In den letzten Jahren hat sich Single Pair Ethernet (SPE) bereits in der Automobilindustrie durchgesetzt. Die zunehmende Vernetzung im „Software-defined Vehicle“ erfordert eine sichere, kompakte Verkabelung auf engstem Raum im Fahrzeug, die Sensoren und Steuerungen für autonomes Fahren, Batteriemanagement- und Fahrerassistenzsysteme verbindet. Als Partner für die OEMs hat Rosenberger diesen Paradigmenwechsel seit 2012 begleitet und die Protokolle für den Automotive-Stecker mitentwickelt. Diese Erfahrung floss auch in den aktuellen Standardisierungsprozess ein und spiegelt sich im neuen Hybrid-Steckverbinder-Standard IEC 63171-7 (ED2), der bald die Grundlage für die kommende Interoperabilität bildet.
SPE birgt Potenzial für verschiedene Bereiche
Eine Übertragungstechnologie mit großer Reichweite, die Powerversorgung und Datenübertragung in einem Kabel kombiniert, gewinnt auch in der industriellen Vernetzung zunehmend an Bedeutung. Die Entwicklung rund um Industrie 4.0, Digitalisierung und Vernetzung wird immer relevanter. Die Basis dafür sind Daten! Zwar wird in der industriellen Vernetzung bereits mit bestehenden Protokollen gearbeitet, doch in der Praxis bleibt es ein Problem, kostengünstig, nachhaltig und effizient an die Daten zu kommen. Indem Sensorik und Aktorik in IoT-Anwendungen die notwendigen Informationen liefern, die von KI-Systemen beispielsweise für vorausschauende Wartung oder Simulationen analysiert werden, steigt der Bedarf an bezahlbarer, intelligenter Vernetzung weiter. SPE stellt hier eine sinnvolle Alternative dar, die zudem Security-Strategien wie Time Sensitive Networking (TSN) für Sicherheits- und Safety-kritische Echtzeitanwendungen ermöglicht.
Zahlreiche Anwendungsszenarien in unterschiedlichsten Branchen können von SPE profitieren: Besonders relevant ist die Technologie in der Automatisierung und der Robotik, wo die wesentlich schmaleren und biegbareren SPE-Kabel zu mehr Bewegungsfreiheit beitragen. Ein weiteres Beispiel sind Fahrzeuge in der Agrarwirtschaft, die zunehmend Daten zu Bodenbeschaffenheit und Wetter einbeziehen. Aber auch in der Elektromobilität entstehen Anwendungsfälle – etwa durch Sensorik in Ladesäulen oder in der Weiterverwendung von Fahrzeugbatterien in großen Energiespeichern, die eine aufwendige Verkabelung erfordern. SPE kann zudem die Vernetzung von Zugabteilen vereinfachen und gehört mittlerweile auch in der Gebäudeautomatisierung zu den Trendthemen.
Protokollvielfalt verteuert die Entwicklung
Überall dort, wo eine leistungsfähige Vernetzung wichtig ist, kann SPE mit Eigenschaften wie Miniaturisierung, Energieversorgung über das Datenkabel (Power over Dataline [PoDL]) und starken Materialeinsparungen glänzen. Mittels Multidrop-Topologie können zudem mehrere Sensoren und Aktoren gleichzeitig über ein Kabel angesteuert werden. Speziell im IoT-Umfeld müssen viele kleine Devices auch gleich mit Strom versorgt werden – Wireless-Ansätze reichen daher in der Regel nicht aus. Sie spielen in der Fabrikautomation weiter eine untergeordnete Rolle: Die Marktanalyse von HMS Networks für das Jahr 2024 stellt fest, dass nur sieben Prozent aller neu installierten Netzwerkknoten auf drahtloser Kommunikation basieren.
In der industriellen Vernetzung gibt es aktuell über 80 verschiedene Protokolle, über die einzelne Komponenten kommunizieren können. Um diese Protokolle zu übersetzen, sind teure Gateways nötig. Vor allem gestaltet sich jedoch die Implementierung kostenintensiv, denn sie erfordert eine hohe Expertise für diese Protokolle: Ein Bereich, in dem die Fachkräfte rar sind. Damit steigen etwa im Maschinen- und Anlagendesign die Entwicklungskosten relativ stark an. Je mehr Sensorik-, Aktorik- und Connector-Hersteller also auf SPE setzen, desto schneller könnte perspektivisch eine komplette Anlage – ohne Gateways –ausschließlich über Ethernet-Protokoll kommunizieren. In einem Forschungsprojekt mit der TU München für eine CNC-Anlage konnten so bis zu 25 Prozent Entwicklungskosten eingespart werden. Mit zunehmender Verbreitung von Single Pair Ethernet fallen zudem die Kosten für diese Kommunikationstechnologie. Bisher kommt SPE vor allem ergänzend zu bestehenden Ethernet-Verkabelungen für neue digitale, IoT-basierte Szenarien zum Einsatz. In neuen Produkten und Produktionsstandorten könnte SPE künftig auch zur Grundlage werden.
