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Umgang mit toxischen und aktiven Feststoffen Wie geht moderner Arbeitsschutz?

Atemmaske und Ganzkörperanzug: Viele Produzenten aus Chemie- und Pharmaindustrie denken, dass es damit in Sachen Arbeitsschutz getan ist. Ein Trugschluss.

Bild: iStock, D-Keine
04.03.2020

Der Trend zur Spezialisierung schreitet in der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie weiter voran. Mit klassischen Konzepten des Arbeits- und Produktschutzes lassen sich die dadurch wachsenden Anforderungen kaum noch erfüllen. Moderne Schutzkonzepte bei Anlagen und deren Komponenten gewinnen deshalb an Bedeutung.

Immer mehr hochgefährliche Substanzen und immer kleinere Batchgrößen – die aktuellen Trends in der Pharma- und Chemieindustrie befeuern den Bedarf nach flexiblen technischen Lösungen. In der Chemie sorgte in den vergangenen Jahren beispielsweise die Umsetzung der REACH-Verordnung für ein Umdenken in den Betrieben. Die EU-Richtlinie fordert, dass jeder, der einen Stoff ab einer Menge von 1 t/a herstellt oder importiert, diesen zuvor registrieren muss. Dabei gilt auch: Je höher die Vermarktungsmenge, desto mehr Daten muss ein Unternehmen einreichen.

Das schlägt sich auch auf die Kosten der dafür nötigen toxikologischen Prüfungen nieder. Gefährliche Stoffe sollen, so der Wunsch der EU, nach Möglichkeit substituiert werden. Wo das nicht möglich ist, müssen Betreiber nachweisen, dass sie sicher mit hochwirksamen Stoffen arbeiten können.

Dass davon nicht nur ein paar wenige Unternehmen betroffen sind, zeigt der Blick in die Statistik: Über 50 Prozent aller NCEs (New Chemical Entities, neue eigenständige Substanzen) sind als potent einzustufen.

Vollschutzanzüge reichen nicht

REACH legt den Unternehmen, die in größerem Maße mit gefährlichen Stoffen umgehen, nicht nur Registrierungspflichten auf, sondern schärft auch den Blick für den Arbeitsschutz. Denn oft herrscht bei den Produzenten die Meinung vor, dass es reicht, wenn die Mitarbeiter beim Umgang mit toxischen Stoffen Vollschutzanzüge anziehen und Atemschutzgeräte tragen.

Ein Trugschluss: Die entsprechende EU-Richtlinie 98/24/EG räumt technischen Maßnahmen in der Rangfolge der Schutzmaßnahmen eine deutlich höhere Priorität ein – persönliche Schutzausrüstung steht erst ganz am Ende der dort für den Arbeitsschutz definierten Maßnahmen.

OEB-Level 5 als Standard

Bei der Frage nach technischen Anforderungen kommt der Begriff „Containment“ ins Spiel. Containment-Systeme trennen den Mitarbeiter vom (gefährlichen) Produkt. In der Chemie steht beim Umgang mit toxischen Stoffen dabei der Arbeitsschutz im Vordergrund: Gefährliche Stäube sollen durch hermetisch geschlossene Systeme in der Anlage gehalten oder in Filtern abgeschieden werden.

In der Pharmaproduktion kommt eine weitere Blickrichtung hinzu: Das Produkt selbst soll durch Containment-Technik vor Einflüssen und Verunreinigungen aus der Umgebung geschützt werden. Die über die Jahre gestiegene Anzahl hochaktiver Stoffe führt dazu, dass mittlerweile in vielen Bereichen ein OEB-Level von 5 schlicht als Standard gilt.

Das Kürzel OEB steht für „Occupational Exposure Band“ und beschreibt die Toxizität eines Stoffes. OEB 5 bedeutet eine Belastung von weniger als 1 µg/m3. Würde man dies auf die Größe des Empire State Buildings in New York hochrechnen, so dürfte sich im gesamten Gebäude nicht mehr als der zwanzigste Teil eines Teelöffels des Wirkstoffs befinden. Um dies zu erreichen, gibt es natürlich nicht „die eine“ Lösung, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze.

Am Anfang der Suche nach der optimalen Containment-Lösung muss deshalb immer ein umfassendes Prozessverständnis stehen. So genügt es beispielsweise nicht, die Expositionsgrenze (Occupational Exposure Limit, OEL) des Produkts zu messen. Denn so laufen Anlagenbetreiber Gefahr, eine überdimensionierte Anlage zu spezifizieren und die Investitionskosten in die Höhe zu treiben.

Zudem entstehen so komplizierte Lösungen – das System ist schwieriger zu bedienen sowie zu warten. Auch alltägliche Aspekte wie die Reinigung der Anlagen unter Containment-Bedingungen werden dann häufig unterschätzt.

