Vollautomatische Schweißzellen nach Jigless-Prinzip Roboterschweißen ohne zusätzliche Vorrichtungen

Beim vorrichtungslosen Schweißen führt ein Roboter das Werkstück, während der andere das Fügen übernimmt.

Bild: Ralf Högel
10.09.2017

Schweißarbeiten in der Industrie übernehmen heute in der Regel Roboterschweißzellen. Diese für heutige Anforderungen auszulegen, ist jedoch eine Herausforderung. Eine Lösung können roboterbasierte Anlagen nach dem Jigless-Verfahren sein, wie ein Praxisbeispiel zeigt.

Die Automatisierung von Schweißprozessen für komplexe Produkte in Losgröße 1 sowie für Kleinstserien ist eine große Herausforderung. Um diese zu bewältigen ist derzeit das vollautomatische, vorrichtungslose Schweißen mit Robotern aufgrund seiner Vorteile in aller Munde.

Ein Vergleich von vorrichtungslosen mit konventionellen Anlagen zeigt die entscheidenden Unterschiede: Jigless-Zellen, also vorrichtungslose Zellen, kommen ohne Spannvorrichtungen, Positioniertische und somit ohne manuelle Tätigkeiten wie Spannen und Heften aus. Im Gegenzug stellt das vorrichtungslose Schweißen hohe technologische Anforderungen an die Robotik – je nach Komplexität der Schweißaufgabe gilt es, unterschiedliche kooperierende Roboter exakt aufeinander abzustimmen. Während Handhabungsroboter die zu verschweißenden Bauteile exakt positionieren, übernehmen Schweißroboter das Fügen. Sind auf Roboterseite perfektes Bahnverhalten und hohe Präzision gefragt, muss die Steuerung in der Lage sein, eine komplette Roboterschar zu synchronisieren und koordinieren. Ein zentraler Vorteil des vorrichtungslosen Schweißens ist die hohe Flexibilität, die entsprechende Anlagen bieten. Die Möglichkeiten reichen bis hin zum vollautomatischen Schweißen unterschiedlicher Bauteile just-in-time in Losgröße 1 und ohne Rüstaufwand in bedienerlosen Schichten.

Beispiel aus der Praxis

Bei Doka, dem österreichischen Hersteller für Schalungslösungen, ist diese Vision bereits gelebte Realität. Eine vollautomatische Roboterschweißzelle nach dem neuesten Stand der Technik übernimmt dort inzwischen das bisherige, zeitaufwändige Handschweißen bestimmter Bauteile für die unterschiedlichsten Schalungssysteme. Die Jigless-Roboterzelle erledigt unterschiedliche Produktionsaufträge bis Losgröße 1 – und das auch in bedienerlosen Schichten. Damit kann die Vielzahl an manuell zu schweißenden Einzelteilen wirtschaftlicher produziert werden und die kostenintensive Lagerhaltung wurde auf eine Just-in-time-Produktion diverser Bauteile umgestellt.

Die Einstiegsvoraussetzungen waren bei Doka ideal: Die Österreicher setzen bereits seit 1980 Roboter ein. Heute arbeiten im Werk Amstetten weit über 100 Roboter in der Produktion. An Robotik-Erfahrung mangelte es also sicher nicht, wie bereits die Herangehensweise bei diesem Projekt zeigte: Erst nach einer ausgiebigen Sondierungsphase, in der die Doka-Mannschaft einige Referenzanlagen mit Robotern der wichtigsten Premiumhersteller unter die Lupe nahm, fiel die Entscheidung für eine Lösung mit Motoman-Industrierobotern von Yaskawa.

Noch vor der Investition in die neue Zelle prüften die Doka-Produktionsmannschaft und die Yaskawa-Schweißexperten gemeinsam das komplette Spektrum der anstehenden Schweißaufgaben auf dessen Jigless-Tauglichkeit, denn nicht jedes Bauteil ist frei im Raum nur durch Positionierung mit einem Handlingroboter schweißbar. Vereinfacht dargestellt, sprechen kleine Toleranzen der zu verschweißenden Bauteile sowie ein geringer zu erwartender Verzug für das vorrichtungslose Schweißen, während im Gegenzug große fertigungstechnische Abweichungen von Sollkonturen sowie besonders schwierige Fügekonstellationen das Verfahren deutlich aufwändiger oder gar unmöglich machen können.

Zelle mit allen technischen Raffinessen

Nachdem die Machbarkeit außer Frage stand, ging es an die Konzeption der Hightech-Zelle. Im Einsatz sind nun die aktuelle Robotersteuerung DX200 von Yaskawa, die Fronius-Schweißstromquelle samt neuem, vollautomatischen Brennerhalswechselsystem, das laserbasierte Nahtverfolgungssystem MotoSense, ein applikationsspezifisch modifiziertes Kardex-Shuttle-Zuführsystem, ein vollautomatisiertes Greiferwechselsystem für den Handlingroboter sowie eine übergeordnete SPS.

