Planungstool Nachhaltige Stromversorgung auf dem Land

Virtuelle Planungsunterstützung für die Gestaltung von Microgrids in ländlichen Gebieten.

Bild: Fraunhofer IFF
11.06.2021

Bis zum Jahr 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 65 Prozent unter den Wert von 1990 sinken. Um dieses ehrgeizige Vorhaben umzusetzen, bedarf es vieler Ideen und Lösungen. Einen Beitrag leistet das Projekt RIGRID: Ziel ist die nachhaltige, kostengünstige und zuverlässige Stromversorgung in ländlichen Regionen.

90 Prozent der Fläche in Deutschland sind laut Bundesregierung ländlich geprägt. Etwa 44 Millionen Menschen leben auf dem Land, das sind mehr als die Hälfte der Einwohner. Dies gilt für ganz Europa: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt nicht in urbanen Zentren.

Doch die Idylle hat auch ihre Schattenseiten, wie die mangelhafte Energieversorgungsinfrastruktur, deren Ausbau in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt wurde. Mitunter werden ländliche Regionen in Europa nur über eine einzige Leitung mit Strom versorgt, Netze sind veraltet. Der gestiegene Stromverbrauch kommt erschwerend hinzu. In der Folge kann es immer wieder zu Versorgungsengpässen kommen.

Zuverlässige und ökologische Stromversorgung

Für eine sichere, zuverlässige, kostengünstige und zugleich ökologische Stromversorgung auf dem Land setzen sich die Partner im Projekt RIGRID ein, kurz für Rural Intelligent Grid. Sie sehen die Zukunft in dem Ausbau regenerativer Energie und dem Aufbau dezentraler, intelligenter Versorgungsnetze oder Smart Grids, die die Integration kleiner Energieerzeuger in das Versorgungsnetz und eine größere Unabhängigkeit von zentralen Energieversorgungsstrukturen ermöglichen.

Im Projekt RIGRD wurde ein solches regionales, intelligentes Energieversorgungsnetz und -managementsystem entwickelt und in der polnischen Stadt Puńsk sowie in der Kommune Dardesheim im Harz in Sachsen-Anhalt beispielhaft erprobt. Mit diesem neuen Werkzeug lassen sich neue Energieinfrastrukturen und -versorgungssysteme im ländlichen Raum optimal planen, etablieren und betreiben. Partner im abgeschlossenen Vorhaben waren neben dem Fraunhofer IFF der Harz-Regenerativ-Druiberg und RegenerativKraftwerke Harz RKWH.

Versorgungssicherheit in ländlichen Regionen

„Smart Grids helfen unter anderem, die schwankende Lieferung von Strom aus regenerativen Quellen zu koordinieren“, sagt Prof. Przemyslaw Komarnicki, Wissenschaftler am Fraunhofer IFF und Leiter der Abteilung Elektrische Energiesysteme und Infrastrukturen ESI.

Gemeinsam mit seinem Team hat er als Projektkoordinator das virtuell-interaktive Energie-Infrastruktur-Design-Tool entwickelt. Für das Pilot-Microgrid in Puńsk haben die Forschenden vor Ort ein kleines Demonstrationsnetz aufgebaut, das die örtliche Kläranlage, eine Photovoltaikanlage sowie ein Batteriespeichersystem umfasst. Mit ihm konnten sie live testen, wie ihr System funktioniert und ob, beziehungsweise wie, es von der Bevölkerung angenommen wird.

Das bedienerfreundliche Planungstool übernimmt die 3D-Raumdaten der betroffenen Gebiete samt Gebäuden und überträgt sie in ein virtuelles Szenario. Mit ihm sollen die Betreiber und Bewohner vor Ort interaktiv und individuell ihr Energieversorgungssystem und die dafür notwenige Infrastruktur planen.

„Konkret könnten die Nutzer die Kosten, den CO2-Fußabdruck und die Abhängigkeit vom öffentlichen Versorgungsnetz berechnen und anzeigen lassen, wenn beispielsweise auf jedem Dach der Stadt Puńsk eine PV-Anlage installiert werden würde. Natürlich sind auch beliebige andere Modellberechnungen denkbar“, erläutert der Ingenieur ein Anwendungsszenario.

Wie würden sich zusätzliche Windkraftanlagen auf die Versorgungslage auswirken, welche Konsequenzen hätte der Ausbau von Elektromobilität für den öffentlichen Nahverkehr? All diese Aspekte lassen sich einbeziehen. Dabei berücksichtigt die Software nicht nur technische und ökonomische, sondern auch sozioökonomische Faktoren sowie Umwelt- und Stadtplanungsaspekte.

„Wie viele Arbeitsplätze können durch nachhaltige Energieversorgungssysteme in einer kleinen Gemeinde entstehen? Wie sieht unsere Stadt/Gemeinde danach aus, beziehungsweise akzeptieren wir die baulichen Veränderungen, etwa durch neue Windkraftanlagen? Auch solche Fragen beantwortet unser Planungstool“, erläutert Komarnicki das Alleinstellungsmerkmal der Plattform.

Wichtig sei, dass die regionalen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten vor Ort in die Planung und Umsetzung einbezogen würden. Nur so könne der Energietransformationsprozess gelingen. In Puńsk gelang dieser Prozess: Nicht nur die Energieeffizienz konnte gesteigert und die CO2-Emission gesenkt werden. Auch die Bewohner hat das System nach anfänglicher Skepsis überzeugt.

Entscheidungsfreiheit liegt bei den Gemeinden

Das interaktive Planungstool umfasst drei Module: Mit dem virtuellen 3D-Visualisierungsmodul können neue Investitionen hinsichtlich der Verfügbarkeit erneuerbarer Energiequellen überprüft werden. Mit dem Wirtschaftsmodul lässt sich die Rentabilität der Investitionen unter der Berücksichtigung der potenziellen Technologien, der lokalen Umweltfaktoren sowie der Verbrauchs- und Geodaten bewerten. Das technische Modul komplettiert die Software. Hiermit können Konzepte für Niederspannungs- und Mittelspannungs-Microgrids und deren Komponenten erstellt werden.

Das Planungssystem überlässt den Gemeinden die Entscheidung, worauf sie bei ihrer Energieversorgung Wert legen und wie autark sie von externer Stromversorgung leben wollen. Je nachdem, ob ihnen möglichst viel eigener Solarstrom oder ein alternativer Energiemix mit externen Lieferanten wichtig ist, schlägt das System die optimale Strategie vor, um eine stabile Energieversorung zu gewährleisten.

Das Tool versetzt kleine Gemeinden in die Lage, einen Beitrag zur Energiewende zu leisten. „In Modellregionen wie in Sachsen-Anhalt ist schon viel passiert. Hier wird regenerative Energie bereits intensiv genutzt. Aber andere Regionen nähern sich dem Aspekt nachhaltige Energieversorgung nur langsam. Unsere interaktive Planungsplattform unterstützt sie bei der Selbstversorgung mit grünem Strom“, sagt der Forscher.

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