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Braucht Deutschland mehr Automatisierung? Die Chance der Deglobalisierung nutzen

Die Corona-Krise hat sehr eindrücklich gezeigt, dass es überlebensnotwendig sein kann, wenn Kernkompetenzen direkt vor der eigenen „Haustüre“ zu finden sind.

03.09.2020

Im neuen Trend der Deglobalisierung setzen Unternehmen noch stärker auf Automation und investieren vermehrt in die digitale Transformation, um preistreibende Effekte teilweise auffangen zu können. Ohne ein funktionierendes digitales Geschäftsmodell wird es jedoch künftig nicht mehr gehen. Fraunhofer IPA und AgiLevia unterstützen produzierende Unternehmen bei diesen Themen, um eine „Rückholaktion“ von Produktionsstätten nach Deutschland zum Erfolg zu führen.

Unternehmen aus allen Branchen sind dem in den 1990er Jahren beginnenden Trend der Globalisierung gefolgt. Damit sind viele wirtschaftliche Vorteile verbunden. Neben der Möglichkeit, sich in Ländern mit geringem Lohnniveau einen Wettbewerbsvorteil durch niedrige Produktionskosten zu verschaffen, liegt der Reiz auch im Eintritt in neue, global verteilte Absatzmärkte.

Wandlungsfähigkeit steigern

Die Corona-Krise hat sehr eindrücklich gezeigt, dass es überlebensnotwendig sein kann, wenn man seine Kernkompetenzen direkt vor seiner eigenen „Haustüre“ ausspielen kann. Dieser Aspekt geht weit über die Möglichkeiten einer Schutzmaskenproduktion hinaus.

Wenn die Produktion vor Ort am Standort Deutschland erfolgt, haben die Produktentwickler und die Produktionsplaner direkten Zugriff auf die vorhandenen Resourcen der Produktion. Alle Beteiligten können sich gemeinsam und auf kurzen Wegen bezüglich einer veränderten oder neuen Produktionsaufgabe abstimmen.

Noch vor einigen Jahren hat man zudem fast gegen Windmühlen kämpfen müssen, um Unternehmen von einer „wandlungsfähigen Produktion“ zu überzeugen. Wandlungsfähigkeit ist nicht erforderlich, wenn alles auf Wachstum und permanenter Ressourcenverfügbarkeit aufgebaut ist.

Doch jetzt haben sich die Rahmenbedingungen geändert: Langfristige Trends werden aktuell massiv beschleunigt. Eine in Deutschland erfolgreiche Produktion erfordert digitale Geschäftsmodelle und weitere, signifikante Effizienzsteigerungen in den Produktionsbereichen. Neben der Produkt- und Prozesswertschöpfung spielen hier Geschäftsmodell-Innovationen eine große Rolle.

Bestehende Geschäftsmodelle sind ständig zu analysieren, der Erfolg zu quantifizieren, Zukunftsaussichten zu hinterfragen. Erfolgreiche Geschäftsmodelle müssen immer wiederkehrend angepasst und verbessert werden, gerade bei sich ändernden Rahmenbedingungen und volatilen Markterfordernissen.

Neue Ansätze sind schwer zu generieren

Während die Adaption von Geschäftsmodellen aus der eigenen oder naheliegenden Branchen noch vergleichsweise einfach vonstatten geht, sind radikal neue Ansätze, die gleichzeitig Geschäftsmodelle und Technologien verändern wie beim Übergang von Verbrennungsmotoren zur Elektromobilität, nur schwer zu generieren und entsprechend herausfordernd in der Umsetzung.

Basis für eine zukunftsfähige Unternehmensausrichtung am Produktiosstandort Deutschland ist ein ganzheitlicher Ansatz aus angepasstem Geschäftsmodell und einer hohen Produktivität in den Fertigungs- und Montagebereichen.

Eine Schlüsselkomponente für Produktivität ist die Automatisierung der Montageabläufe mit Robotern. Wer Roboter in der Fertigung einsetzen möchte, sollte vorher das Produkt nach den Gestaltungsregeln für das „Design for Automation“ vereinfachen. Hierbei gilt: Jeder Prozess, der vermieden werden kann, ist ein guter Prozess.

Automatisierungspotenziale systematisch ermitteln

Ein Roboter ist zunächst dumm, blind und „gefühllos“. Er kann sich somit nur an den fest gespeicherten Mustern orientieren, die ihm zu Beginn beigebracht wurden. Abweichungen von diesen Mustern , insbesondere vorfertigungsbedingte Maßabweichungen an den Einzelteilen, erschweren es jedoch, einen stabilen Prozessablauf zu erreichen.

