Künstliche Intelligenz und neue Techniken in der Radioonkologie Strahlentherapie der nächsten Generation

Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz könnte Strahlentherapie für jeden Patienten in Echtzeit personalisiert angepasst werden.

Bild: iStock; Dr_Microbe
01.06.2022

In den letzten Jahren hat sich die Radioonkologie auf Grund von Digitalisierung, modernster Datentechnik mit Automatisierung und künstlicher Intelligenz rasant entwickelt. Nun ermöglichen sie ganz neue Behandlungsperspektiven in Richtung einer personalisierten Strahlentherapie

Die Zukunft der Radiotherapie liegt noch mehr als die anderer Medizinbereiche in der Digitalisierung, Automatisierung und der künstlichen Intelligenz. Bilderkennung, Zielvolumen- und Strahlendosis-Berechnung können heute schon auf diesen Wegen erfolgen. Künftig sollen die Behandelten in Echtzeit von selbstlernenden Feedback-Systemen profitieren, da diese Systeme lernen und Wissen generieren. Basis dieser Entwicklungen sind neben der modernen Medizinphysik die intensive Patientenpartizipation – ein Thema, das auf dem DEGRO-Kongress großen Raum einnimmt.

Automatisierte Segmentierung und Künstliche Intelligenz

Seit den 80er Jahren ungefähr gibt es die dreidimensionale Bestrahlung, die CT-gestützt berechnet wird, um die Patientinnen und Patienten gezielt individuell zu bestrahlen. Während damals das Zielvolumen und die Strahlendosisverteilung in den Bildern mühsam und zeitaufwändig „per Hand“ berechnet wurde, ermöglicht heute moderne Software eine digitale Bildauswertung, Ausmessung und berechnet die optimale Strahlendosis in kurzer Zeit.

Basis der Bilderkennung ist die „automatisierte Segmentierung“, bei der ein Bild (CT, MRT) in die einzelnen Bestandteile zerlegt wird und automatisch mittels Künstlicher Intelligenz die unterschiedlichen Organe oder Gewebe unterschieden werden (Darm, Prostata, Harnblase et cetera).

Die Autosegmentierung ist in der Digitalisierungskette aber nur der erste, „einfachste“ Schritt und ist die Voraussetzung für die individuelle Zielvolumendefinition und Bestrahlungsplanung (Dosisberechnung, Bestrahlungsrichtungen, Verteilung); moderne KI-Programme lernen dabei selbstständig immer weiter dazu, erläutert Kongresspräsident Prof. Dr. med. Daniel Zips, Tübingen/Berlin.

Vorteile seien erstens die immense Zeit- und Personalersparnis und zweitens die Robustheit beziehungsweise Stabilität der Ergebnisse, denn die KI-Algorithmen gewährleisten immer und überall dieselben Abläufe und somit standardisierte Qualität und Reproduzierbarkeit. In der Forschung arbeiten hier Mediziner mit Medizinphysikern eng zusammen, was an vielen Kongressbeiträgen zum Thema zu sehen ist.

Paradigmenwechsel auch durch Patientenpartizipation

Patientenbeteiligung in der Radioonkologie ist ein weiteres Thema auf dem DEGRO-Kongress 2022 – und auch ein Schwerpunkt der Nationalen Dekade gegen Krebs. Die Einbeziehung der Betroffenen beziehungsweise die intensive Kommunikation und Rückmeldung kann schon heute die Behandlung des einzelnen verbessern (Stichwort „Patienten-Empowerment“). Es laufen Smartphone- beziehungsweise webbasierte Befragungen während und nach der Therapie zur detaillierten Erfassung von Nebenwirkung, Befinden und Bedürfnissen. Hier werden bei Design, Konzeption und Entwicklung auch Patientenvertreter und Selbsthilfegruppen eng einbezogen, um alle Seiten und Aspekte zu hören und zu berücksichtigen.

Besonders interessant sind Daten aus Erlangen. Das „Pilotprojekt zur App-basierten Patientenanbindung in der ambulanten Tumortherapie“, in dem mit der kommerziell erhältlichen Smartphone-basierten „Patienta“-App zweimal pro Woche des Gesundheitszustand der Betroffenen abgefragt wird hat das Ziel, Verschlechterung oder Nebenwirkungen früher zu erkennen und intervenieren zu können, als es bisher routinemäßig erfolgt. Die Ergebnisse waren vielversprechend. „Die Betroffenen werden somit von passiven Empfängern, zu einem aktiven Teil im gesamten Ablauf der Behandlungskette“, kommentiert Zips.

Rückkopplungssysteme und adaptive Therapie für noch mehr Individualisierung

Die nächste Stufe, die bald durch die Patientenpartizipation und eine fortlaufende, niederschwellige, aber strukturierte, standardisiert Rückmeldung möglich werden wird, sind „Feedback Loops“, die zu einer Neuberechnung und Anpassung der Strahlendosis führen können. Bislang wird diese in der Regel nur einmal zum Behandlungsbeginn berechnet und dann beibehalten. Zukünftig kann die Berechnung der nächsten Dosis automatisch via Datenintegration und Rückkopplungssysteme erfolgen.

Meldet der Patient Nebenwirkungen, kann möglicherweise die Dosis reduziert werden, ist das Ergebnis der bisherigen Strahlentherapie im Tumor nicht zufriedenstellend, kann die Dosis dort weiter eskaliert werden – individuell, situativ und quasi in Echtzeit. Denn neben der Einbindung des Patienten-Feedbacks ist auch die Integration von Informationen aus der Bildgebung geplant. Unter der Therapie werden Bilder angefertigt, deren Auswertung automatisiert in die weitere Therapieplanung eingehen.

„KI-Algorithmen werden künftig Vorschläge zu frühzeitigen Therapieanpassungen machen, und zwar nach Abwägung von Nebenwirkungsrisiken versus Tumoransprechen“, sagt Zips. Auch die Wissenschaft wird profitieren: Aus allen gewonnen Daten und Erfahrungen können Vorhersagemodelle mittels Künstlicher Intelligenz aus den Einzeldaten vieler Patientinnen und Patienten generiert werden, um bestimmte Muster beziehungsweise Risikokonstellationen zu identifizieren.

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