Hardware, Software, „Brainware“ Die verborgenen Kräfte des Maschinenbaus entfesseln

Bild: iStock, Jit Lim
10.07.2018

Der Einstieg in Industrie 4.0 ist nicht einfach. Neben Hard- und Software gehört dazu auch die „Brainware“. Es genügt eben nicht, nur ein Cloud-Interface anzubieten. Der OEM braucht auch Anwendungen und Geschäftsideen, um mit neuen Services die Magie der Digitalisierung entfalten zu können. Genau hierfür unterstützt Lenze Maschinenbauer mit einem ganzheitlichen Lösungsangebot.

Durch moderne Automatisierungstechnik und Vernetzung konnte jedes Jahr die Produktivität in der Fertigung um einige Prozentpunkte gesteigert werden. Die Technologien entwickelten sich weiter, die grundsätzlichen Konzepte dagegen nicht. Mit dem digitalen Wandel steht Automatisierern und Maschinenbauern, Industrie-Unternehmen und deren Kunden inzwischen aber eine völlig neue Entwicklung ins Haus. Statt einer schrittweisen Weiterentwicklung ermöglicht Industrie 4.0 einen sprunghaften Fortschritt bei Produktivität und Profit. Wer diese Entwicklung nutzt, schafft für sich und seine Kunden einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Wer die Chancen dagegen nicht rechtzeitig nutzt, fällt zurück und setzt sich dem Risiko aus, vom Markt verdrängt zu werden, so wie einst die Segelschifffahrt von den Dampfern fast vollständig abgelöst wurde.

„Disruptiver Moment“ wird dieser Punkt der Entwicklung oft genannt – und Beispiele wie AirBnB und Uber hinterlassen oft den Eindruck, dass der „alten Industrie“ die völlige Zerstörung drohe, wie dem einstigen Fotopionier Kodak, der 2012 Insolvenz anmelden musste. Doch dieser Eindruck ist falsch. Denn jeder kann die nun mögliche Weiterentwicklung für sich nutzen und davon profitieren.

Mehr als nur Technik

Nach der Entwicklung leistungsfähiger Steuerungstechnik und IPCs, der Vernetzung der Produktionsanlagen mittels schnellem Industrial Ethernet und einem steilen Anstieg des Software-Anteils an der Wertschöpfung im Maschinen- und Anlagenbau ist nun eine neue Ära angebrochen: das Zusammenwachsen von OT und IT. Am augenfälligsten sind die Möglichkeiten, die sich heute mit Cloud-Computing für die Industrie ergeben. Aus der Big-Data-Analyse lassen sich mittels Mustererkennung und komplexen Vorhersagen sichtbare Erfolge beim Qualitätsmanagement und der Wartung erzielen – Stichworte sind hier Statistische Prozesskontrolle und Predictive Maintenance.

Und auch die Weiterentwicklung ist in Teilen bereits vorgezeichnet: Machine Learning und künstliche Intelligenz sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern mancherorts bereits im Einsatz. Diese Anwendungen gehen weit über das hinaus, was die evolutionäre Entwicklung der Automatisierungstechnik an Produktivitätszuwachs hätte leisten können. Daraus erwachsen völlig neue Möglichkeiten zur Gestaltung von Services, Kundenprozessen und ganzen Geschäftsmodellen.

IIoT-Plattformstruktur

Dabei gilt es, die Kundenwünsche genau zu kennen. Der End-Kunde – also beispielsweise ein Anlagenbetreiber – denkt device-zentriert. Er hat seine gesamte Fabrik im Blick, mit allen Geräten und Sensoren. Die Lösung, die seinen Anforderungen entspricht, ist daher eine Plattform, die einen umfassenden IIoT-Ansatz realisiert, also alle relevanten Maschinen, Devices, Sensoren und Aktoren miteinander verbindet.

Völlig anders dagegen ist die Perspektive des Maschinenbauers. Er braucht eine Plattform, die garantiert, dass er jederzeit Zugriff auf die weltweit eingesetzten Maschinen hat und die den kontinuierlichen Datenfluss sicherstellt. Denn nur auf Grundlage dieser Daten kann er innovative Services anbieten und neue digitale Geschäftsmodelle entwickeln. Es gibt also deutliche Unterschiede in den Anforderungen der verschiedenen Kundengruppen. Letztendlich braucht der Anlagenbetreiber eine device-zentrierte IIoT-Plattform, der Maschinenbauer dagegen eine Maschinen-zentrierte IIoT-Plattform.

