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Elektrisierende Kundenerlebnisse Scheitern Energieversorger am Mittelmaß?

Die Customer Journey hat sich im Energiebereich bei Kunden wie auch Unternehmen auf einen einfachen Faktor reduziert – der Preis. Wer das maximale Potenzial ausschöpfen will, muss nun unbedingt umdenken.

Bild: iStock, TarikVision
28.11.2023

Energieunternehmen konkurrieren über ihre Preise, nicht über ihr Kundenerlebnis. Bemerkenswerte Momente erschöpfen sich in Preisanpassungen und Fragen zur Rechnung. Gleichzeitig drängen neue Anbieter und Startups aus energienahen Branchen in den Wettbewerb – manche mit einem weitaus fortschrittlicheren Verständnis für Exzellenz im Kundenerlebnis als angestammte Energieunternehmen es haben. Gibt es denn wirklich keinen Raum für nachhaltige Differenzierung?

Die Energiemärkte auf der ganzen Welt verändern sich rasant. Verstärkt wird dieser Wandel durch die aktuelle „Multikrise“: Inflation und Preisvolatilität, die Geschwindigkeit der technologischen (R)Evolution, instabile und hochgradig vernetzte Lieferketten, Talentknappheit und der Mangel an zukünftigen Arbeitsfähigkeiten, Klimawandel und Nachhaltigkeitsziele – die Liste ist lang!

Das Dilemma für Versorgungsunternehmen

Darüber hinaus sehen sich die etablierten Unternehmen mit neuen Wettbewerbern konfrontiert, die günstigere Tarife, nachhaltigere Produkte und einen unerschütterlichen Fokus auf ein hervorragendes Kundenerlebnis bieten. Das Dilemma besteht darin, dass Versorgungsunternehmen nur selten die Herzen ihrer Kunden erobern. Die Mehrheit der Interaktionen machen noch immer Fragen zu Abschlagszahlungen und Rechnungen oder andere Problemlösungen aus. Die Kunden empfinden solche Interaktionen als notwendig, manchmal auch als lästig.

Dabei sind Probleme, die erfolgreich gelöst werden, immer auch eine Chance, die Kundenzufriedenheit und sogar die Kundenbindung zu erhöhen. In wenigen Fällen kommunizieren Kunden und Energieversorger proaktiv oder gar regelmäßig zu Themen, die den Kunden im positiven Sinne umtreiben und im Alltag begleiten. Das emotionale Engagement ist daher minimal – und leider oft negativ behaftet.

Bei der Wahl ihres Energieversorgers zählt für die Kunden heute meist nur der Preis. Andere nennenswerte Kriterien gibt es nicht. Das ist ziemlich ernüchternd. Die Kunden sind desillusioniert und erwarten einen gleich mittelmäßigen Service, unabhängig von der Entscheidung für den einen oder anderen Anbieter.

Verschärft wird dieses Loyalitätsrisiko dadurch, dass die Toleranz der Kunden für schlechte Customer Experience (CX) mit jedem neuen digitalen Service sinkt. Die digitalen Marktführer verwöhnen sie mit außergewöhnlichen Kundenerlebnissen und setzen die Messlatte immer höher. Daher wünschen sich die Menschen heute in allen Lebensbereichen, auch von ihren Energieversorgern, gleichermaßen effiziente und angenehme Kundenerlebnisse. Das ist jedoch nur möglich, wenn Unternehmen es sich zur echten Priorität machen.

Customer Experience Gap vermeiden

Die heutigen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Anforderungen sind komplex. Jede Business-Entscheidung ist eine Herausforderung, insbesondere, weil sie mit zunehmender Geschwindigkeit getroffen werden muss, um als Unternehmen relevant zu bleiben.

Dieser zunehmende Druck hat über die Jahre zu kurzsichtigen und risikoaversen Entscheidungen geführt, die nur langsame und meist inkrementelle Verbesserungen ermöglichen. Neue digitale Kanäle, Plattformen und Technologien wurden wild übereinander gelagert. Dieses gewachsene „Legacy-System“ hat nach und nach jeden Spielraum für Veränderung, geschweige denn für Innovation, erstickt.

Das Ergebnis ist ein ineffizienter und ineffektiver Flickenteppich von Kunden- und Mitarbeitererfahrungen, der für alle Seiten frustrierend ist. Die Kunden enttäuscht das Kundenerlebnis, die Unternehmen überfordert der Aufwand.

Fast 90 Prozent der Führungskräfte sind sich schmerzlich bewusst, dass sich ihre Kunden und deren Anforderungen schneller verändern, als sie ihr Geschäft anpassen können. Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2022, für die weltweit 850 Führungskräfte befragt wurden. Diese CX-Lücke wird immer größer. Der Weg zur CX-Exzellenz ist herausfordernd, aber er zahlt sich aus.

