Fertigung modernisieren Vom Abbild zum Entscheider: Neue Entwicklungen bei Digital Twins

Mit immer leistungsfähigeren Analysemodellen sind digitale Zwillinge in der Lage, größere Datenmengen zu verarbeiten, komplexere Systeme zu durchleuchten und genauere Aussagen zu treffen.

Bild: iStock, BlackJack3D
21.07.2025

Digitale Zwillinge haben mittlerweile einen festen Platz in deutschen Industrieunternehmen, wenn es darum geht, Abläufe effizienter zu gestalten, Wartungen vorherzusagen oder Planungen zu optimieren. Mit dem technologischen Fortschritt werden diese Anwendungen nun immer raffinierter. Wieso bald kein Werk mehr ohne Zwilling auskommt, wie neue Entwicklungen bei digitalen Zwillingen sich auf die Digitalisierung der industriellen Produktion auswirken und welche Möglichkeiten sich daraus für Unternehmen ergeben, erklärt Tobias Thelemann, Produktmanager für mechanische Bauelemente und Elektroinstallation bei Reichelt elektronik.

Die Anwendung von digitalen Zwillingen stammt ursprünglich aus der Automobilbranche. Dort herrscht nicht nur besonders hoher Konkurrenzdruck, es müssen auch in kurzen Abständen immer neue Modelle mit hohen Qualitätsanforderungen auf den Markt gebracht werden. Heutzutage gelten diese Anforderungen längst für die gesamte Maschinenbaubranche und so wurde der digitale Zwilling zum Erfolgsmodell. In Fabriken überwachen sie beispielsweise defektanfällige Pumpventile oder sichern die reibungslose Montage von Autoteilen.

Selbst über den Produktionssektor hinaus etabliert sich der digitale Zwilling immer mehr. So hilft er Städteplanern, den Infrastrukturausbau in Smart Cities zu simulieren oder kann in Energiekraftwerken genutzt werden, um die Leistung der Anlagen zu optimieren oder sogar Ausfälle zu vermeiden.

Vom Abbild zum Assistenten: wie der digitale Zwilling Denken lernt

Mit breiteren Einsatzmöglichkeiten und steigenden Funktionen entwickelt sich der digitale Zwilling stets weiter. Zu Beginn war eine der größten Hürden für den Einsatz digitaler Zwillinge das Sammeln und Aufbereiten relevanter Daten für die Analyse. Heute verfügen die meisten Unternehmen über sorgfältig ausgearbeitete Datenstrategien und können Daten gezielter und effizienter sammeln. Mit immer leistungsfähigeren Analysemodellen sind digitale Zwillinge zudem in der Lage, größere Datenmengen zu verarbeiten, komplexere Systeme zu durchleuchten und genauere Aussagen zu treffen. Selbst schwer zu erkennende Trends, wie kleine Veränderungen über lange Zeiträume hinweg, können von fortschrittlichen Algorithmen erkannt werden.

Schon die Anwendung dieser Technologie bei einer einzelnen Maschine ist eine große Hilfestellung. Werden nun mehrere Maschinen und Produktionsschritte miteinander in Verbindung gesetzt, eventuell auch mit weiteren Produktionsdaten korreliert, dann entsteht nach und nach ein immer ganzheitlicheres Bild über das gesamte Ökosystem. Dieser zusätzliche Kontext kann zum Beispiel helfen, Kausalitäten innerhalb dieses Ökosystems zu erkennen und so zu besseren Entscheidungen führen.

Der digitale Zwilling ist also nicht mehr nur mit spezifischen Aufgaben betraut, etwa dem Aufspüren defekter oder defekt werdender Maschinenteile, sondern liefert umfassende Trenddaten über die gesamte Produktion. Auf diese Weise entwickelt sich der digitale Zwilling vom Werkzeug für einzelne Aufgaben zum Partner für kluge und vorausschauende Business-Entscheidungen, die das Unternehmen entscheidend beeinflussen.

Praxisbeispiel „made in Germany“

Dass dieser umfassende Einsatz eines digitalen Zwillings keine Zukunftsmusik mehr ist, hat ein deutsches Unternehmen bereits bei der diesjährigen Hannover Messe bewiesen. Dort stellte Siemens seinen neuen Industrial Copilot vor und wurde dafür mit dem Hermes Award 2025 ausgezeichnet. Der Copilot wird in das Industrial-Edge-Ökosystem integriert und mit KI erweitert, um KI-Modelle in der gesamten Produktionsumgebung so nah wie möglich an den Maschinen bereitzustellen und so den Arbeitern direkt in der Produktionshalle Zugang zu KI zu gewähren. Ein entscheidender Vorteil ist dabei zum Beispiel das KI-gestützte Übersetzen von Maschinenmeldungen in menschliche Sprache. So können die Fachkräfte eventuelle Fehlermeldungen schneller verstehen und behandeln.

Der Siemens Industrial Copilot integriert alle Prozesse der industriellen Wertschöpfungskette, von dem Design und der Planung über zentrale Schritte wie etwa die diskrete Fertigung und Prozessfertigung bis hin zum Service. Schon im Designprozess kann der Copilot bei der Navigation der Software helfen und zum Beispiel KI-basierte Empfehlungen für die Fertigung geben. Später hilft er bei der Optimierung der Arbeitsabläufe in der Fertigung und macht Vorschläge für die Schichtplanung oder eine bessere Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.

So tragen immer leistungsfähigere und in das gesamte Ökosystem integrierte digitale Zwillinge einen entscheidenden Teil dazu bei, Entscheidern den besten Überblick über alle Abläufe zu geben. Mithilfe dieser intelligenten Analysen können sie die richtigen Schritte einleiten, um die Produktivität ihrer Unternehmen zu steigern und Ausfälle zu minimieren.

Ein Zwilling kommt selten allein

„Die Zukunft der digitalen Zwillinge ist eindeutig: Durch fortschrittliche Datenmanagementsysteme, Machine Learning und nicht zuletzt KI werden immer komplexere digitale Zwillinge entstehen“, führt Tobias Thelemann von reichelt elektronik aus. „Sie werden weit mehr als nur ein oder ein paar Maschinen umfassen, sondern einen ganzen Fabrikkomplex oder ein gesamtes Ökosystem. Besonders in Branchen, die immer wieder von volatilen Lieferketten geplagt sind, kann durch ein ganzheitlicheres Bild Klarheit für gute Entscheidungen gewonnen werden. In Deutschland, das viele großartige Technologieunternehmen beherbergt, die sich in den kommenden Jahren gegen große Konkurrenz behaupten müssen, ist der digitale Zwilling ein nicht von der Hand zu weisender Faktor für Wettbewerbsfähigkeit.“

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