Standards statt schnelle Gesetze Verantwortungsvolle Entwicklung von Quantentechnologien

Internationale Standards sollen als Grundlage dienen, um die Entwicklung von Quantentechnologien verantwortungsvoll und sicher zu gestalten.

Bild: iStock, Iurii Motov
11.08.2025

Die Entwicklung von Quantentechnologien erfordert eine sorgfältige Regulierung, die auf international anerkannten Standards basiert. Prof. Urs Gasser von der TU München erläutert, weshalb es entscheidend ist, zunächst technische Standards zu etablieren, bevor gesetzliche Vorschriften erlassen werden. So können Unternehmen – darunter auch solche aus China und den USA – eine vertrauensvolle und sichere Grundlage für Entwicklungen schaffen.

Wie können Quantentechnologien verantwortungsvoll entwickelt werden? Wissenschaftler von Technischer Universität München (TUM), University of Cambridge, Harvard University und Stanford University plädieren dafür, erst internationale Standards festzulegen, bevor regulierende Gesetze erlassen werden. Prof. Urs Gasser erklärt, warum die Autoren ein Qualitätsmanagementsystem für Quantentechnologien vorschlagen, wie Standards Vertrauen schaffen und wo selbst konkurrierende Staaten wie China und die USA kooperieren.

Quantentechnologien könnten noch umwälzender wirken als Künstliche Intelligenz. Deshalb mehren sich Forderungen, anders als bei KI die technologische Entwicklung frühzeitig mit Gesetzen in gesellschaftlich verantwortungsvolle Bahnen zu lenken. Warum sehen Sie das anders?

Wir sprechen uns nicht grundsätzlich gegen eine gesetzliche Regulierung aus. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Anwendungen der Quantentechnologien konkreter absehbar sind, sollten die Gesetzgeber rote Linien ziehen, etwa für Hochrisiko-Anwendungen. In der jetzigen frühen Entwicklungsphase halten wir aber eine andere Herangehensweise für erfolgversprechender, um Ziele wie Sicherheit, Interoperabilität, Transparenz und Verantwortlichkeit zu erreichen: internationale Technologie-Standards. Darauf kann Gesetzgebung aufbauen. Also: Standards first.

Das klingt, als ob wir die komplexeste Technologie der Geschichte mit DIN-Normen in den Griff bekommen wollten.

Gerade weil die Technologie derart komplex ist, braucht es zuerst technische Standards. Bei der KI-Regulierung in Europa wird das Problem deutlich, wenn man den umgekehrten Weg einschlägt: Wir haben nun eine EU-KI-Verordnung, bei der die nächsten Jahre fieberhaft an Standards gearbeitet werden muss, um überhaupt zu verstehen, was die Verordnung meint und was Compliance in der Praxis heißt. Dies kann erhebliche Rechtsunsicherheit erzeugen und das Innovationsklima zu einem kritischen Zeitpunkt belasten.

Gibt es Vorbilder für gelungene Standardisierungen komplexer Technologien?

Zahlreiche Technologien wurden durch Standards gelenkt, auf die sich Regulierung stützen konnte. So hat beispielsweise die Internationale Organisation für Normung (ISO) mit ihren Normen zur Informationssicherheit eine wesentliche Grundlage für den Schutz sensibler Daten im digitalen Zeitalter geschaffen, was für Unternehmen aller Branchen – und damit auch für deren Kundinnen und Kunden – von entscheidender Bedeutung ist. Die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) hat Sicherheitsanforderungen für medizinisch-elektrische Geräte festgelegt, um den Schutz von Patientinnen und Patienten sowie Anwenderinnen und Anwendern sicherzustellen. Und das Institut für Elektro- und Elektronikingenieure (IEEE) hat mit seinen Standards für drahtlose Netzwerke die technische Grundlage für Wi-Fi geschaffen, wodurch Geräte unterschiedlicher Hersteller nahtlos miteinander kommunizieren können. Auf ähnliche Weise können wir nun auch für Quantentechnologien Protokolle, Schnittstellen und zahlreiche technische Spezifikationen festlegen.

Welche Standardisierungsarbeiten finden schon statt und was sollte nun unternommen werden?

