Leadership befindet sich im Umbruch: Während traditionelle, hierarchische Führungsstile in vielen Branchen noch vorherrschen, gewinnen agile und partizipative Ansätze zunehmend an Bedeutung. Digitalisierung und disruptive Technologien, der demografische Wandel, der Fachkräftemangel sowie neue Anforderungen durch hybride Arbeitsmodelle erfordern neue Kompetenzen.
„Der Druck auf Führungskräfte wächst“, weiß Christine Trimpel, Diplom-Biologin, Transformationsberaterin und Gesellschafterin bei Masterpiece. Dabei können sie inhaltlich einiges von der Biologie lernen, insbesondere bei wesentlichen Trends der modernen Arbeitskultur wie Selbstorganisation, veränderte Arbeitsrhythmen und Diversität. Es gibt fünf Punkte, die es zu beachten gilt, um sich zukunftsfähig aufzustellen.
Veränderung ist der Antrieb
Seit zwei Jahrzehnten hat sich das Akronym VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) im Unternehmenskontext etabliert. Trotzdem sprechen zahlreiche Berichte immer noch davon, dass sich die Welt seit etwa fünf Jahren von einem Ausnahmezustand zum nächsten hangelt. „Transformation ist ein Naturgesetz, das seit Milliarden Jahren erfolgreich funktioniert“, weiß Trimpel und fügt hinzu: „Sie geschieht auch nicht im luftleeren Raum. In der Natur entscheiden Umweltfaktoren, ob und wie Organismen sich verändern. Plötzliche Ereignisse können Arten zur schnellen und dann auch radikalen Anpassung zwingen, wobei Radikalität nicht chaotisch bedeutet.“ Im Unternehmensumfeld bedeutet radikal eher gründlich. Entsprechend empfiehlt es sich, dass Führungskräfte externe Faktoren kontinuierlich überwachen, Innovationen frühzeitig testen und proaktiv handeln.
Selbstorganisation funktioniert – auch ohne Hierarchien
Zu den drei wesentlichen Trends der modernen Arbeitskultur zählen Selbstorganisation, veränderte Arbeitsrhythmen und Diversität. All das findet sich auch in der Natur wieder. So entstehen beispielsweise in Zellen ohne CEO Ordnung. „Teams können das auch“, bekräftigt Trimpel. „Die Basis hierfür ist psychologische Sicherheit. Nur so können kritische Situationen bewältigt und kann Anpassung erreicht werden.“ Dabei steigt die Glaubwürdigkeit der Transformation exponentiell, wenn sich zuerst die Top-Teams verändern. Das bedeutet auch, auf dezentrale Intelligenz zu setzen. Für Trimpel steht fest: „Unternehmen brauchen ausreichend Entscheidungsrechte nahe an der Peripherie, damit sie agil reagieren können und nicht erstarren angesichts des Drucks von außen.“
Vielfalt ist Überleben
„Vielfalt erhöht in der Natur die Anpassungsfähigkeit enorm“, betont die auf Executive Search spezialisierte Personalexpertin. Das treffe auch auf Unternehmen zu. Ähnlich wie Monokulturen in der Natur leichter von Schädlingen befallen werden, sind monokulturelle Teams anfälliger für Disruptionen. Der Grund liegt auf der Hand: Diversität macht Systeme stabiler – auch in Unternehmen. Unterschiedliche Denkmuster erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die disruptiven Signale erkennt, die allen anderen entgehen. „Während genetische Vielfalt also Arten schützt, sichert kognitive Vielfalt Strategien“, so die Diplom-Biologin.
Nachhaltiges Wachstum ist regenerativ
Obwohl das ifo-Institut in seiner Konjunkturprognose noch von einer näher rückenden Erholung für die deutsche Wirtschaft sprach, zeichnete die Bundesbank zuletzt ein düsteres Bild. Angesichts einer wenig ausgelasteten Industrie, sparender Verbraucher und der tiefen Krise der Bauwirtschaft sei die Grundtendenz weiterhin schwach. Der Arbeitsmarkt erweist sich bislang jedoch als stabilisierender Faktor. Kein Wunder, meint Trimpel: „Der Kern des gesunden Wachstums im Unternehmen liegt immer bei den Menschen.“
Regenerative Systeme würden ihre Ressourcen schneller erneuern, als sie eingesetzt werden. Das gilt auch für die Mitarbeitenden und die Führungskräfte. „Nachhaltiges Wachstum heißt dabei, Komplexität souverän zu bewältigen: mehr Lernfähigkeit, mehr Optionen, tiefere Beziehungen zu Stakeholdern und ein wachsendes ‚Warum‘“, erklärt sie. Die Folge seien mehr Umsatz und ein steigender Headcount.
Kleine Schritte und Experimente schlagen den Masterplan
Laut einer viel zitierten McKinsey-Studie scheitern etwa 70 Prozent aller Transformationsbemühungen. „Je komplexer und langwieriger die Veränderung, desto wichtiger sind Führungskräfte, die gezielt durch diesen Prozess leiten können“, unterstreicht Trimpel. Dabei sollte eine Kontroll-Logik einer Beziehungslogik weichen. Es geht darum, eine Kultur des Wissensaustauschs zu fördern, Neugier und Innovationsgeist zu belohnen, externe Impulse aktiv aufzunehmen und Teams für Veränderungen in vielen kleinen Schritten zu begeistern.
„Mut zum Experiment führt dabei häufig sicherer zum Ziel als das Abarbeiten eines Mega‑Plans“, ergänzt sie. „Wichtig ist Kohärenz im Verfolgen von sinnstiftenden Narrativen, die Angst in Vorfreude verwandeln, wobei es im praktischen Doing auf Sequenz‑Disziplin ankommt, also auf eine klare Reihenfolge von Abschalten, Erproben, Skalieren.“