Der Weg zur CX-Exzellenz

Folgende Bereiche sollten die Versorgungsunternehmen aktiv angehen, um die CX-Lücke zu schließen:

  1. Komplexität der Informationen: Energie- und Rohstoffmärkte können für Kunden komplex und schwer ­verständlich sein. Diese Komplexität kann zu Verwirrung und Frustration führen und das Kundenerlebnis insgesamt beeinträchtigen. Die Versorger müssen sicherstellen, dass sie klar und effektiv kommunizieren und es den Kunden leicht machen, den Markt, ihre Angebote und ihre Rechnungen zu verstehen.

  2. Fragen der Preisbildung und Abrechnung: Die Preise für Energie und Rohstoffe können aufgrund vieler Faktoren schwanken, was die Abrechnung schwer verständlich machen kann. Kunden sind frustriert, wenn sie unerwartete Preiserhöhungen feststellen oder nicht verstehen, warum sich ihre Rechnung von einem Monat zum nächsten geändert hat. Transparenz bei der Preisgestaltung und klare, leicht verständliche Abrechnungen sind für die Kundenzufriedenheit von entscheidender Bedeutung.

  3. Betriebsunterbrechungen: Betriebsunterbrechungen, sei es aufgrund von Wartungsarbeiten, Versorgungsproblemen oder Naturkatastrophen, können die Kundenzufriedenheit erheblich beeinträchtigen. Eine schnelle und effektive Kommunikation in solchen Situationen ist entscheidend, um das Vertrauen und die Zufriedenheit der Kunden zu erhalten.

  4. Nachhaltigkeitsaspekte: Angesichts der zunehmenden Bedeutung der ökologischen Nachhaltigkeit sind viele Kunden besorgt über die Auswirkungen ihres Energieverbrauchs. Versorger, die nicht in der Lage sind, ihr Engagement für erneuerbare Energiequellen oder nachhaltige Praktiken zu demonstrieren und glaubwürdig darüber zu sprechen, könnten Schwierigkeiten haben, ihre Kunden zu halten.

  5. Kundenservice: Wie in jeder Branche ist der Kundenservice ein wesentlicher Bestandteil des Kundenerlebnisses. Anbieter müssen in der Lage sein, Probleme schnell und effektiv zu lösen. Dabei geht es nicht nur um den Umgang mit Problemen, sondern auch um die proaktive Kommunikation mit den Kunden über mögliche Probleme, Änderungen im Service und mehr.

  6. Digitales Kundenerlebnis: Im digitalen Zeitalter erwarten die Kunden eine nahtlose Online-Erfahrung. Dies reicht von der Möglichkeit, ihr Benutzerkonto online zu verwalten, über einen einfachen Zugang zum Kundendienst bis hin zu mobilfreundlichen Websites und Apps. Versorger, die nicht in der Lage sind, eine hochwertige, integrierte digitale Erfahrung zu bieten, werden es schwer haben, ihre Kunden zu halten.

  7. Einhaltung von Vorschriften: Der Energie- und Rohstoffsektor ist stark reguliert. Die Anbieter müssen sicherstellen, dass sie alle Regularien einhalten, was sich wiederum auf alle Bereiche von der Preisgestaltung bis hin zur Erbringung von Dienstleistungen auswirken kann. Dies kann ein komplexer und herausfordernder Aspekt des Kundenerlebnisses sein.

  8. Personalisierung und Individualisierung: Kunden erwarten zunehmend, dass Produkte und Dienstleistungen auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Für Energie- und Rohstoffversorger kann dies bedeuten, dass sie flexible Preispläne oder maßgeschneiderte Serviceangebote den Kunden zwingend anbieten müssen. Anbieter, die nicht in der Lage sind, diesen Grad an Personalisierung zu bieten, werden Schwierigkeiten haben, die Erwartungen ihrer Kunden zu erfüllen.

  9. Vertrauen und Transparenz: Vertrauen ist ein entscheidender Faktor in der Beziehung zwischen Kunden und Anbietern, insbesondere in Branchen wie der Energie- und Rohstoffindustrie, in denen das Produkt für das tägliche Leben unerlässlich ist. Die Anbieter müssen gegenüber den Kunden transparent sein und zeigen, dass sie verlässlich und ehrlich sind.

Eigene Marke hinterfragen

Die Herausforderung liegt auf der Hand: Es reicht nicht aus, sich mit mittelmäßigen Customer Experiences der traditionellen Marktteilnehmer zu messen, um in der Low-Involvement-Produktkategorie der Energieversorger langfristig relevant zu bleiben. Entscheider sind gefragt, den Ursachen unzufriedenstellender Kundenerlebnisse auf den Grund zu gehen und über den Tellerrand der eigenen Kategorie hinauszuschauen. Für echte und nachhaltige Differenzierung gilt es, sich von den besten Experiences und Services egal welcher Branche inspirieren zu lassen.

Man sollte auch die eigene Marke unter die Lupe nehmen. Hat sie für die Kunden echte Bedeutung oder ist sie nur der Name auf dem Briefkopf? In einer Zeit, in der sich die Menschheit verstärkt um den Planeten und das Klima sorgt, haben Energieunternehmen eine der mächtigsten Positionen inne, um sich zu ökologischen Statements zu bekennen – aber sie nutzen sie nur selten. Stattdessen halten sich die meisten bedeckt, aus Angst, etwas Falsches zu sagen und in einem PR-Desaster zu versinken, anstatt eine ehrliche und herausfordernde, aber glaubwürdige Position zu beziehen.