Einheitliches Steckgesicht stärkt die Verbreitung
Der Standard IEEE 802.3 beschreibt die SPE-Protokolle für Automotive, Transport und für die Fabrik-, Gebäude- und Prozessautomatisierung hinsichtlich physischem Layer und Datenübertragungsgeschwindigkeiten. Während in der Autoindustrie aufgrund der hohen Datenvolumen 25 Gb pro Sekunde erforderlich sind, wäre das etwa in der Gebäudeindustrie überdimensioniert. Bei bis zu 80 Prozent der industriellen Use Cases sind 10 Mbit ausreichend, mit 100 Mbit lassen sich nahezu sämtliche Fälle abdecken. Auch unterschiedliche Distanzen werden von den jeweiligen Protokollen berücksichtigt: Während in Gewächshäusern oder in Chemieparks Sensorik auf hunderten Metern oder einige Kilometern zusammenwirken soll, sind in einer Maschine oder Anlage oder einem Roboter nur sehr kurze Kabeldistanzen notwendig.
Auf Basis früherer Normierungsbemühungen gibt es dazu passend bereits eine ganze Reihe an standardisierten Industriesteckverbindern für SPE, die in den Unternormen der IEC 63171 beschrieben sind. Sie eignen sich für unterschiedliche Einsatzszenarien, die sich allerdings teils überschneiden. Hinzu kommen viele nicht-standardisierte Stecker am Markt. Das führt sowohl für Hersteller als auch Betreiber zu viel Komplexität. Die damit verbundene Unsicherheit bewog viele Unternehmen zum Abwarten. Ende 2024 gab die Profibus Nutzerorganisation (PNO) bekannt, dass sie mit IEC 63171-7 (ED2) ein einheitliches, hybrides Steckgesicht normieren und als Industriestandard festlegen will. Damit sollen sämtliche Anwendungsszenarien, auch im geschützten Bereich, universell abdeckbar sein.
Aus Rosenberger-Sicht wird damit der vorhergehenden Entwicklungsarbeit in der Automobilindustrie Rechnung getragen, für die Stecker bereits vollautomatisch in Massenproduktion (300 Millionen in 2024) hergestellt werden: Mit dem „High-Speed Modular Twisted Pair Data“ gibt es hier seit 2016 einen Single-Panel-Steckverbinder für hohe Datenraten, der komplett geschirmt ist. Der künftig von der PNO empfohlene Steckverbinder weist – insbesondere hinsichtlich Größe und Schirmung – eine starke Ähnlichkeit mit diesem für die Automobilindustrie entwickelten Steckverbinder auf.
Der richtige Moment, SPE zu evaluieren
Der derzeit laufende Normierungsprozess, in dem die Key Player sich bereits auf ein Design geeinigt haben, sollte bis Ende 2025 in einer CDV-Norm münden – und dann die vom Markt gewünschte und benötigte Interoperabilität einläuten. Dass viele Unternehmen hier bereits in den Startlöchern stehen, zeigt das große Interesse auf Kundenseite und die spürbare Erleichterung, dass das „Steckerdrama“ zu Ende geht. Für viele ist SPE aber auch noch Neuland und es gibt einen erheblichen Beratungsbedarf: Denn ein wichtiger Aspekt bleibt auch weiterhin, den jeweiligen Anwendungsfall genau zu analysieren, und davon ausgehend den passenden Physical Layer und das passende Protokoll auszuwählen, um die größtmöglichen Benefits herauszuarbeiten.
Jede neue Technologie braucht ihre Zeit, um im Markt Fuß zu fassen. Am Beispiel der Autoindustrie ist jedoch gut als Trend erkennbar, wie vergleichsweise schnell sich SPE aufgrund seiner Vorteile durchsetzen kann. Die aktuell rückläufige wirtschaftliche Situation mit weniger gut gefüllten Auftragsbüchern könnte – wie auch schon bei anderen Innovationssprüngen zu beobachten – für die nötige Luft sorgen, mehr Ressourcen in die Auseinandersetzung mit der neuen Technologie zu stecken. Für alle, die sich in Unternehmen mit dem Thema Datenkommunikation beschäftigen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um sich mit SPE auseinanderzusetzen – gleich, ob es sich um Automatisierung und Robotik handelt, Gebäudeautomation, Kühlsysteme in der Lebensmittelindustrie oder die Anlagenentwicklung. Vor allem Hersteller sollten evaluieren, welche Vorteile SPE für die nächsten Produktgenerationen mitbringt, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.