Bereits heute laufen vielfältige Standardisierungsprozesse auf internationaler und nationaler Ebene. ISO und IEC haben zum Beispiel Anfang 2024 das Joint Technical Committee 3 (JTC 3) gegründet, das grundlegende Standards für Quantencomputing, Quantenkommunikation und verwandte Bereiche entwickelt. Auch das IEEE, das US-amerikanische National Institute of Standards and Technology (NIST) und das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) arbeiten an Normen zu Post-Quantum-Kryptografie, Interoperabilität, Sicherheit und Leistungsbenchmarks. Unser Vorschlag baut darauf auf: Wir empfehlen die Einführung eines zertifizierbaren Qualitätsmanagementsystems (QMS) für Quantentechnologien. Dieses würde nicht nur technische Aspekte wie Stabilität oder Sicherheit berücksichtigen, sondern auch rechtliche, ethische und damit gesellschaftsrelevante Aspekte systematisch in Entwicklung und Betrieb integrieren. Zertifiziert wird dabei nicht das einzelne Produkt, sondern das Managementsystem des Unternehmens – ähnlich wie derzeit in der Medizintechnik. Solche Zertifikate könnten von unabhängigen, akkreditierten Stellen wie dem TÜV vergeben werden, sobald ein Standard definiert ist. Damit würde ein vertrauenswürdiger Rahmen geschaffen, der Qualität, Transparenz und Verantwortlichkeit sicherstellt.

Ist es denn angesichts des technologischen und wirtschaftlichen Wettbewerbs realistisch, dass es eine internationale Einigung auf ein solches System geben wird?

Standards ermöglichen internationale Zusammenarbeit selbst dort, wo politische Kooperation derzeit mehr schlecht als recht funktioniert – etwa zwischen China, den USA und Europa. In Gremien wie ISO, IEC oder IEEE entwickeln Fachleute weltweit anerkannte Regeln, die Vertrauen in neue Technologien schaffen und Unternehmen Sicherheit für Investitionen geben. Zudem sind Standards als sogenanntes Soft Law im Unterschied zu Gesetzen flexibler: Sie können schnell an technische Entwicklungen angepasst werden und erleichtern so Innovation, ohne Risiken aus dem Blick zu verlieren.

Ist das nicht ein sehr technokratischer Prozess ohne demokratische Legitimation?

Die Standardsetzung ist gewiss kein klassisch-demokratischer Prozess wie etwa parlamentarische Gesetzgebung. Dennoch ist sie kein abgeschottetes Expertensystem. Internationale Standardisierungsorganisationen bringen oft verschiedene Akteurinnen und Akteure zusammen – darunter Unternehmen, zivilgesellschaftliche Gruppen, Forschungsinstitute und Behörden. In nationalen Gremien, die die internationale Arbeit mitgestalten, sind unterschiedliche Interessenvertretungen oft noch stärker eingebunden. Zudem werden bei der Ausarbeitung vieler Standards heute nicht nur technische Fragen behandelt, sondern zunehmend auch ethische, soziale und rechtliche Aspekte berücksichtigt – etwa in Bereichen wie Datenschutz, Sicherheit oder Inklusion. Gerade bei Standards für Qualitätsmanagementsysteme sind gesellschaftliche Werte, Risiken und Rechte integraler Bestandteil. Gleichzeitig gibt es berechtigte Kritik: Manche Standardisierungsprozesse sind von wirtschaftlich mächtigen Akteurinnen und Akteuren dominiert, und gesellschaftliche Perspektiven sind nicht gleichwertig vertreten. Diese Defizite sind bekannt und werden zunehmend thematisiert – etwa in aktuellen Debatten zur Entwicklung von KI-Standards in Europa, wo bewusst versucht wird, zivilgesellschaftliche Stimmen und Grundrechtsfragen stärker einzubeziehen. Wichtig ist: Standards ersetzen keine politische Regulierung. Vielmehr können sie ihr vorausgehen und eine anschlussfähige Grundlage schaffen. Die eigentliche Regulierung bleibt Aufgabe demokratischer Institutionen, die auf dieser Basis rechtlich verbindliche Rahmenbedingungen festlegen – angepasst an nationale Kontexte und gesellschaftliche Debatten.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel