Christian Gutknecht, Branchenmanager Wasser & Abwasser, Endress+Hauser Deutschland „Revolution der Wasserwirtschaft“

Endress+Hauser (Deutschland) GmbH+Co.KG

Christian Gutknecht, Branchenmanager Wasser & Abwasser bei Endress+Hauser Deutschland, beantwortet in einem Interview die wichtigsten Fragen zur Digitalisierung der Wasserwirtschaft.

Bild: Endress+Hauser
07.03.2022

Wasser 4.0 wird durch die Corona-Pandemie immer wichtiger. Aber was ist es genau und welche Stolpersteine stehen der Digitalisierung der Wasserwirtschaft im Weg?

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Das Thema Wasser 4.0 ist schon länger in den Köpfen verankert. Aber wo stehen wir im Moment?

Die Digitalisierung in der Wasserwirtschaft hat sich zu einem Schlagwort entwickelt und wird in öffentlichen wie auch in privaten Bereichen zu weitreichenden Veränderungen führen. Unternehmen stehen seit geraumer Zeit vor der Herausforderung, sich strategisch an die neue digitale Welt anzupassen und zu diesem Zweck ihre Strategie, Geschäftsmodelle und Kulturen zu überdenken. Unterlässt eine Organisation diesen wichtigen Schritt, wird sie ihre Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit verlieren. In der Wasserwirtschaft sieht man dabei großes Potential, den anstehenden Herausforderungen wie dem Klimawandel oder auch den demographischen Veränderungen effektiver, effizienter beziehungsweise qualitativ verbessert gerecht werden zu können. Die Corona-Pandemie hat beispielsweise dazu geführt, dass Unternehmen erkannt haben, dass die digitale Transformation weit mehr als nur ein technologischer Trend ist und sehen hier auch Vorteile in der Kommunikation mit Mitarbeitern, die digital vom Home-Office oder von anderen Standorten aus arbeiten. Aber schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie haben sich vor allem die größeren Unternehmen in der Wasserwirtschaft intensiv mit der Digitalisierung auseinandergesetzt, da man erkannt hat, dass die digitale Transformation die Grundlage für eine zukünftige Modernisierungsstrategie darstellt, die enorme Chancen für die Bewältigung zukünftiger Aufgaben bietet.

Was bedeutet für Sie Wasser 4.0? Ist es lediglich der Einsatz smarter Komponenten?

Bei Wasser 4.0 geht es um sehr viel mehr als nur den Einsatz smarter Komponenten. Man spricht daher auch von einer neuen industriellen Revolution in der Wasserwirtschaft. Ziel sollte es vor allem sein, die Sicherstellung der Ver- und Entsorgung zu gewährleisten. Dabei werden sämtliche Prozesse über den gesamten Anlagenzyklus beleuchtet – vom Engineering und Betrieb bis hin zur laufenden Optimierung der Anlagen. Durch die verstärkte Einbindung von IT, Sensorik und intelligenter Hard- und Software werden Möglichkeiten geschaffen, wasserwirtschaftliche Systeme in ihrer Komplexität und Vernetzung besser wahrzunehmen und diese beispielsweise in Produktions-, Frühwarn- und Entscheidungsprozessen abzubilden. Ein Kollege aus einem unserer Produktionszentren hat folgende Definition geschaffen, die meines Erachtens alles Wesentliche beinhaltet: „Der Begriff Wasserwirtschaft 4.0 beschreibt die Vision einer vernetzten, digitalisierten und automatisierten Wasserwirtschaft, die mit Hilfe der modernen Mess-, Informations- und Kommunikationstechnik effiziente und wirksame Technologien zur Lösung der wasserwirtschaftlichen Herausforderungen der heutigen Zeit liefert.“

Welche Lösungen kommen aus Ihrem Hause?

