KI in der Fertigung Warum es ein Bewertungsinstrument für AI Readiness braucht

Bereit für KI? Eine systematische Beurteilung der eigenen Ausgangslage kann Unternehmen helfen, erfolgreiche KI-Strategien in ihrer Fertigung umzusetzen.

Bild: iStock, sankai
07.07.2025

Künstliche Intelligenz bringt der Fertigungsindustrie enorme Potenziale. Trotzdem haben laut einer aktuellen Studie erst 20 Prozent der Fertigungs- und Produktionsunternehmen flächendeckend KI implementiert. Ein Ansatz zur Bewertung und Steigerung der AI Readiness kann helfen, die digitale Transformation zu meistern.

Hochautomatisierte Produktionsstätten gelten als Zukunftsvision der Industrie. Doch was auf dem Papier vielversprechend klingt, scheitert in der Realität oft an der Umsetzung: Während viele Unternehmen erste Pilotprojekte aufsetzen, fehlt es häufig an einer übergeordneten Strategie. Einzelne Abteilungen testen KI-Anwendungen isoliert voneinander – ohne klare Zuständigkeiten, ohne Skalierungsperspektive und ohne strukturelle Einbettung in bestehende Prozesse.

Dabei liegt das Potenzial auf der Hand: Künstliche Intelligenz steigert nicht nur die Produktivität und gestaltet Prozesse effizienter, sondern verbessert auch Qualitätsstandards, erkennt Wartungsbedarfe frühzeitig und senkt langfristig Emissionen. In modernen Fertigungsumgebungen zeigt sich bereits, wie KI in Echtzeit zur Qualitätskontrolle beiträgt, Produktionspläne automatisiert anpasst oder kritische Ausfälle verhindert. Doch all diese Effekte lassen sich nur dann langfristig nutzen, wenn technologische Infrastruktur, betriebliche Abläufe und Unternehmenskultur aufeinander abgestimmt sind.

Drei Säulen für die digitale Transformation

Ein zentraler Erfolgsfaktor auf dem Weg zur intelligenten Fabrik ist systematische Analyse der KI-Reife. Nur Unternehmen, die ihre Ausgangslage realistisch einschätzen, können Künstliche Intelligenz effektiv und zielgerichtet einsetzen. Ein umfassendes Reifegradmodell für KI – etwa in Form eines AI Readiness Index – macht Potenziale und Schwachstellen sichtbar. Drei Dimensionen sind dabei besonders entscheidend:

  • KI steht und fällt mit den verfügbaren Daten. Viele Unternehmen sehen sich hier noch mit fragmentierten Datenquellen, widersprüchlichen Formaten oder mangelnder Transparenz konfrontiert. Der Aufbau einer konsistenten Datenarchitektur – inklusive zentralem Datenmanagement, einheitlichen Standards und klaren Verantwortlichkeiten – ist daher essenziell. Erst wenn Datenqualität, -verfügbarkeit und -zugänglichkeit sichergestellt sind, lassen sich KI-Anwendungen wirksam realisieren und skalieren.

  • Ein belastbares technisches Fundament ist die zweite Säule der AI Readiness. Dazu gehören moderne IT-Infrastrukturen, ausreichende Rechenkapazitäten sowie flexible Cloud- und Edge-Lösungen. Eine realistische Bewertung des Ist-Zustands – von der Hardware über Softwarelandschaften bis zur Systemintegration – ermöglicht es, technologische Lücken zu schließen und die Voraussetzungen für einen stabilen, skalierbaren KI-Betrieb zu schaffen. Auch Aspekte wie Latenzanforderungen, Schnittstellenkompatibilität und Ausfallsicherheit spielen dabei eine zentrale Rolle.

  • Doch Technologie allein genügt nicht – ohne die richtigen Menschen, Strukturen und Prozesse bleibt das Potenzial von KI ungenutzt. Unternehmen müssen gezielt in die Weiterentwicklung ihrer Belegschaft investieren, neue Rollenprofile schaffen und interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern. Agile Arbeitsweisen, flexible Projektstrukturen und ein klares Rollenverständnis sind dabei ebenso wichtig wie strategische Partnerschaften mit externen Experten. Ein professionelles Change-Management ist daher ein wesentlicher Bestandteil der KI-Transformation. Nur durch ein unternehmensweites Verständnis für den Mehrwert von KI lässt sich eine innovationsfreundliche Kultur etablieren.

