„Amazon Prime im Maschinenbau“ Interview: Aftermarket-Services im Maschinenbau

Oliver Bendig ist Partner Strategy & Business Design bei Deloitte.

Bild: Deloitte
25.02.2021

Maschinen verkauften sich die letzten Jahre sehr gut. Doch nicht erst seit der Covid-19-Pandemie verlagert sich der Profit zunehmend in Aftermarket-Services. Um künftig wettbewerbsfähig zu bleiben und Mehrwerte gegenüber der internationalen Konkurrenz bieten zu können, müssen Maschinenbauer massiv in digitale Service- und Subskription-Modelle investieren, wie Oliver Bendig, Partner Strategy & Business Design bei Deloitte, im Gespräch mit A&D appelliert.

Ist der Service-Bereich für Maschinenbauer gerade in turbulenten Zeiten eine Stabilitätsgarantie?

Auf jeden Fall, denn das Service-Geschäft bleibt auch in der Krise weitgehend stabil. Natürlich ist es im Moment so, dass der Verkauf von Neumaschinen schwierig ist, teilweise sogar deutlich zurückgeht. Aber wie ein Auto muss auch eine Druckmaschine oder eine Abfüllanlage über kurz oder lang gewartet werden, insbesondere wenn die Produktion ohne Ausfälle laufen muss. Manche Unternehmen generieren über 100(!) Prozent ihres Profits im Aftermarket. Viele dieser Service-Champions verzeichnen auch jetzt Rückgänge im Service im niedrigen einstelligen Prozentbereich, während im Neumaschinen-Geschäft die Rückgänge im zweistelligen Prozentbereich liegen. Maschinenbauer müssen ihr seit Jahren lukratives Kerngeschäft also stärker absichern. Das ist natürlich auch vielen anderen Playern nicht verborgen geblieben, und dementsprechend nimmt die Konkurrenz durch günstige Teile und lokale Techniker zu. Die primäre Aufgabe für Maschinenbauer ist es, durch digitale Services, wie Predictive Maintenance, die Kunden noch besser zu betreuen und zu binden.

Aftermarket-Services gibt es im Maschinenbau ja schon lange. Müssen diese jetzt einfach mal digitalisiert werden?

Ganz so einfach ist es nicht, denn die Maschinen sind in das Produktionsumfeld des Kunden eingebunden. Hier müssen Prozesse und Maschinen aufeinander abgestimmt sein, um dem Kunden einen Mehrwert zu ermöglichen. Doch wenn ich sehe, wie die deutschen Maschinenbauer hier im Moment Strecke machen, stimmt mich das sehr positiv. In allen Bereichen des Aftermarkets gibt es immer mehr digitale Services, die einen Mehrwert für den Maschinenbetreiber liefern. Das ist wie erwähnt dringend notwendig, denn die Maschinen sind vergleichbarer geworden und die Konkurrenz besser. Da ist es wichtig, sich auf den Aftermarket zu konzentrieren. Früher sprach man davon, dass der Aftermarket – neben Technologie und Preis – einer von drei Faktoren ist, der die Kaufentscheidung beeinflusst. Heute macht der Service sicher die Hälfte der Entscheidung aus und die anderen beiden Kriterien sind in den Hintergrund gerückt.

Welche Grundvoraussetzungen müssen Maschinenbauer eigentlich erfüllen, bevor sie überhaupt an digitale Aftermarket-Services denken können?

Sie müssen natürlich erstmal die eigene Infrastruktur digitalisieren, ihre Mitarbeiter mit digitalem Equipment ausstatten und schulen. Auf den Kunden sollten die Maschinenbauer erst zugehen, wenn Pilotprojekte intern erfolgreich waren und einen Mehrwert gebracht haben. Die Zeiten, um mit Pilotprojekten auf Kunden zuzugehen, sind vorbei!

Was sind die größten Herausforderungen beim Umsetzen von digitalen Aftermarket-Services? Sind das oft auch interne Widerstände?

Der deutsche Maschinenbau ist ingenieurgetrieben und kümmert sich klassischerweise sehr gerne um die beste, neueste und schnellste Technologie – darauf können wir auch stolz sein. Aber das steht bei Veränderungen vielen Maschinenbauern auch im Wege. Denn mit der Digitalisierung verändern sich auch die Prozesse und die Anforderungen an die Mitarbeiter. Das bedeutet Unsicherheit und die Mitarbeiter müssen auf die digitale Reise mitgenommen werden. Covid wirkte hier wie bei der Akzeptanz vieler digitaler Prozesse als Beschleuniger. Viele Unternehmen standen am Anfang der Covid-19-Krise vor der Herausforderung, dass sie nicht zu ihren Kunden reisen konnten, wo die Maschine steht. Dann wurden Privatjets gemietet, um den Techniker doch zur Maschine zu bringen, denn ein Produktionsstillstand kostet schnell 10.000 Euro pro Stunde. Aktuell sind viele Unternehmen durch die Digitalisierung in der Lage, bis zu 80 Prozent der Probleme an der Elektronik remote zu lösen. Die Pandemie hat geholfen, interne Hürden zu überwinden und so auch zu diesen enormen Effizienzsteigerungen geführt.

Wenn man typische digitale Servicemodelle aufzählt, werden stets Remote Service, Condition Monitoring, Predictive Maintenance genannt. Welche können Sie noch nennen?