Als ein Anbieter von Messgeräten, Dienstleistungen und Lösungen im Bereich der Prozessautomatisierung arbeiten wir aktuell an neuen digitalen und intelligenten Sensoren, deren interne Daten zukünftig noch intensiver genutzt werden können, um daraus beispielsweise Maßnahmen im Bereich der vorbeugenden Wartung und Kalibrierung ableiten zu können. Eine solche Technologie ist Heartbeat Technology. Diese gewährleistet eine vollumfängliche, permanente Geräteüberprüfung – vom Messaufnehmer über den Messumformer bis hin zu den Stromausgängen – direkt im Prozess, also ohne, dass die Geräte dazu ausgebaut werden müssen. Die Anforderung zur Prüfung kann mittels Systemintegrationsschnittstelle von einem übergeordneten Leitsystem erfolgen, an welches auch das Gesamtergebnis der Prüfung signalisiert werden kann. Resultat der Verifikation ist eine Aussage über den Messgerätezustand: Bestanden oder nicht bestanden. Eine Interpretation der Daten durch den Anwender ist hierbei nicht erforderlich. Ziel ist es, die gleichbleibende Qualität der Messung im Lebenszyklus des Produktes durch periodische Überprüfung der Messgerätefunktionalität zu bestätigen. Dabei können alle Geräteinformationen wie Messwerte, Messwerthistorie, Status- und Diagnosemeldungen in eine Cloud, das heißt einer internetbasierten Datenbank eingebunden werden und die Daten von unseren Kunden mittels einer speziellen Anwendersoftware jederzeit eingesehen werden. Darüber hinaus werden wir zukünftig auch digitale Sensoren entwickeln, welche autark, also drahtlos und mit Batterie betrieben werden können, um noch effizienter und effektiver dezentrale Anlagen und Messstellen wie Quellfassungen, Brunnenstuben, Hochbehälter oder Pumpwerke überwachen zu können. Die Datenübertragung kann über das Mobilfunknetz erfolgen, so dass auch weit entlegene Messstellen eingebunden werden können.

Die Steuerung und Überwachung ist das eine Thema von Wasser 4.0, aber wie sieht es mit der Datenauswertung der Anlagen aus? Ist es noch Theorie oder bereits daily doing?

Die Datenauswertung ist bei den jeweiligen Messeinrichtungen von großer Bedeutung, da unsere Kunden darüber wertvolle Informationen und Erkenntnisse über ihre Anwendungen erhalten. Neben einem umfassenden Datenzugriff unabhängig von Messstelle und Tageszeit bieten wir den Kunden spezielle Lösungen für die Datenübertragung, Datenaufzeichnung und -archivierung bis hin zur vollumfänglichen Datenauswertung und Visualisierung an. Hier stehen zahlreiche Auswertungs- und Darstellungsmöglichkeiten zur Verfügung, wie die permanente Überwachung von Leistungskennzahlen, Mengen, Grenzwerten, Zeitkurven, Trends, Anteile, Verhältniszahlen. Dank webbasierter Visualisierung von Wasser- und Abwassernetzen haben die Anwender Kunde alles im Blick und darüber hinaus bieten wir ihnen ein umfangreiches Sicherheits- und Berechtigungskonzept, was den Datenschutz und die Datensicherheit anbelangt, da uns die Themen Sicherheit Cyber-physischer Systeme sowie IT-Sicherheit besonders am Herzen liegen. Umfangreiche Trendanalysen und Prognosen mithilfe aktueller Wetterdaten können ebenfalls zukünftig in die Datenauswertung miteinbezogen werden.

Können Sie uns kurz über Sucess-Stories berichten, die mit Endress+Hauser-Technik realisiert wurden?

Wir haben im letzten Jahr ein sehr schönes Projekt bei einem großen Wasserversorger im Odenwald realisiert. Hierbei handelt es sich um ein Cloud-basiertes Monitoringsystem für das Wasserversorgungsunternehmen, in dem dezentral gelegene Messtellen via LoRaWAN vernetzt wurden. Unterstützt wurden wir bei der Errichtung des LoRaWAN-Netzwerkes von einem renommierten lokalen Energieversorger, der den Aufbau und den Betrieb vor Ort sicherstellt. Vor der Errichtung des neuen Systems musste der Wassermeister regelmäßig die einzelnen Hochbehälter und Anlagen einzeln abfahren, um alle Messwerte aufzunehmen und die Instrumente und Anlagen vor Ort zu überprüfen. Da die Mobilfunkabdeckung im Odenwald sehr lückenhaft und instabil ist, war der Aufbau einer drahtlosen und energiearmen Datenübertragung erforderlich. Durch das neue LoRaWAN-Netzwerk und die teilweise Modernisierung der Messeinrichtungen konnten die einzelnen Hochbehälter und die weit abgelegenen Anlagen in ein Cloud-basiertes Monitoringsystem integriert werden, so dass der Wassermeister jederzeit alle Informationen entweder auf mobilen Endgeräten oder seinem Leitsystem in der Einsatzzentrale zur Verfügung hat. So können die Daten der in den Anlagen installierten Durchfluss-, Füllstands-, Druck- und Analysegeräten jederzeit abgerufen und visualisiert werden und die täglichen Routinebesuche an den Wasseraufbereitungsanlagen und Hochbehältern können entfallen. Somit verbleibt mehr Zeit für weitaus wichtigere Aufgaben im Unternehmen.

