Herr Dr. Ploss, Herr Prof. Mlynek, würden Sie uns Ihre Organisationen und Ihre Funktion darin bitte kurz vorstellen?
Prof. Jürgen Mlynek
Ich bin Chairman des Strategic Advisory Board der European-Quantum-Flagship-Initiative. Die 2018 gestartete Leuchtturminitiative der EU hat eine Milliarde Euro Budget für zehn Jahre Laufzeit – und die klare Absicht, nicht nur Grundlagen zu erforschen, sondern die Schnittstelle hin zur wirtschaftlichen Anwendung zu adressieren. Unser Ziel ist es, den Boden für einen neuen Industriezweig mit zukunftsfesten Arbeitsplätzen zu bereiten. Wir fördern vor allem Projekte, in denen Konsortien aus der Wissenschaft und der Privatwirtschaft zusammenarbeiten.
Dr. Reinhard Ploss
QUTAC hat sich 2021 im Zuge des von Bundeskanzlerin Angela Merkel initiieren Innovationsdialoges formiert. Ich bin einer der Gründer und repräsentiere den Zusammenschluss nach außen, dem 14 der größten Unternehmen Deutschlands und Europas angehören. Unser Grundgedanke war es, dass neben der Hard- und Softwareentwicklung für das Quantencomputing auch Anwendungskompetenz essenziell sein wird. Die Mitgliedsunternehmen von QUTAC erproben in Pilotprojekten, für welche Fragestellungen sich das Quantencomputing eignet, wo es den heutigen High-Perfomance-Computern überlegen sein wird oder wie sich das Denken und die Algorithmik verändern müssen, um das Potenzial voll auszuschöpfen.
Beim Quantencomputing gibt es eine hohe Vielfalt an Ansätzen. Was sagt der Physiker zu dieser blühenden Landschaft der Ideen?
Mlynek
Es gibt zwei Seelen in meiner Brust. Die Vielfalt der Möglichkeiten, Qubits zu realisieren, ist faszinierend: Plattformen auf Basis von Halbleitern, Supraleitern, Neutralatomen, Ionen oder Photonen sind im Rennen. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht spannend. Zugleich zeigt diese Vielfalt, dass es noch keine offensichtlichen Gewinner gibt. Einige Ansätze – Supraleiter, Ionen und Neutralatome – sind vielversprechend. Wir müssen uns aber immer vor Augen halten, dass die Ressourcen begrenzt sind. Ist es daher sinnvoll, alle Plattformen zu fördern und neue Ansätze in die Förderung zu nehmen? Oder sollten wir uns auf zwei bis maximal drei Plattformen konzentrieren und mit gebündelten Kräften auf die Marktreife hinarbeiten. Um in Ihrem Bild zu bleiben: Anstatt tausend Blumen blühen zu lassen, sollten wir möglicherweise die zwei stärksten Triebe einpflanzen, düngen und gedeihen lassen. Wir müssen raus aus den Labors – rein in die Welt professionellen Engineerings, miniaturisierter Designs und zuverlässiger Fertigungsprozesse. Die Welt von Reinhard Ploss...
Ploss
…die Perspektive hat QUTAC von Anfang an eingenommen. Natürlich kann immer eine bessere Idee kommen. Aber es geht um die Industrialisierung des Quantencomputers und entsprechende Lernkurven: Um Quantensysteme mit einer hohen Zahl an logischen, funktionsfähigen Qubits zu beherrschen, ist eine Präzision in der Fertigung gefragt, die Start-ups kaum leisten können. Wer diese Lernkurve am effektivsten vollzieht, gewinnt das Rennen zur Marktreife. Ich stimme daher zu, dass wir uns auf einen oder zwei Ansätze konzentrieren und mit der Skalierung beginnen sollten. Das wird signifikant Geld kosten und ist kein Start-up-Thema mehr. Der US-Konzern Nvidia hat jüngst ein Quantum-Center gegründet und investiert zehnstellige Summen. Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen, wenn wir eine Quantencomputer-Industrie in Europa aufbauen wollen. Das wohlgemerkt auch bei der Software, da die Entwicklung der Hardware, der Soft- und Middleware sowie der Anwendungen in diesem Bereich nahezu synchron verläuft.
Wie herausfordernd ist diese Synchronität für industrielle Anwender?
Ploss
Noch geht es eher um das Herangehen als um konkrete praktische Problemlösungen. Unsere Mitglieder untersuchen, wie sie Fragestellungen ändern müssen, um die Performance von Quantencomputern optimal zu nutzen. Die Hardwareplattform ist dafür vorerst zweitrangig. Wichtiger ist die Erkenntnis, dass für das Rechnen mit Quantencomputern neue Denkansätze gefragt sind. Dieses Umdenken hat übrigens dazu geführt, dass wir heute mit herkömmlichen Hochleistungsrechnern bessere Ergebnisse erzielen. Dennoch bleibt eine Leerstelle: Es fehlen in Europa Akteure, die die bisher entwickelten, sehr guten Hardware-Komponenten in Quantencomputersysteme integrieren.