Über diese Services reden wir in der Industrie bereits seit zwanzig Jahren, vieles davon ist aus verschiedenen Gründen noch nicht flächendeckend umgesetzt. Beispielsweise bedeutet Predictive Maintenance auch, dass der Hersteller Fehler antizipiert und dem Betreiber der Anlage hilft, diese Fehler selber zu beheben. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass die Techniker häufig nicht mehr zum Kunden geschickt werden müssen. Mit der Technikerstunde haben Maschinenbauer aber sehr gut verdient in den letzten Jahren. Die Ersatzteile zu verkaufen und einzubauen ist ebenfalls attraktiv. Heute geht es darum, mit digitalen Services die Effizienz von Anlagen zu steigern oder Stillstände zu vermeiden, um damit Kunden erfolgreicher zu machen. Dadurch können Maschinenbauer die Kosten ihrer Kunden senken, das stärkt die wichtige Kundenbindung. Denn wenn ein Kunde merkt, seine Ausrüster arbeiten mit ihm am gemeinsamen Erfolg, wird er weiterhin ihren Service nutzen und Ersatzteile bei ihnen kaufen. Und durch die digitalen Services können Kunden einfache Wartungen oder Optimierungen selbst machen. Maschinenbauer können damit auch zusätzliche Trainings verkaufen, wie die Ausbildung der Operator in der Problemanalyse durch die Auswertung der Maschinendaten. Und der deutsche Maschinenbau hat hier einen Vorteil, denn er hat meistens eine installierte Flotte weltweit. Auf dieser Basis können die Unternehmen Daten sammeln, Erkenntnisse ableiten und Kunden zum effizienteren Betrieb beraten. Wie diese Services monetarisiert werden, würde ich zunächst zurückstellen. Der finanzielle Erfolg stellt sich ein, wenn der Maschinenbauer seinen Kunden erfolgreicher macht. Dann wird er auch weiter ein treuer Kunde bleiben!

Subskription-Modelle statt Verkauf von Maschinen wäre ja für viele Maschinenbauer ein völlig neuer Ansatz. Wann lohnen sich hier Überlegungen?

Equipment as a Service (EaaS) hat in meinem Umfeld in den letzten 12 bis 18 Monaten wahnsinnig an Bedeutung gewonnen. Fast alle Maschinenbauer haben dieses Thema auf die Agenda gesetzt. Bevor es jedoch an die Umsetzung geht, benötigen sie eine enge und vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kunden – denn sie teilen als Maschinenbauer das Risiko eines Produktionsausfalls mit den Kunden. Denn wenn seine Produktion zurückgefahren wird, und der Kunde hat beispielsweise fünf Blechstanzmaschinen, davon zwei als EaaS, so werden natürlich als erstes diese gekappt. Der Maschinenbauer muss bei EaaS-Modellen also Vereinbarungen haben, die auf die Anforderungen beider Seiten einzahlen. Dann lohnt sich EaaS nur bei Maschinen, die einen hohen Durchsatz ohne ständiges Umrüsten haben. Und ich rate meinen Kunden auch, Partner mit reinzunehmen – schauen Sie sich das Joint Venture Trumpf, Munich Re und relayr an. Warum macht Trumpf das? Selbst ein großer Maschinenbauer kann nicht tausende Maschinen vorfinanzieren und dieses Risiko übernehmen. Mit der Munich Re als Rückversicherung für Industriekunden stehen nicht nur finanzielle Mittel parat, sondern eben auch die Risikobewertung. Und der dritte Partner relayr, ein Start-up der Munich Re, kümmert sich um die IoT-Umsetzung und Analytics-Services. Maschinenbauer müssen also nicht alles alleine machen.

Ein Unternehmen wie Trumpf hat dennoch andere finanzielle Mittel und produziert viele Maschinen. Aber so ein kleiner Maschinenbauer, der drei Spezialmaschinen pro Jahr verkauft, der kann das ja gar nicht finanziell heben, auf EaaS-Modelle zu gehen...

Ich würde hier sogar so weit gehen und sagen: Das macht keinen Unterschied! Die Maschinenbauer müssen in dieses EaaS-Modell mit einem vertrauenswürdigen Kunden gehen, um gegenseitig davon zu lernen und Skalierungsmöglichkeiten auszuloten. Denn Maschinenbauer müssen damit Erfahrungen sammeln, solange sie es finanziell noch gut abbilden können! Schnell kann nämlich sonst der Zeitpunkt kommen, wo die Maschinenbauer gezwungen werden, solche Modelle anzubieten. Und es gibt Industriebereiche, wo dies bereits passiert ist! Für mich ist es ganz wichtig: testen, lernen, mit kleinen Segmenten der Kundenbasis anfangen. Nur dann ist man auf die Zukunft vorbereitet und kann das Modell gestalten.

Wie kann Deloitte Maschinenbauer konkret in der Umsetzung von Aftermarket-Services unterstützen?

Mein Team und ich sind jetzt seit über zwanzig Jahren fokussiert auf den Aftersales im Maschinenbau und helfen unseren Kunden, Service-Champions zu werden. Das heißt, wir kennen die After-Sales-Modelle aus den verschiedenen Sektoren und Branchen des Maschinenbaus und wissen, was passt und was nicht. Diese Erfahrung im After-Sales und der Supply-Chain-Logistik ist unser großes Asset. Wir verstehen außerdem, wie die Maschinenbauer ihr Geschäft machen. Durch unsere tiefen Einblicke kennen wir die Stärken und Schwächen unserer Kunden, die vielversprechenden Erfolgsmodelle, aber auch die Wege, die zum Scheitern verurteilt sind. Und last but not least: In den vergangenen zwei Dekaden haben wir gemeinsam mit den besten Maschinenbauern das weltweit führende Netzwerk für Aftersales und Supply Chain aufgebaut („Your Service Leader’s Network“). Hier tauschen sich mittlerweile über 80 Maschinenbauer untereinander aus und beschleunigen gemeinsam den Wandel hin zu mehr Kundenorientierung und Innovation. Dieser Wissenstransfer ist gerade jetzt im Zeitalter der Digitalisierung einmalig.

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