Autonome Roboter

Von Google zum autonomen Intralogistik-Newcomer

Sie haben mal Bücher im Silicon Valley ausgeliefert, jetzt werden sie auch in der Industrie genutzt: die autonomen Roboter des Start-ups Cartken.

Bild: Cartken
28.11.2025

Roboter, die autonom navigieren, Hindernissen ausweichen und sich nahtlos in bestehende Prozesse integrieren: So stellen sich viele Hersteller die Zukunft der Intralogistik vor. Unter realen Bedingungen scheitern solche Systeme jedoch oft. Automatisierungslösungen, die technologisch überzeugen, wirtschaftlich tragfähig und schnell integrierbar sind, will das Start-up Cartken liefern.

Der Bedarf an Automatisierung in der Intralogistik ist unbestritten – ebenso wie das Potenzial smarter Robotik. Doch viele Projekte bleiben im Versuchsstadium stecken. Sie sind zu komplex in der Integration, nicht ausreichend robust für den industriellen Alltag oder liefern schlicht keinen verlässlichen Mehrwert.

Ein zentraler Stolperstein ist dabei die oft beschworene, aber selten gelebte Mensch-Maschine-Kollaboration. Häufig fehlt nicht nur das technische Know-how zur Implementierung, sondern auch das Vertrauen in die Systeme selbst: Funktionieren sie verlässlich? Lassen sie sich ohne großen Schulungsaufwand bedienen? Und wie verhält sich die Technik im Störfall?

Cartken, gegründet 2019, entwickelt autonome Roboter, die sich flexibel in bestehende Prozesse integrieren lassen und unter realen Bedingungen zuverlässig arbeiten sollen. Die Systeme navigieren ohne zusätzliche Infrastruktur, funktionieren bei jedem Wetter und lassen sich intuitiv steuern. Ähnlich wie bei Google Maps wird hinter den Kulissen aus Roboterdaten eine Karte erstellt, auf der sich mit wenigen Klicks Fahrkorridore und Übergabepunkte festlegen lassen. Die Mission: Robotik, die tatsächlich so nutzerzentriert ist wie Google Maps und in kurzer Zeit echten Mehrwert liefert – am besten an Tag eins.

„Robotik funktioniert nur, wenn sie im realen Betrieb zuverlässig läuft – nicht nur unter Laborbedingungen“, sagt Dr. Jonas Witt, CTO und Mitgründer von Cartken. „Sie muss sich nahtlos in bestehende Abläufe einfügen und sofort spürbare Vorteile bringen. Nur dann entsteht die funktionierende Mensch-Maschine-Kollaboration, von der wir sprechen – und eine neue Innovationsbereitschaft.“

Geschichte von Cartken

Das Gründerteam um Christian Bersch, Jonas Witt, Jake Stelman und Anjali Jindal Naik, lernte sich bei Google kennen, wo sie an Projekten wie Google Search, Maps und dem für seine Moonshots bekannten Google X arbeiteten. 2018 brachten sie im Rahmen des Google-internen Start-up-Inkubators Area 120 unter anderem den Bookbot auf die Straßen der Silicon-Valley-Kleinstadt Mountain View. Dieser sollte zur Erprobung der Robotertechnik auf öffentlichen Gehwegen und Kreuzungen dienen und dabei einen kleinen (kostenlosen) Beitrag zur Allgemeinheit leisten, indem er Bücher an Lesewillige auslieferte. Intern wurden auch Paket-, Supermarkt- und Restaurantlieferungen getestet, da die Kosten auf der letzten Meile üblicherweise den Großteil bei der Logistik zu Privathaushalten ausmachen.

Als Google die interne Logistiksparte Google Shopping Express einstellte, entschloss sich das Team 2019, ein eigenes Start-up zu gründen – so entstand Cartken. Der Anspruch: Roboter in neuen Bereichen nutzbar zu machen, die bisher an der technologischen Umsetzbarkeit oder Wirtschaftlichkeit gescheitert sind. Der Name steht dabei für den Transportaspekt („Cart“) und das Wissen, den Zugang und die einfache Anwendung („Ken“).

KI-gesteuerte, hardware-agnostische Autonomie

Cartken setzt auf eine AI-first-Strategie, bei der die kamerabasierte Wahrnehmung im Mittelpunkt steht. Mehrere Kameras und Sensoren erfassen die Umgebung in 3D, erkennen Hindernisse und vermessen und kartieren kontinuierlich. So können sich die Roboter in deutlich komplexeren Umgebungen bewegen als andere AMRs und AGVs.