Systematische Bewertung der Ausgangslage

Unternehmen, die KI in der industriellen Praxis strategisch wirksam einsetzen wollen, schaffen mit einer ganzheitlichen Bewertung der Ausgangslage die nötige Grundlage dafür. Ein strukturiertes KI-Reifegrad-Assessment zeigt Stärken und Lücken systematisch auf – und leitet daraus gezielt Maßnahmen zur Weiterentwicklung ab. Der Prozess gliedert sich in mehreren aufeinander aufbauenden Phasen.

1. Zielsetzung und Kontextklärung
Zu Beginn definieren Experten gemeinsam mit dem Unternehmen die zentralen Ziele des Assessments sowie die organisatorischen Rahmenbedingungen. Sie identifizieren frühzeitig relevante Prozesse und Stakeholder – von der Fertigungsleitung über IT und Controlling bis ins Management – und binden sie aktiv ein. Das fördert die Akzeptanz und bringt unterschiedliche Perspektiven in die Bewertung ein.

2. Tiefenanalysen in allen Dimensionen
In der nächsten Phase erfolgt die eigentliche Erhebung der KI-Reife vor Ort im Unternehmen. Durch strukturierte Interviews, Prozessanalysen und Infrastrukturprüfungen entsteht ein umfassendes Bild des Status quo. Ergänzt wird die Analyse durch die Sichtung relevanter Unterlagen zu Datenstrategien, IT-Roadmaps oder Schulungsplänen. Standardisierte Bewertungsraster ermöglichen dabei eine objektive Einschätzung.

3. Ergebnisse und Roadmap
Die gesammelten Erkenntnisse werden von den Experten gemeinsam mit dem Unternehmen in einem detaillierten Assessment-Bericht zusammengeführt. Dieser umfasst eine grafisch aufbereitete Reifegradübersicht, identifiziert systematisch Handlungsfelder und priorisiert Maßnahmen zur Weiterentwicklung. Neben kurzfristigen Quick Wins enthält der Bericht auch strategische Empfehlungen zur langfristigen Skalierung von KI-Anwendungen. Ziel ist es, eine belastbare Roadmap zu schaffen, die technologie-, prozess- und kulturseitige Aspekte gleichermaßen adressiert.

Kurz-, mittel- und langfristige Projekte

Dies daraus entstehende Roadmap gliedert sich in drei Zeithorizonte:

  • kurzfristig (bis sechs Monate): Kurzfristige Maßnahmen erzielen schon innerhalb kurzer Zeit erste Erfolge.

  • mittelfristig (sechs bis 18 Monate): Mittelfristige Projekte entwickeln sich über einen längeren Zeitraum systematisch weiter.

  • langfristig (ab 18 Monaten): Langfristige Programme sichern die Transformation nachhaltig.

Das Assessment unterstützt zudem zentrale Make-or-Buy-Entscheidungen – je nach vorhandenen Ressourcen, Know-how und strategischer Relevanz. Regelmäßige Re-Assessments helfen, Fortschritte zu messen und neue Potenziale zu erschließen – in einer dynamischen Technologieumfeld.

Fazit

Der Weg zur KI-Readiness ist komplex, aber lohnenswert. Unternehmen, die die genannten Faktoren systematisch angehen, legen den Grundstein für eine erfolgreiche KI-Transformation. Dabei gilt: Lieber klein anfangen und schrittweise skalieren, als sich in Mammutprojekten zu verzetteln.

Unternehmen, die in dieser komplexen Gemengelage frühzeitig investieren und systematisch Kompetenzen aufbauen, verschaffen sich einen Vorsprung am Markt – und entwickeln sich auch zu aktiven Gestaltern der industriellen Transformation. Denn KI entfaltet ihr volles Potenzial erst dann, wenn sie kein isoliertes Tool mehr ist, sondern als integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette gedacht und gelebt wird.

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  • Martin Schiesser ist Senior Partner für den Bereich Manufacturing Industries bei Detecon in der Schweiz. Er berät multinationale Unternehmen bei der strategischen Verknüpfung von Business und IT, um Wachstum, operative Exzellenz, Innovation und Nachhaltigkeit voranzutreiben. Sein Fokus liegt auf digitalen Transformationen in den Branchen Industrie, Maschinenbau, Automobil und Pharma.

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