Mlynek
Um hier anzuknüpfen: In den USA gibt es Konzerne mit Hardware-, Internet- oder Softwarehintergrund, für die es klar auf der Hand liegt, eigene Quantencomputer zu bauen, Software zu entwickeln und diese anzuwenden. Sie haben obendrein die Mittel, um ins Risiko zu gehen. Diese Akteure fehlen in Europa. Wir haben keine großen „System-Maker“, sondern nur „System-Taker“. Es gibt Komponentenhersteller, aber keine entsprechenden Hersteller, die Quantencomputer bauen könnten; abgesehen von einigen Start-ups. Doch deren Finanzierungsrunden liegen im zweistelligen Millionenbereich, während in den USA hohe dreistellige Millionenbeträge fließen. Das macht einen großen Unterschied bei der anstehenden Skalierung. Um gegenzusteuern, brauchen wir Innovationsökosysteme und mehr Wagniskapital. Denn wir müssen von raumfüllenden Laboraufbauten schnellstmöglich zur Chip-Integration kommen.
Warum ist es dennoch so wichtig, schon jetzt den möglichen Impact des Quantencomputings auf die heutigen Geschäftsmodelle zu untersuchen?
Ploss
Es zeichnet sich klar ab, was Quantencomputer bewirken können, sei es in der Pharmazie, Chemie, Finanzwirtschaft, Logistik, Produktions- oder Verkehrsplanung. Wo immer komplexe Lösungen mit vielen Variablen gefragt sind, sind sie heutiger Hardware überlegen. Darum muss unsere Industrie „quantum-ready“ sein, sobald die Technologie bereitsteht. Sind wir es nicht, machen andere das Rennen oder wir sind auf Akteure angewiesen, die sich im Zuge der Problemlösungen sukzessive unser Branchen-Know-how aneignen. Dieser Prozess läuft in der Digitalisierung schon. Anbieter digitaler Plattformen erwerben Know-how, mit dem sie ins Kerngeschäft der Branchen drängen, für die sie bisher nur die IT-Dienstleister waren. Wer zur richtigen Zeit weiß, wie Quantencomputer anzuwenden sind, ist im Vorteil.
Prof. Mlynek, Sie haben tiefe Einblicke in die Forschung. Gibt es Ansätze mit disruptivem Potenzial?
Mlynek
Der Quantencomputer an sich ist ja schon disruptiv genug. Es ist der Ansatz in den Quantentechnologien, der einen wirklichen Paradigmenwechsel auslöst. Wir müssen schnell in die Umsetzung kommen und die begrenzten Ressourcen bündeln. Dafür muss die Politik jetzt Mittel bereitstellen – auch mit Blick auf Europas technologische Souveränität und Sicherheitsarchitektur. Es braucht eine Koalition der Willigen.
Ploss
Herr Mlynek spricht mir aus dem Herzen. Wir müssen durchgängiger denken, fokussierter handeln und die Mittel ins Engineering leiten. Das setzt den Mut voraus, auf einzelne Plattformen zu setzen und andere nicht weiter zu fördern. Der Anspruch alle glücklich zu machen, verträgt sich nicht mit dem Ziel, das wir uns im globalen Wettbewerb durchsetzen.
Reden wir von Forschungsfabriken?
Ploss
Keine Forschungsfabrik, sondern eine Umsetzungsindustrie, in der sich europäische Konsortien bilden und zügig damit anfangen, Quantencomputer zu bauen.
In Form einer Public-Private-Partnership?
Mlynek
Weder die Industrie noch der Staat können es allein stemmen. Ist kein Unternehmen bereit, ins Risiko zu gehen, kann es der Staat nicht richten. Umgekehrt geht es um Summen, die auch große Unternehmen nicht einfach aufs Spiel setzen können.
Ende Juni findet die dritte World of Quantum statt. Welche Rolle spielt die Messe und wie werten Sie deren Nutzen für die Quanten-Community?
Ploss
Diese Messe hilft ungemein. Sie ist eine wichtige Plattform, auf der die wichtigsten Akteure zusammenkommen und die notwendigen Diskussionen weiterführen. Unser Gespräch hat gezeigt, dass wir aktuell in einer Phase der Meinungsbildung stehen, um unser Handeln strategischer auszurichten. Die World of Quantum zeigt, dass unser Thema mitnichten ad acta zu legen ist, sondern dass wir gut vorangekommen sind – und weiterkommen wollen.
Mlynek
Ganz genau. Die World of Quantum ist ein Schaufenster dafür, was wir in der Wissenschaft und Wirtschaft bereits erreicht haben – und zusammen erreichen können. Wir sind ein hochinnovatives Zukunftsfeld mit Perspektive. Wenn wir es schaffen, unsere Kräfte zu bündeln, können wir eine erfolgreiche europäische Quantenindustrie aufbauen. Dafür sind jetzt Weichenstellungen erforderlich. Die Messe kommt zum richtigen Zeitpunkt. Sie ist eine Plattform, um die strategische Debatte fortzuführen und Akteure zusammenzubringen.