Die Geräte navigieren auf einer zuvor erstellten digitalen Karte, die alle Fahrkorridore und betrieblich relevanten Informationen enthält. Während der Fahrt registrieren die Sensoren Hindernisse und Veränderungen entlang der Route und aktualisieren laufend die Umgebungskarte. Die Roboter sind dabei GPS-unabhängig und arbeiten in Innen- wie Außenbereichen, auf schrägen Rampen und durch Fahrstühle hindurch. Das ermöglicht den zuverlässigen Transport bei jedem Wetter, auf jedem Terrain und in komplexen Umgebungen wie Lagerhallen, Werksgeländen oder urbanen Außenbereichen.

Cartkens hardware-agnostische Architektur ist einsetzbar von kompakten Lieferrobotern bis zu Lastenträgern wie dem Hauler mit bis zu 300 kg Traglast oder dem Mover, der Paletten mit bis zu 1,5 t bewegt. Die zugrunde liegende Software lässt sich flexibel auf verschiedene Robotertypen übertragen und ohne aufwendige Infrastruktur implementieren.

Vom Campus in die Industrie

Cartkens Einstieg begann auf der „letzten Meile“. In Partnerschaft mit Plattformen wie Uber Eats, Grubhub und DPD wurden die ersten Roboter zunächst auf Universitätsgeländen und in urbanen Gebieten eingesetzt. Auch Unternehmen wie Mitsubishi Electric gehörten früh zu den Unterstützern der Technologie.

Die Möglichkeit, die Robotiklösung auch in industriellen Umgebungen einzusetzen, war von Beginn an geplant. Als erste Unternehmen sich bei Cartken meldeten, um die Roboter in Fabriken und Laboren einzusetzen, war klar: In der Industrie besteht ein Bedarf an Robotiklösungen zur Optimierung von Material- und Produktionsflüssen.

Von besonderer Bedeutung ist dabei Cartkens Fähigkeit zum „Interbuilding Transport“ – die Roboter bewegen sich sicher zwischen Innen- und Außenbereichen und über Gebäudegrenzen hinweg. Gerade in Betrieben, in denen Produktion, Lager und Qualitätssicherung räumlich getrennt sind, eröffnet dies neue Möglichkeiten für durchgängige Logistikprozesse.

Konkreter Nutzen im industriellen Alltag

Heute sind Cartken-Roboter in verschiedenen industriellen Umgebungen aktiv, darunter Fabriken, Labore und Industrieareale. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit mit dem Automobilzulieferer ZF Lifetec: Dort haben sich die Roboter mit über 6.400 zurückgelegten Kilometern und mehr als 11.000 Lieferungen zu den „beschäftigtsten“ Geräten des Unternehmens entwickelt.

Der Mehrwert der Lösung zeigt sich vor allem in den Ergebnissen aus der Praxis. Die Roboter haben sich in unterschiedlichen Umgebungen bewährt und lassen sich innerhalb kurzer Zeit integrieren, je nach Infrastruktur teilweise innerhalb eines Tages. Das ist besonders vorteilhaft für Unternehmen, die ihre Prozesse ohne längere Ausfallzeiten optimieren oder einfach schnell und ohne viel Aufwand den Beweis haben wollen, dass es tatsächlich funktioniert.

Die Auswirkungen auf die Betriebskosten und Effizienz sind messbar: Im Fall von ZF konnten die Transportkosten um etwa 60 Prozent reduziert werden, die Arbeitszeit für routinemäßige Transportaufgaben um bis zu 20 Prozent. Diese Einsparungen ermöglichen es den Mitarbeitenden, sich auf komplexere Aufgaben zu konzentrieren, was insgesamt zu einer besseren Nutzung der Ressourcen führt. Ein weiteres Ergebnis ist eine hohe Auftragsgenauigkeit: In vielen Einsatzszenarien erreichen die Roboter eine Präzision von bis zu 99 Prozent. Zudem konnten Unternehmen den täglichen Fußweg ihrer Mitarbeitenden um bis zu 30 Meilen reduzieren.

Digitale Denke, industrielle Realität

Cartken zeigt, wie autonome Robotik in der Industrie funktionieren kann, wenn sie sich problemlos in bestehende Prozesse einfügt und unter realen Bedingungen zuverlässig arbeitet. Entscheidend ist dabei nicht die Technik allein, sondern ihr tatsächlicher Nutzen im Alltag.

Der Übergang von einem Forschungsprojekt bei Google hin zu einer praktischen Lösung macht deutlich: Automatisierung ist erst dann sinnvoll, wenn sie messbare Vorteile bringt und sich an den realen Bedingungen bei Anwendern orientiert – nicht an den Laborbedingungen des Herstellers.

Bildergalerie

  • Die Cartken-Roboter Courier, Runner und Hauler

    Die Cartken-Roboter Courier, Runner und Hauler

    Bild: Cartken

  • Das Gründerteam von Cartken (von links): Christian Bersch, Dr. Jonas Witt, Jake Stelman und Anjali Jindal Naik

    Das Gründerteam von Cartken (von links): Christian Bersch, Dr. Jonas Witt, Jake Stelman und Anjali Jindal Naik

    Bild: Cartken

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