Blick in die Zukunft Wie der Einsatz Künstlicher Intelligenz die Intensivmedizin verändern kann

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Intensivmedizin bietet enorme Möglichkeiten, erfordert jedoch politische Weichenstellungen und die Anerkennung der Bedeutung der pflegerischen Qualifikation.

Bild: iStock, Floriana
27.06.2023

Der Tag der Intensivmedizin hat auch in diesem Jahr ein Schlaglicht auf die Intensivmedizin geworfen. Nach den schweren Corona-Jahren richtete sich der Blick dabei auch in die Zukunft. Und dieser ist optimistisch, was die medizinische Seite angeht, zugleich aber mahnend in Richtung Politik.

Im DGAI-Podcast zum Thema spricht Prof. Dr. Gernot Marx, Leiter der Klinik für Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum Aachen, über die Möglichkeiten, die der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Intensivmedizin mit sich bringen kann. Der Intensivmediziner, der ab 2025 die Präsidentschaft der DGAI übernehmen wird, erklärt: In der Intensivmedizin stünden pro Patient und Stunde bis zu 1.000 Daten zur Verfügung.

Und genau darin lägen enorme Möglichkeiten für die Entwicklung von KI-Algorithmen, die Medizinerinnen und Mediziner künftig bei Entscheidungen unterstützen können. „Vielleicht ist es schon bald möglich, einen digitalen Zwilling für Intensivpatienten zu entwickeln, an dem wir bestimmte Dinge vorhersagen können, zum Beispiel die Entwicklung einer Sepsis oder eines akuten Lungenversagens“, sagt er im Interview. Der Einsatz von KI könne Grundlegendes verändern: Zum einen ließen sich Therapien frühzeitiger beginnen, zum anderen sei eine viel individuellere Behandlung möglich.

„Das heißt nicht, dass ein Computer die Patienten behandelt, sondern dass der Mehrwert von Daten uns als Entscheidungsunterstützung zur Verfügung steht“, sagt Marx und zeigt sich optimistisch: „Da werden wir noch ganz große Schritte vorankommen.“

Arbeit auf den Intensivstationen muss attraktiv bleiben

Dennoch seien in Zukunft wichtige politische Weichenstellungen nötig, damit die Intensivmedizin gut aufgestellt bleibe. Das Pflegepersonaluntergrenzengesetz sei dabei ein erster Schritt gewesen, der dazu geführt habe, dass mehr Pflegepersonal dem einzelnen Patienten zur Verfügung stehe. „Das ist eine gute Entwicklung.“ Aber man müsse auch an die Arbeitsbedingungen auf den Stationen denken.

„Viele unserer Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sind aus der Babyboomer-Generation und werden früher oder später in den Ruhestand gehen. Wir tun gut daran, die Bedingungen weiter zu verbessern, um auch attraktiv für Jüngere zu sein“, mahnt Prof. Marx.

Bedeutung der pflegerischen Qualifikation für das Gesundheitssystem

Dass es dabei längst nicht nur um das ärztliche Personal, sondern auch um die Pflegenden geht, betont Tilmann Müller-Wolff. Er ist Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule München und Sprecher der Division „Gesundheitsfachberufe“ in der DGAI. Als solcher weiß er: „Ohne Intensivpflegende funktioniert keine Intensivmedizin.“

Nicht erst seit der Pandemie, sondern auch aus der Versorgungsforschung wisse man: Patienten profitieren von hochwertiger Intensivpflege und je höher die pflegerische Qualifikation, desto besser ist das Patientenoutcome. „Damit ist Intensivpflege für die gesamte Gesellschaft relevant und sorgt für ein hochwertig funktionierendes Gesundheitssystem“, sagt er und fordert von der Politik die Finanzierung von Bildungsgängen, mit denen Intensivpflegende für diese anspruchsvolle Tätigkeiten qualifiziert werden.

„Pflegende, die sich in berufsbegleitenden Weiterbildungen oder Studiengängen qualifizieren, sollten dafür Ausgleiche erhalten, Kliniken die Weiterbildung und Studium anbieten, sollten dies refinanziert bekommen“, mahnt auch er weitere politische Weichenstellungen an.

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