt an der Maschine oder über die sogenannte Mensch-Maschine-Schnittstelle (HMI) vorgenommen werden. Ein erfahrener Buchbinder schafft das in 15 bis 20 Minuten, doch dieser Berufsstand ist vom Aussterben bedroht. Bundesweit zählte der Zentralverband des Deutschen Handwerks im Jahr 2022 nur noch 1.646 Buchbinder.

In deutschen Druckereien stehen deshalb inzwischen oft Quereinsteiger an den Maschinen. „Solange ein Auftrag abgearbeitet wird, ist das kein Problem. Aber sobald es ans Umrüsten geht, sind sie oft auf die Hilfe von Fachkräften oder erfahreneren Kollegen angewiesen“, sagt Raphael Hägle vom Forschungsteam »Intelligente Fertigungsprozesse und Interaktionssysteme« am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. „Während der Umrüster die Falzmaschine neu einstellt, hat der Maschinenbediener Leerlauf. Dabei könnte er die Maschine auch selbst umrüsten, wenn das Bedienkonzept der Maschine so gestaltet wäre, dass es ihn dabei Schritt für Schritt anleitet.“

Individuelle Schritt-für-Schritt-Anleitung

Genau das hat Hägle in Zusammenarbeit mit der Firma MBO Postpress Solutions nun am Beispiel einer Falzmaschine getan. Dazu hat der Wissenschaftler zunächst Nutzerrollen festgelegt. Dadurch wird sichergestellt, dass allen Beschäftigten, die an der Falzmaschine arbeiten, auf dem neu gestalteten Display stets nur die Einstellungsmöglichkeiten angezeigt werden, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen.

Anschließend analysierte der Forscher die Arbeitsabläufe aller Nutzerrollen. Dazu bat er erfahrene Buchbinder, eine Eye-Tracking-Brille zu tragen, während sie an der Falzmaschine arbeiteten. Eine solche Brille erfasst, worauf der Blick des Trägers oder der Trägerin fällt und wie lange er dort verweilt. Mithilfe dieser Aufzeichnungen hat Hägle alle Arbeitsabläufe dann in Teilaufgaben und Einzelschritte aufgeteilt. „Das Umrüsten der Maschine umfasst beispielsweise 46 Teilaufgaben, die sich aus 130 Einzelschritten zusammensetzen“, sagt Hägle.

Für jeden Arbeitsablauf hat der Wissenschaftler somit eine detaillierte Schritt-für-Schritt-Anleitung abgeleitet. Diese dient als Grundlage für die automatische Erstellung der grafischen Inhalte auf dem Display der Falzmaschine. Mithilfe von Pfeilen und schematischen Zeichnungen zeigt sie dem Maschinenbediener, wo er die einzelnen Einstellungen vornehmen kann. Um das Display entsprechend überarbeiten zu können, hat die Firma MBO Postpress Solutions Hägle Zugriff auf den Quellcode gewährt.

HMI-Konfiguration binnen weniger Minuten

Kompliziert, zeitintensiv und dementsprechend teuer war bisher auch die Konfiguration eines Falzmaschinen-HMI, bevor die Maschine an den Käufer ausgeliefert wurde. Je nach Ausführung soll schließlich jede Falzmaschine nur diejenigen Einstellungsmöglichkeiten auf dem Display anzeigen, die sie auch wirklich zu bieten hat. „Über acht Stunden konnte die Konfiguration in Anspruch nehmen“, hat Hägle beobachtet. Um auch diesen Prozess zu beschleunigen, hat der Wissenschaftler ihn zunächst in Teilaufgaben und Einzelschritte unterteilt und dann ein Softwaretool geschaffen, das die Bedienlogik der gesamten Maschine abbildet. Das Ergebnis: Eine Falzmaschine kann nun innerhalb von wenigen Minuten am Computer konfiguriert werden und das HMI wird automatisch erstellt.

„Künftig könnte generative Künstliche Intelligenz dabei helfen, die HMI-Entwicklung weiter zu vereinfachen oder die Aufzeichnungen der Eye-Tracking-Brille auszuwerten“, sagt Hägle. Der Wissenschaftler spielt außerdem mit dem Gedanken, seine Methodik zur Vereinfachung von Mensch-Maschine-Schnittstellen in Zukunft nicht mehr als Angestellter, sondern als selbstständiger Dienstleister anzubieten. Sein Ansatz ist nämlich prinzipiell auf alle Maschinen und Hersteller übertragbar, was einen riesigen potenziellen Markt eröffnet.

Bildergalerie

  • Am Beispiel einer Falzmaschine hat ein Forscher vom Fraunhofer IPA das Bedienkonzept der Mensch-Maschine-Schnittstelle so sehr vereinfacht, dass nun auch Laien die Maschine umrüsten können.

    Am Beispiel einer Falzmaschine hat ein Forscher vom Fraunhofer IPA das Bedienkonzept der Mensch-Maschine-Schnittstelle so sehr vereinfacht, dass nun auch Laien die Maschine umrüsten können.

    Bild: Hannes Weik, Fraunhofer IPA

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