Neu Wege gehen

Die Customer Experience ist die Summe aller Interaktionen, die eine Person mit einem Unternehmen hat. Eine fragmentierte Organisation wird jedoch immer nur ein fragmentiertes Kundenerlebnis bieten können – solange nicht jede einzelne Komponente im Dienst der CX steht. Eine Neuausrichtung ist daher unabdingbar. Die sogenannte Customer Journey (Re)Invention ist ein bewährter Ansatz hierfür. Es geht darum, das Kundenerlebnis mit der Technologie, dem Geschäftsmodell und den Daten in Einklang zu bringen.

Journey (Re)Invention nutzt die Konzepte Service Design und Service Blueprints, um die betrieblichen Veränderungen zu definieren, die für die Realisierung der North Star Customer Journey erforderlich sind. Im Zuge der Journey (Re)Invention werden kritische Journeys digitalisiert und CX-Lücken geschlossen: Richtig gestaltet, steigert die Customer Journey – egal ob B2C oder B2B – sowohl den Kunden- als auch den Unternehmenswert, zum Beispiel durch Senkung der Akquise- und Servicekosten, Erhöhung der Loyalität und letztlich des Customer Lifetime Value.

Umgestaltung in vier Schritten

Fokus auf Geschwindigkeit und Einfachheit: Da die Menschen immer mehr Zeit online verbringen, gibt es kaum noch Toleranz für umständliche, veraltete digitale Kundenerlebnisse. Ob es nun darum geht, einen Tarif zu wählen, eine Rechnung zu verstehen oder den Kundendienst zu kontaktieren – Versorgungsunternehmen müssen ihren Service schneller und effizienter sowie besonders kundenorientiert gestalten.

Förderung ethischer Kundenerlebnisse: Nachhaltigkeit ist für viele Kunden ein zentrales Anliegen. Sie wollen nicht nur selbst umweltbewusster leben, sondern erwarten dies auch von ihren Energieversorgern. Auch Industriekunden haben Nachhaltigkeit zu einer Top-Priorität gemacht und erwarten von ihren Energieversorgern Unterstützung auf dem Weg zum Netto-Null-Energieverbrauch. Die Energieversorger sind nicht nur mittendrin, sie müssen die Energiewende anführen.

Berücksichtigung der Accessibility: Smartphones sind in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig. Versorgungsunternehmen können nicht mehr nur traditionelle Websites im Desktop-Design anbieten. Ein flexibler und konsistenter Zugang über mehrere Kanäle, einschließlich mobilfreundlicher Websites und Apps, ist ein Muss.

Nutzung von Kundendaten zur Personalisierung: Mit personalisierten Services können sich Unternehmen wieder als „Bedürfnisbefriediger“ und Partner positionieren, anstatt nur als „Produktvermarkter“ wahrgenommen zu werden. Gerade in einer wettbewerbsintensiven Branche wie der Energie- und Versorgungswirtschaft ist die Personalisierung von entscheidender Bedeutung für die Kundenbindung. Dies beinhaltet die Implementierung digitaler Lösungen und die Nutzung von Datenanalysen, um Kundenbedürfnisse zu identifizieren und Interaktionen zu individualisieren.

Fazit

Exzellenz im Kundenerlebnis ist und bleibt ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, besonders bei Parität in den Grundpreisen. Die Bereitschaft, ein rückständiges Kundenerlebnis zu tolerieren, schmilzt mit jedem neuen Service, der breit akzeptiert wird. Aber auch angestammte Energieunternehmen können die notwendigen Fähigkeiten aufbauen und die involvierten Prozesse umgestalten, um sich entlang einer fortschrittlicheren Wertschöpfungskette zu orientieren. Dies wiederum führt zu einer geringeren Wechselbereitschaft, einer höheren Preistoleranz und liefert das Rüstzeug für den Wettbewerb von morgen.

Bildergalerie

  • Mit einer richtig gestalteten B2C oder B2B Customer Journey lässt sich der Kunden- und Unternehmenswert steigern.

    Mit einer richtig gestalteten B2C oder B2B Customer Journey lässt sich der Kunden- und Unternehmenswert steigern.

    Bild: Public Sapient

  • Joana Ristau, Senior Client Partner Energy & Commodities bei Publicis Sapient, einem führenden Beratungsunternehmen für die Digitale Business Transformation

    Joana Ristau, Senior Client Partner Energy & Commodities bei Publicis Sapient, einem führenden Beratungsunternehmen für die Digitale Business Transformation

    Bild: Public Sapient

  • Tom Schaafs, Head of Experience Design DACH bei Publicis Sapient, einem führenden Beratungsunternehmen für die Digitale Business Transformation

    Tom Schaafs, Head of Experience Design DACH bei Publicis Sapient, einem führenden Beratungsunternehmen für die Digitale Business Transformation

    Bild: Public Sapient

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