Zum Ende würde ich gerne noch einen kleinen Ausblick erfahren. Wohin geht die Reise mit Wasser 4.0?

Ich denke durch den Einsatz neuer, innovativer, digitaler Technologien haben unsere Kunden die Chance, viele Wasserprobleme der Zukunft in den Griff zu bekommen. Die Digitalisierung bietet vielfältige Möglichkeiten wie Stoffeinträge in Gewässer und Umwelt noch besser und effizienter überwachen zu können. Hier kann ein unmittelbarer Nutzen für die Gewässer- sowie die Umweltqualität erwartet werden, vor allem wenn es um die Überwachung umweltgefährdender Stoffe im Bereich der kommunalen und industriellen Abwasserbehandlung geht. Grundsätzlich nützt ein durch Digitalisierung unterstütztes effizienteres und besseres Monitoring des Gewässerzustandes und der Gewässerqualität allen Wasser- und Gewässernutzern, die nicht selten konkurrierende Nutzungsansprüche haben, wie der Naturschutz als auch die Landwirtschaft oder Städteentwicklung.

Welche Punkte müssen noch umgesetzt werden und wo hapert es?

Ich denke es ist wichtig, dass in der Unternehmenskultur eine Offenheit gegenüber neuen digitalen Technologien und den damit verbundenen Veränderungen herrscht. Für kleine und mittlere Unternehmen bedeutet die Digitalisierung eine besondere Herausforderung, da vielfach personelle Kompetenzen nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Dies kann sowohl die Planung, die Beschaffung als auch den sicheren Betrieb der Anlagen betreffen. Darüber hinaus stellt die digitale Transformation nicht nur eine reine IT-Transformation dar, sondern es handelt sich hier vielmehr um einen Change Prozess, der das gesamte Unternehmen betrifft und daher klar gesteuert werden muss. Rollen und Verantwortlichkeiten müssen neu definiert und klar auf die digitalen Ziele ausgerichtet werden. Entscheidend ist auch die Unterstützung der obersten Führungsebene, welche die Chancen der Digitalisierung erkennt und somit Ressourcen und Freiräume bereitstellt. Es müssen Fähigkeiten und Verhaltensweisen geschaffen werden, welche die digitale Transformation unterstützen. Die zunehmende Vernetzung und Automatisierung der Wasserinfrastruktur werden darüber hinaus auch massive Auswirkungen auf die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Mitarbeitenden haben, um die geänderten Anforderungen zu erfüllen. Die derzeitigen Ausbildungsberufe werden diesen neuen Anforderungen derzeit nur zum Teil gerecht, da in erster Linie Fakten- und Erfahrungswissen vermittelt wird. Daher ist es wichtig, bewährte und neue Mitarbeitenden gleichermaßen auf die neue Situation vorzubereiten und die Aus-, Fort- und Weiterbildung mit Blick auf die neuen Herausforderungen zu fokussieren. Die technische Ausrüstung und Ertüchtigung der Anlagen muss daher mit einer an die neuen Anforderungen angepassten Aus-, Fort- und Weiterbildung einhergehen und die bestehenden Ausbildungsberufe der Umwelttechnik müssen entsprechend angepasst werden. Darüber hinaus werden neue Berufsbilder entstehen, um den Anforderungen neuer innovativer Technologien gerecht zu werden.

Wo liegen die technischen Stolpersteine?

Mit den bereits heute verfügbaren smarten Sensoren, flexiblen Konnektivitätslösungen oder dem IIoT-Ökosystem Netilion von Endress+Hauser sind bereits heute wichtige technologische Voraussetzungen für die Realisierung von Wasser 4.0-Lösungen erfüllt. Bei Wasser 4.0-Projekten vor allem in ländlichen Regionen in Deutschland wird man jedoch oft mit ganz banalen Problemen konfrontiert: ist ein stabiles Breitbandnetz oder eine schnelle Mobilfunkanbindung beziehungsweise eine alternative Technologie wie LoRaWAN verfügbar? Da es sich bei der Wasser- und Abwasserindustrie außerdem um kritische Infrastruktur handelt, sind Themen wie IT-Security und Datensicherheit an der Tagesordnung.

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