Device-zentriertes IIoT

Ein möglicher Ansatzpunkt für eine einfach zu realisierende IIoT-Lösung ist das Asset-Management. Lenze bietet dafür eine eigene Applikation an, die sich einfach realisieren lässt und die zudem schnelle Erfolge in Form von Kosteneinsparungen und verbesserter Verfügbarkeit bringt. Durch eine Bestandsaufnahme in der gesamten Anlage werden alle relevanten Komponenten („Assets“) mit Seriennummer, Gerätekennzeichnung, Einbaulagen-Fotos und Funktionsbereich in der Lenze-Asset-Management-Software vor Ort aufgenommen. Dieser Datenstamm wird angereichert mit Informationen wie zum Beispiel Lieferzeiten oder Verfügbarkeit, Wartungsintervalle, dem Lebenszyklus der Komponente, sowie Dokumentationen wie Bedienungsanleitungen und vielem mehr. Dadurch entstehen auf Komponenten-Ebene digitale Zwillinge, die als Basis für verschiedene Servicepakete dienen können.

Das Entscheidende ist, dass die Anwendung sich in die bestehende Infrastruktur mit Komponenten unterschiedlicher Hersteller, das Brownfield, einfügt, und hier einen Single Point of Truth darstellt. Alle relevanten Daten an einem Ort, mit verlässlicher Qualität und einer hohen Frequenz erhoben, bieten die Grundlage für eine Intelligenz am Ort des Geschehens. Diese kann neben Predictive Maintenance beispielsweise auch bei Retrofit-Konzepten behilflich sein.

Maschinen-zentriertes IIoT

Die wichtigsten Anliegen des OEM sind geringere Servicekosten und dem Kunden eine höhere Verfügbarkeit zu bieten. Um dies zu ermöglichen, muss der OEM Zugang zum Steuersystem der Maschine haben und dies für die Fernwartung nutzen können. Erfahrungsgemäß können über 50 Prozent aller Fehler remote erkannt und behoben werden. Solche Services gibt es zwar bereits seit mehr als einem Jahrzehnt, allerdings kombiniert eine Maschinen-zentrierte IIoT-Lösung Remote-Services mit Managed Networks, so dass zum einen der Remote-Zugriff bei Bedarf genutzt werden kann und zum anderen kontinuierlich Maschinendaten in der Cloud gesammelt werden, die wiederum für innovative Geschäftsmodelle genutzt werden können. Damit der OEM Komplett-Lösungen entwickeln kann, bietet Lenze im Rahmen einer Kooperation die sicheren Cloud-Gateways von ei3 an, die OPC UA unterstützen. Eine eigene Cloud hat Lenze dagegen nicht kreiert. Der Kooperationspartner ei3 bietet demnächst eine Lösung in einem eigenen, Dekra-zertifizierten Rechenzentrum in Deutschland an.

Die Connectivity-Boxen von ei3 – eine für den Einsatz direkt an der Maschine, die andere mit integrierter Firewall als Gateway für das gesamte Netzwerk – lassen sich sehr einfach im Plug&Play-Verfahren integrieren. Für den Einstieg in die Digitale Transformation ist auch weniger relevant, womit man startet, sondern wie schnell man startet, denn das Wachstum entwickelt sich exponentiell. Die Lenze-Lösung setzt genau hier an. Mit eingebauten Dash­boards können der OEM und sein Endbenutzer sehr schnell produktiv arbeiten, sprich: die relevanten Daten der betroffenen Maschinen überwachen um die OEE zu verbessern und die Kosten zu senken. Die Lösung besteht aus einer Kombination aus Remote-Service über gesicherte verwaltete Netzwerke mit Datenerfassung und einem Mini-SCADA in der Cloud. Investitionen in die Softwareentwicklung sind dabei nicht nötig. Dies schafft einen Mehrwert sowohl für den OEM als auch für den Endanwender, und sichert damit das beiderseitige Inter­esse, die Maschinen mit der Cloud zu verbinden.

Und die Sicherheit?

Die Device-zentrierte wie auch die Maschinen-zentrierte IIoT-Lösungen stehen und fallen mit der Bereitschaft der Endnutzer, ihre Einrichtungen beziehungsweise Maschinen zu vernetzen. Auf Geräte-Ebene werden Endanwender nur ungern Zugriff von außen gewähren. Dies ist sowohl technisch als auch wirtschaftlich kaum darstellbar. Es gibt jedoch einen Ausweg, der mögliche Sicherheitsrisiken deutlich reduziert: die Daten werden in einen sicheren Bereich gebracht, auf den Anlagenbetreiber und ihre Servicepartner zugreifen können statt auf die physischen Geräte.

Im Maschinen-zentrierten Bereich genügt es nicht, mit Push-Up-Daten zu arbeiten – hier ist der direkte Fernzugriff und -service der Kern der Wertschöpfungskette. Das bedeutet erhöhte Anforderungen an die Sicherheit und die Aktualisierung des Systems und der Maschinen zum Schutz gegen unterschiedliche Angriffsszenarien.

