Luftfahrt soll klimaneutral werden Flugzeuge schneller digital entwickeln

Durch den Einsatz von Simulationen bei der Flugzeugentwicklung könnten Fehler vermieden und das Ziel der Klimaneutralität erreicht werden.

Bild: DLR
01.07.2022

Im Virtual Product House des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt ist das Startprojekt zur digitalen Entwicklung von Steuerflächen für zukünftige Flugzeugflügel erfolgreich beendet worden.

Im Bremer Center for Eco-efficient Materials & Technologies (ECOMAT) hat das DLR zusammen mit Partnern aus Industrie und Forschung erstmals eine aufeinander aufbauende digitale Verkettung von Entwicklungsschritten für eine Flügelklappe am Computer simuliert – vom Design über die Produktion bis hin zum Test. Damit legt das DLR den Grundstein für zukünftige virtuelle Entwurfsprozesse von Flugzeugen bis hin zur Zertifizierung – ein wichtiges Werkzeug, um die Entwicklung hocheffizienter Flugzeuge zu beschleunigen.

„Auf dem Weg zu einer emissionsfreien Luftfahrt agiert das DLR als Architekt und betrachtet das Gesamtsystem mit all seinen Wirkzusammenhängen, um neue Technologien und digitale Methoden gemeinsam mit unseren Partnern zeitnah in die industrielle Anwendung zu bringen. Das VPH als Integrationszentrum für die virtuelle Produktentwicklung übernimmt hierbei eine Schlüsselrolle im DLR, auch in der Schnittstelle zu Industrie und Zulassungsbehörden“, erklärt Dr. Markus Fischer, Bereichsvorstand Luftfahrt im DLR.

Effizientere Flügelkonzepte durch Vorab-Simulationen

Mit dem im Startprojekt realisierten VPH-Prozess lassen sich durch die Vorab-Simulationen von Fertigung und Tests industrielle Flügel- und Klappenkonzepte effizienter und zielgerichteter auslegen. Mögliche Komplikationen und Nachteile in späteren Entwicklungsschritten lassen sich so bereits früh im Entwurf antizipieren und über Anpassungen des Klappendesigns vermeiden. Die simulationsbasierten Testverfahren sollen zudem einen Teil der physischen Erprobungen ersetzen.

So würden zukünftig weniger Tests an aufwändigen Prüfständen erforderlich sein. „Hierdurch sparen wir nicht nur viel Zeit und Geld für Tests und Zulassung, durch die digitale „End-to-End“-Kette ist es auch möglich, die gesamte Entwicklungszeit innovativer Flugzeugkomponenten deutlich zu verkürzen“, beschreibt Dr. Kristof Risse, Leiter des VPH im DLR, die Vorteile.

Zur Einbindung aller relevanten Disziplinen der Flugzeugentwicklung ist das VPH als Integrationszentrum und Forschungsplateau aufgesetzt, an dem Expertinnen und Experten verschiedener DLR-Institute und Partner zusammenarbeiten. Die digitale Zusammenarbeit und Co-Entwicklung mit den industriellen VPH-Partnern wird über einen „Common-Source“-Ansatz in Form einer geschützten Simulationsumgebung ermöglicht, die im Rahmen des VPH-Startprojekts entwickelt wurde.

Klimaneutrale Flugzeuge durch digitalisierte Prozesse

Für eine Luftfahrt mit drastisch reduzierten Emissionen sind völlig neue Flugzeugentwürfe nötig. Das Ziel ist gesetzt, bis zur Mitte des Jahrhunderts soll die Luftfahrt in der EU klimaneutral werden. Um diesem Ziel gerecht zu werden, ist neben emissionsarmen Antrieben und nachhaltigen Kraftstoffen eine neue hocheffiziente Flugzeuggeneration mit vielfältigen neuen Einzelkomponenten nötig. Um schnell auf die drängenden Klimaziele zu reagieren, müssen sich die Entwicklungszeiten neuer Flugzeuge deutlich verkürzen.

Derzeit gibt es viele Ansätze, die versprechen Energiebedarf und Emissionen zu reduzieren, wie beispielweise hochgestreckte schlanke Flugzeugflügel mit größerer Spannweite und damit reduziertem Widerstand und Treibstoffverbrauch. Die auch im VPH-Startprojekt untersuchten intelligenten Flügel mit multifunktionalen Steuerflächen können sich zudem optimal an die unterschiedlichen Bedingungen bei Start und Landung sowie im Reiseflug anpassen. Die variable Anpassung an unterschiedliche Flugzustände ermöglicht auch die Auslegung leichterer Flügel und somit eine weitere Einsparung von Kraftstoff.

Als nachhaltiger Energieträger ist beispielsweise mit erneuerbaren Energien erzeugter Wasserstoff eine Lösung. Für Flugzeuge mit Wasserstoffantrieb sind disruptive Ansätze nötig, die völlig neue Entwurfsphilosophien erfordern. Dr. Markus Fischer sieht die Digitalisierung auch bei dieser Herausforderung als besonders hilfreich an: „Gerade bei neuen radikalen Flugzeugkonzepten ermöglicht die konsequente Anwendung validierter digitaler Methoden eine optimale Exploration des Entwurfsraumes. Die Innovationsgeschwindigkeit zur Einführung vollständig neuer Flugzeugtechnologien lässt sich durch eine effiziente Kombination aus virtueller Produktentwicklung und physischen Demonstrationen signifikant erhöhen.“

Der entwickelte VPH-Prozess ist für verschiedene industrielle Anwendungsfälle und Flugzeugkomponenten nutzbar. So haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im VPH-Startprojekt neben dem Flügel auch bereits eine erste Prozesskette für die digitale Entwicklung eines Wasserstofftanks aufgebaut.

Folgeprojekt VPH 2.0

Die Forschung im VPH geht bereits in einem Nachfolgeprojekt, gefördert durch das Bremer LuRaFo-Programm, weiter. Zu den Schwerpunkten im VPH 2.0-Projekt gehört die Weiterentwicklung und Anwendung des im Startprojekt aufgebauten Simulationsprozesses zur durchgängigen Verknüpfung der virtuellen Entwurfs-, Fertigungs- und Testmethoden. Ziel ist ein so genannter „Digitaler Zwilling“, also ein vollständig funktionsfähiges, digitales Abbild realer Flugzeugkomponenten.

Die weiterentwickelten Prozesse werden im VPH 2.0-Projekt ganz konkret für industrielle Konzepte in den Bereichen „intelligente Flügel und Steuerflächen“ und „Wasserstofftanks“ angewendet. So wird im VPH weiter die Zukunftsvision virtueller Testflüge und der virtuellen Zertifizierung verfolgt für die zeitnahe Einführung zukünftiger klimaverträglicher Flugzeugprogramme.

Partner des VPH-Startprojekts waren Airbus, FFT Produktionssysteme, IABG und Liebherr-Aerospace sowie die Universität Bremen. Zum Thema der virtuellen Zulassung gibt es zudem eine enge Kooperation mit der europäischen Zulassungsbehörde EASA. Gefördert wurde das Startprojekt mit Mitteln des Landes Bremen und des europäischen Fonds für regionale Entwicklung EFRE.

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