Um die Ausdauer und Präzision des Roboters auch im „toleranzbehafteten“ Umfeld effizient nutzen zu können, ist eine wichtige Voraussetzung, dass zum Beispiel Positionierhilfen an den Bauteilen vorgesehen werden, sodass sich diese selbst relativ zueinander ausrichten können. Ausgeprägte „Orientierungsmerkmale“ an den Einzelteilen tragen ebenfalls zu einem stabilen Prozessablauf bei.

Um Automatisierungspotenziale in bestehenden Fertigungs- und Montagebereichen zu identifizieren, wurde am Fraunhofer IPA zudem eine spezifische Analysemethode, die Automatisierungs-Potenzialanalyse (APA) entwickelt. Damit kann die „Fitness for Automation“ von bestehenden Produkten in nachvollziehbarer Weise dokumentiert werden. Die APA ist ein kompaktes Verfahren, das binnen weniger Tage durchführbar ist.

Das Ziel: technisch und wirtschaftlich sinnvolle Automatisierungspotenziale zu identifizieren und dem Kunden ein Konzept für eine mögliche Automatisierung vorzulegen, auf dessen Basis eine Montagelösung detailliert ausgearbeitet und umgesetzt werden kann.

Die Fraunhofer-Experten haben bisher bereits über 80 Projekte zum Thema Design for Automation und APA für verschiedenste Produkte durchgeführt. Die Vorgehensweise und die Ansätze für eine Optimierung sind aber unabhängig davon, ob es sich um einen Kühlschrank, eine Batteriezelle oder eine Straßenlaterne handelt. In Workshops werden mit dem Kundenteam Einsparungspotenziale und zur Umsetzung notwendige Voraussetzungen erarbeitet.

Zukunftssichere digitale Geschäftsmodelle

Durch eine zunehmende Automatisierung ergibt sich eine neue Perspektive für produzierende Unternehmen, die wie ein Katalysator wirkt und diejenigen Unternehmen bevorzugt, die ihre Prozesse und Strukturen innerhalb der Organisation sowie im Kontakt mit den Kunden digital abgebildet haben.

Die künftige Ausrichtung erfordert zudem die (Weiter-)Entwicklung eines digitalen Geschäftsmodells. In zwei Phasen lässt sich ein Zielbild für ein neues Geschäftsmodell entwerfen, das die Richtung aufzeigt, in die sich das Unternehmen entwickeln muss, um auch zukünftig erfolgreich am (heimischen) Markt zu bestehen.

In der ersten Phase werden Workshops und andere Formate angeboten, die sich um die Generierung neuer Ideen für Geschäftsmodelle kümmern. Dabei erfolgt die Ideenfindung anhand von vorher festgelegten Herausforderungen, relevanten Trends, aber auch ganz frei ohne Vorgaben. Entscheidend ist hierbei, dass der Ideengeber die Möglichkeit erhält, seine Idee im Prozess zu treiben und selbst zu verwirklichen, in jedem Fall aber eine transparente Nachverfolgbarkeit der Ideen existiert.

In der zweiten Phase werden die Umwelt und deren erwartete Veränderung in Form eines trendbasierten Forecastmodells skizziert und in ein Portfolio eingeordnet. Somit erfolgt eine Indikation über den Zustand der Geschäftsmodelle und deren erwartete Zukunftschancen. Auf Grundlage des Forecastmodells mittels Szenariotechnik werden ein Zukunftsbild für das Unternehmen entworfen und Handlungsfelder festgelegt.

So wurde beispielsweise durch Zukäufe und Ergänzungsangebote aus einem regional produzierenden Unternehmen ein hochprofitabler, technologiegetriebener Marktführer mit einem breiten internationalen Angebotsportfolio. Stabilisiert wurde dieses Geschäft von einer Vielfalt erfolgreicher neuer, vor allem digitaler Geschäftsmodelle.

Der derzeit beginnende Wandlungsprozess bietet die Chance, bestehende Geschäftsmodelle zu überdenken, die eigenen Produktions- und Montagebereiche einer nachvollziehbaren APA zu unterziehen und bereits jetzt die neuen Produkte der nächsten Generation unter dem Aspekt der Automatisierbarkeit vorzubereiten. Auf dieser Basis kann dann der individuell notwendige und auch wirtschaftlich sinnvolle „Globalisierungsgrad“ eines Unternehmens neu bewertet werden.

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