KI-gestützte Entscheidungshilfe Nach Vorfall bei Johnson & Johnson: KI soll Produktionsfehler vermeiden

Damit es unter anderem in der pharmazeutischen Produktion zu weniger Ausfällen kommt, arbeiten Wuppertaler Forscher an einer neuen KI-Lösung.

Bild: iStock, peterschreiber.media
04.08.2021

Vergangenen Juni musste das Pharmaunternehmen Johnson & Johnson wegen eines Produktionsfehlers mehrere Chargen seines Corona-Impfstoffs vernichten. In Wuppertal ist deshalb nun ein Projekt an den Start gegangen, das solche Vorfälle mittels einer KI-gestützten Entscheidungshilfe vermeiden soll.

60 Millionen Impfdosen waren beim Produktionsfehler von Johnson & Johnson im Juni diesen Jahres betroffen. Solche Vorfälle an großtechnischen Anlagen treten häufiger auf und haben mitunter ein hohes Schadenspotenzial.

Forscher der Bergischen Universität Wuppertal um Prof. Dr. Bela Gipp vom Lehrstuhl Data & Knowledge Engineering entwickeln deshalb nun ein aktiv lernendes KI-System, das die Effektivität und Effizienz der Fehlerbehebung an großtechnischen Anlagen erhöhen soll. Beispielsweise in der chemisch-pharmazeutischen Industrie sollen sich dadurch Ausfallzeiten und -kosten signifikant reduzieren. Am Forschungsprojekt ist auch die Firma Eschbach beteiligt.

„Eschbach entwickelt und vertreibt Shiftconnector, eine der erfolgreichsten Softwarelösungen für die schichtübergreifende Kommunikation von Betriebspersonal großtechnischer Anlagen“, begründet Gipp die Zusammenarbeit. „Daher besitzt das Unternehmen große Erfahrung in diesem Bereich, und seine zahlreichen Kunden haben einen erheblichen ,Datenschatz‘ in der Software angesammelt.“

Viele Daten, wenig Nutzen

Fehler und ihre Behebung werden aktuell meistens manuell und digital in Logbüchern dokumentiert. Darüber hinaus gibt es laut Gipp oft zahlreiche weitere Systeme, etwa für die Produktionsplanung und -steuerung, Lagerverwaltung und Dokumentation von Anlagen sowie Betriebsabläufen. Durch all diese Systeme werde in Unternehmen zwar ein immenser Datenbestand aufgebaut, jedoch nur unzureichend genutzt.

Die einfache Speicherung und Verwaltung der Daten, die aktuelle Systeme bieten, unterstützten eine effektive Fehlerbehebung nur eingeschränkt. Beispielsweise Schichtleiter müssen diese heterogenen Daten sichten, Beziehungen in den Daten erkennen und durch die Kombination von Daten und Erfahrungswissen eine Problemlösung ableiten. „Die Fehlerbehebung beruht daher massiv auf Expertenwissen, das nicht kontinuierlich rund um die Uhr verfügbar ist und durch Personalfluktuation verloren gehen kann“, sagt Gipp.

Mobiler Fehlerassistent

Hier setzt das neue Projekt an. Das zu entwickelnde System soll den vorhandenen Datenschatz in Unternehmen nutzbar machen, Mitarbeiter gezielt und interaktiv bei der Fehlerdiagnose unterstützen, Schritt für Schritt durch mögliche Lösungsschritte führen sowie Lösungsstrategien im Zusammenspiel mit erfahrenen Mitarbeitern sukzessive lernen und verbessern.

Gipp erläutert: „Konkret stellen wir uns das finale Produkt als eine Anwendung vor, auf die das Betriebspersonal mittels mobiler Geräte zugreift: Kommt es zu einem Fehler, schildert das Betriebspersonal am Ort des Geschehens per Spracheingabe das Problem. Die Anwendung analysiert das Problem anhand der aus den verschiedenen Systemen zusammengetragenen Daten und erfragt gegebenenfalls weitere Informationen.“

Im Anschluss schlägt der Assistent dann interaktiv und abhängig von den Rückmeldungen der Nutzer mögliche Lösungsschritte vor. „Dabei lernt das System im laufenden Betrieb kontinuierlich weiter“, erklärt Gipp, „indem es vom Personal Rückmeldung bekommt, welche Lösungen in welcher Situation erfolgreich waren beziehungsweise indem das Personal noch nicht im System erfasste Fehlerbehebungen ergänzt.“

Lernen durch Nutzerfeedback

Die Umsetzung des Projekts soll in drei Schritten erfolgen:

  • Zunächst entwickelt das Team Verfahren der natürlichen Sprachverarbeitung. Sie sollen es ermöglichen, aus einer breiten heterogenen Datengrundlage bestehend aus technischer Dokumentation, Reparaturanleitungen, Logbüchern und Reports automatisch verwertbare Daten zu gewinnen.

  • Im zweiten Schritt geht es um KI-basierte Sprachmodelle. Sie befähigen Computer dazu, komplexe Fachsprache des Betriebspersonals zu verstehen und auszuwerten.

  • Zuletzt wird auf Basis der aufbereiteten Daten ein KI-Modell trainiert, das den zeitlichen Verlauf der Ereignisse betrachtet, Fehlermuster und zugehörige Lösungsansätze lernt und diese Nutzern aufzeigen kann.

In Form eines adaptiv lernenden Modells sollen Nutzerexperten dabei die Lösungsvorschläge der KI bewerten und weitere, nicht vorgeschlagene Lösungen ergänzen. Mithilfe dieses Feedbacks soll sich das Modell kontinuierlich verbessern.

Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand gefördert.

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