Dr. Ingo Kaiser, AGW

Wenn der Mittelstand neu denkt – und alle mitspielen

Ingo Kaiser studierte Ingenieurswissenschaften und promovierte am Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn. Er arbeitete 16 Jahre lang in der Industrie (Miele, Weidmüller), wo er für die Entwicklung und erfolgreiche Markteinführung digitaler Geschäftsmodelle verantwortlich war. Seit 2023 arbeitet er als Technischer Leiter bei AGW Elektrotechnik bei Osnabrück, einem breit aufgestellten Errichter für Elektro-Installationen, Sicherheitstechnik und Gebäudeautomation mit eigenem Schaltanlagenbau und circa 170 Mitarbeitenden. Ingo Kaiser hat es sich zur Aufgabe gemacht, Industrie-geprägte Prozesse und Denkweisen ins traditionelle Handwerk zu bringen, um Fachkräftemangel durch Effizienz zu begegnen.

Bild: AGW Elektrotechnik
30.10.2025

Die Neugestaltung des Schaltanlagenbaus in einem mittelständischen Unternehmen verdeutlicht, wie traditionelle Handwerkskunst durch die Methoden der industriellen Produktion transformiert werden kann. Der kollaborative Ansatz, der alle Mitarbeiter aktiv einbezog, führte nicht nur zu einem optimierten Produktionskonzept, sondern förderte auch eine neue Lern- und Innovationskultur.

Während die Energiewende die Nachfrage nach elektrischer Infrastruktur explodieren lässt, standen selbst etablierte Handwerksbetriebe vor der Frage: Wie können wir mitwachsen, ohne in alten Strukturen zu verharren? Die steigende Nachfrage nach elektrischer Infrastruktur bringt die Branche an ihre Belastungsgrenzen. Die Energiewende, der anhaltende Technologiewandel und neue regulatorische Anforderungen treiben den Bedarf in schwindelerregende Höhen – und mit ihm den Druck auf die Unternehmen, die diese Infrastruktur bereitstellen. Besonders betroffen ist der Schaltanlagenbau: ein Bereich, der selten im Rampenlicht steht und doch das pulsierende Herz jeder modernen Elektroinstallation bildet.

Aber wie steigert man signifikant den Output ohne ebenso massive Investitionen und Personalerhöhung? Wir haben es versucht und stellten schnell fest, dass das alte Werkstattkonzept, das einst als pragmatisch und flexibel galt, zunehmend an seine Grenzen geriet. Materialien waren über mehrere Bereiche verteilt, Laufwege ineffizient, die Ergonomie der Arbeitsplätze veraltet. Was früher funktionierte, wurde nun zum Risiko: Für unsere Kunden zählten weniger die Flexibilität der heutigen Werkstatt, dafür stabile Prozesse, saubere Dokumentation und jederzeit nachvollziehbare Qualität.

Der Entschluss zur Transformation fiel konsequent – und wurde nicht als kosmetische Maßnahme, sondern als tiefgreifender struktureller Wandel verstanden. Ziel war es, aus der gewachsenen Werkstattstruktur einen klar gegliederten, produktionsfähigen Fertigungsbereich zu schaffen, der heutigen und zukünftigen Anforderungen standhält.

Im Mittelpunkt des Projekts standen die vollständige Neustrukturierung der Materialflüsse, der Umbau der Arbeitsplätze nach ergonomischen Standards und die Einführung digital gestützter Abläufe, beispielsweise in der Auftragsverfolgung, im Dokumentenhandling und in der Qualitätssicherung. So entstand mit Unterstützung externer Partner und starker interner Beteiligung ein Produktionsumfeld, das sowohl dem handwerklichen Selbstverständnis des Betriebs gerecht wird als auch industriellen Standards genügt.

Ein Aspekt, den viele vernachlässigen, ist jedoch von besonderer Bedeutung: die Einbindung der Mitarbeitenden. Denn Transformation gelingt nur, wenn sie mitgetragen wird. Schulungen, Mitgestaltungsspielräume und eine transparente Kommunikation bildeten die Grundlage für eine neue Kultur im Unternehmen, die von Klarheit, Effizienz und gemeinsamer Verantwortung geprägt ist. Heute zeigt sich unser Unternehmen als zukunftsfähiger Betrieb, der seine Wurzeln nicht aufgegeben, sondern weiterentwickelt hat. Der neue Produktionsbereich ermöglicht uns eine saubere Taktung, hohe Reproduzierbarkeit und stabile Qualität – ohne den Geist des Handwerks zu verlieren. In einer Branche im Umbruch ist das keine Selbstverständlichkeit, sondern ein deutliches Signal: Wer den Wandel aktiv gestaltet, statt ihm hinterherzulaufen, kann selbst in dynamischen Zeiten Maßstäbe setzen.

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