Neue Services möglich

Im Device-zentrierten Bereich ermöglichen „Shared Data“ den Komponentenlieferanten die Entwicklung neuer Dienstleistungen mit hohem Mehrwert für den Anlagenbetreiber. Antriebe von Lenze sind mit Sensoren vollgepackt, die nicht nur über den Gerätestatus detailliert Auskunft geben, sondern auch Einblicke in die angeschlossene Mechatronik. Die Messung aktueller Pegel und Frequenzen oder der Anzahl der Zyklen und weiterer Werte liefert eine Datenbasis, die bei Pannen und Ausfällen zum Vergleich herangezogen werden kann. Aus den daraus identifizierten Korrelationen lassen sich immer bessere Modelle mit zunehmender Genauigkeit erstellen, die Services wie vorausschauende Wartung ermöglichen und am Ende die Ausfallzeiten reduzieren.

Der Ausgangspunkt für zusätzliche Dienst­leistungen im maschinenzentrierten Bereich ist die Analyse der OEE der Maschinen im Feld. Der OEM kann die Leistung von Maschinen an verschiedenen End-User-Standorten ermitteln und seinen Kunden auf dieser Basis Verbesserungsvorschläge machen. Weist eine Maschine eine niedrigere OEE auf als ähnliche Maschinen am gleichen Standort oder an anderen Standorten, kann die Datenbasis Hinweise auf die Ursache für solche Unterschiede liefern, sei es das Ausgangsmaterial, das Training des Bedienerpersonals oder ähnliches.

Obwohl viele Fehler und Stillstände aus der Ferne gelöst werden können, erfordern manche Ereignisse weiterhin fachkundiges Personal vor Ort, was die OEE belastet. Eine Möglichkeit, dies zu reduzieren, liefert der Einsatz von Augmented Reality. Sie versetzt auch weniger geschulte Bediener in die Lage, vor Ort als Augen und Hände der entfernten Servicetechniker zu agieren und somit die Servicekosten zu senken. Das dazu notwendige Werkzeug ist im Lenze-ei3-Paket bereits enthalten.

Geheime Zutat: Geschäftsideen

Die genannten Beispiele kratzen allerdings erst an der Oberfläche dessen, was zukünftig an Geschäftsmodellen für Maschinenbauer möglich ist. Cloud-Services und die integrierte API machen es dem OEM einfach, die Daten zu nutzen und darauf basierende neue Geschäftsmodelle zu erstellen. Anwendungen, wie eine automatische Ersatzteil-Bestellung, lassen sich schon jetzt mit einer gemeinsam mit der Lenze-Tochter Logicline entwickelten Lösung realisieren.

Aber auch Maschinenanalysen und maschinelles Lernen können zum Einsatz kommen. In der Vergangenheit mussten Maschinenbauer bei der Dimensionierung von Anlagen Sicherheitsmargen auf Basis bestimmter Annahmen einbauen, um sicherzustellen, dass die Qualität der Maschinen gesichert ist und Fehler auf einem akzeptablen Niveau gehalten werden. Basierend auf der breiten Datenbasis aus der Cloud können beispielsweise Annahmen bezüglich der erforderlichen Sicherheitsmargen an die tatsächlichen Anforderungen aus dem Feld angepasst werden. Dies führt zu einer drastischen Reduzierung der Sicherheitsmarge und entsprechend der Kosten bei gleicher Qualität und OEE. Eine weitere mögliche Big-Data-Anwendung ist die Suche nach Korrelationen zwischen Maschinenausfällen und -stopps und bestimmten Werten oder Datenmustern. Eine Analyse der laufenden Messwerte kann dann bevorstehende Ereignisse entdecken und die Bediener rechtzeitig warnen.

Brainware

Für einen Automatisierer wie Lenze heißt das, selbst aktiver zu werden. Unter den Vorzeichen einer Industrie 4.0 genüge es nicht mehr, nur auf technische Entwicklungen und Anforderungen der OEMs und der Industrie-Unternehmen zu achten. Stattdessen müsse man aktiv Angebots-Ideen entwickeln, innovative Services erfinden und neue Geschäftsmodelle aufzeigen, will man weiterhin an der Spitze der Entwicklung stehen.

Denn die Entscheidung, wie ein Produkt, eine Maschine, eine Anlage auszusehen hat, werde immer weniger nach den zur Verfügung stehenden Komponenten entschieden – die gleichen sich herstellerübergreifend immer mehr an. Sie bieten aber andererseits eine unverzichtbare Basis für die Zusammenarbeit. Ein umfassendes Hardware-Portfolio für die Industrie-Automation gehört dazu ebenso wie die passende Software inklusive der Entwicklungswerkzeuge, beispielsweise die Fast-Toolbox, die Modularisierung unterstützt.

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  • Jan Vestbjerg Koch ist Global Head Industry Sales bei Lenze.

    Jan Vestbjerg Koch ist Global Head Industry Sales bei Lenze.

    Bild: Lenze

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