Der Blick auf das Anlagenlayout verrät die Handschrift kundiger Schweiß- und Automatisierungsexperten. Das fängt bei der Zuführung an, die sowohl über ein Rundtaktsystem mit 16 Werkstückträgern als auch über ein Tower-Shuttlesystem von Kardex mit 60 Werkstückträgern erfolgen kann. Während das Rundtaktsystem vorwiegend für die Produktion kleiner bis mittlerer Serien gedacht ist, macht sich das Shuttlesystem in bedienerlosen Schichten bezahlt. Mit seinen 60 Plätzen garantiert es einen autonomen Anlagenbetrieb von weit mehr als einer Schicht und erlaubt dabei das Schweißen von Bauteilen in Losgröße 1.

Die „Chefs“ in der Zelle sind der Handlingroboter Motoman MH280 II und der Schweißroboter MH24. Die beiden Sechsachser arbeiten beim Jigless-Schweißen quasi Hand in Hand: Während der Handhabungsroboter das zu verschweißende Bauteil positioniert, übernimmt der Schweißroboter das Fügen. Dabei sind auf Roboterseite optimales Bahnverhalten und hohe Präzision gefragt, während die DX200-Steuerung für die Synchronisation und Koordination der beiden Sechsachser sorgt. Der große Arbeitsradius von knapp 2,5 Meter beim Handhabungsroboter und 1,73 Meter beim Schweißroboter stellen sicher, dass alle Positionen erreicht werden und sämtliche Schweißungen in optimaler Wannenlage erfolgen.

Für perfekte Schweißnähte ist der MH24 mit dem Kamerasystem MotoSense ausgestattet. Dieses laserbasierte Visionsystem ermöglicht dem Roboter die Nahterkennung und Nahtverfolgung in Echtzeit. Die Integration erfolgt über eine direkte Schnittstelle zur Yaskawa DX200-Steuerung. Mit diesem System ist eine absolute Bauteilpositionierung nicht mehr erforderlich. Es eignet sich somit für Jigless-Anwendungen und stellt optimale Schweißergebnisse selbst bei komplexen Aufgabenstellungen sicher. Damit neben den Prozesszeiten auch die Nebenzeiten so kurz wie möglich ausfallen, sind sowohl der Handling- als auch der Schweißroboter mit automatischen Wechselsystemen ausgestattet. Dabei holt sich der Handlingroboter selbstständig den gerade benötigten Greifer vom in der Zelle integrierten Greiferbahnhof. Ähnliches gilt für den Schweißroboter: Er ist so programmiert, dass er zyklisch den gerade verwendeten gegen einen neuen Brennerhals an der Wechselstation tauscht. Damit ist ein störungsfreier Betrieb mit maximaler Schweißqualität auch in den bedienerlosen Schichten gewährleistet.

Trotz der Vielzahl an digital vernetzter Hightech-Komponenten gewährleistet die Anlage nicht nur eine hohe Verfügbarkeit, sie ist auch bedienungsfreundlich. Der Bediener an der Zelle muss im Wesentlichen nur Teile einlegen, das richtige Programm wählen und die Fertigteile wieder entnehmen, welches prozessparallel durchgeführt werden kann. Anspruchsvoller ist jedoch die Programmierung der Anlage mit den beiden kooperierenden Robotern. Doch auch das beherrscht die Doka-Mannschaft. Selbstverständlich steht auch ein leistungsfähiges Offlineprogrammiersystem samt 3D-Simulation mit Kollisionserkennung zur Verfügung. In der Robotersteuerung können einmal geschriebene Schweißprogramme für bis zu 1000 Komponenten gespeichert und bei Bedarf wieder abgerufen werden.

Roboterbasierte Schweißprozesse

Komplexe Produkte in Losgröße 1 sowie Kleinstserien umzusetzen, bedeutet für die Automatisierung von Schweißprozessen eine enorme Herausforderung. Roboterbasierte Anlagen können hier die Lösung bringen. Besondere Vorteile bietet in diesem Zusammenhang das Jigless-Verfahren, also das vorrichtungslose Schweißen.

Bildergalerie

  • Bei der Bauteilvermessung mit MotoSens sind Handling- und Schweißroboter perfekt synchronisiert.

    Bei der Bauteilvermessung mit MotoSens sind Handling- und Schweißroboter perfekt synchronisiert.

    Bild: Ralf Högel

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