Containment: eine Frage der Schnittstellen

Unter der Vielzahl der am Markt verfügbaren Containment-Lösungen die richtige und wirtschaftlichste auszuwählen, erfordert Know-how. Beispielsweise um die Frage zu beantworten, ob der Prozess klassisch in Edelstahl oder aber mit Single-Use-Technik aufgebaut werden soll. Denn neben fest installierten Isolatoren und Produktionssystemen, die nach Gebrauch gereinigt werden müssen, lassen sich komplette Prozesse inzwischen auch mit flexiblen Foliensystemen aufbauen, die nach der Nutzung nicht gereinigt, sondern entsorgt werden.

Beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Welche Lösung für eine spezifische Anwendung besser geeignet ist, hängt von vielen Rahmenbedingungen ab – etwa den Produkteigenschaften, den Produktionsvolumina oder wirtschaftlichen Überlegungen.

Zwischen dem Rohmaterial zur Wirkstoffproduktion bis zum fertigen Arzneimittel gibt es eine Vielzahl an Schnittstellen: Rohstoffe müssen beprobt, verwogen, in Prozessmaschinen eingebracht, wieder beprobt, weiterverarbeitet und schließlich konfektioniert werden. Und je toxischer die verarbeiteten Stoffe und je höher die Anforderungen hinsichtlich Kreuzkontamination sind, desto größer ist der Aufwand im Produktionsprozess.

Im regulierten Umfeld der Pharmaproduktion kommt dazu, dass jede Änderung am Prozess eine Neuvalidierung erfordert; ein Aufwand, den die Pharmazeuten zu vermeiden suchen. Spätestens dann, wenn unterschiedliche Anlagenkomponenten miteinander zu einem dichten Gesamtsystem verschaltet werden, wird klar, dass Containment vor allem eine Frage der Schnittstellen ist – beziehungsweise deren Vermeidung. Diese müssen sorgfältig betrachtet werden.

Im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit einer Containment-Lösung liegt in dieser Analyse der Schlüssel für eine kosteneffiziente Auslegung. Denn häufig wird übersehen, dass die Gefährdung von Mitarbeitern durch einen Wirkstoff auf dessen Weg durch die Anlage nicht überall gleich hoch ist. Das lässt sich nutzen, indem man das Containment der jeweiligen Anforderung anpasst.

Dort, wo das Containment gebrochen wird, um das Produkt vom einen in den nächsten Prozessschritt zu überführen, entstehen Gefahren für das Personal wie auch für das Endprodukt. Und so hochwertig das realisierte Containment-System auch sein mag, keine technische Lösung ist 100-prozentig dicht. Ob die vorgegebenen Grenzwerte eingehalten werden, müssen vor der Inbetriebnahme der Anlage geeignete Messungen zeigen.

Interesse an Robotern und Automatisierung wächst

Mit dem Trend zu hochaktiven und immer toxischeren Stoffen, bei denen die Limits inzwischen in den Bereich von Nanogramm-Bruchteilen verschoben werden, kommen auch moderne Isolatorsysteme an ihre Grenzen. In diesem Zusammenhang stellt sich zunehmend die Frage, welche Rolle der Mensch künftig in der Produktionsumgebung hochaktiver Stoffe spielen wird.

Gleichzeitig werden die Messmethoden immer besser, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es möglich sein wird, solche niedrigen Grenzwerte bestimmen zu können. Hier könnten bedienerlose, von Robotern durchgeführte Prozesse künftig eine Option sein. Erste Ansätze sind bereits erkennbar, das Interesse der Anlagenausrüster an Robotern und Automatisierungstechnik wächst.

Ist Containment so teuer wie sein Ruf?

Dass all diese Entwicklungen nicht zum Nulltarif zu haben sind, leuchtet dabei ein. Oft haftet Containment-Systemen deshalb der Ruf an, nicht nur teuer zu sein, sondern auch die Produktivität zu hemmen. Obwohl, wie oben beschrieben, eine wirtschaftliche Abwägung zwischen technischer Lösung (Containment) und persönlicher Schutzausrüstung schon nach den Arbeitsschutz-Regularien nicht statthaft ist, ist diese Denkweise weiterhin verbreitet.

Oft wird dabei jedoch falsch gerechnet, und beispielsweise bleiben die Personalkosten beim Einsatz von Anzügen oder die Transaktionskosten für deren Beschaffung und Handling unberücksichtigt. Unterm Strich, so beispielsweise die im Oktober 2019 bei der jährlichen Praxistagung Containment vorgestellten Erfahrungen des US-Pharmakonzerns Allergan, spart Containment den Betreibern sogar Geld, weil teure Produktverluste vermieden werden können.

Für die geschlossene Technik spricht zudem, dass sich so teure und unter Gesichtspunkten der Sicherheits- und Explosionsrisiken bedenkliche Luftwechselraten vermeiden lassen. Auch die Mitarbeiter profitieren davon, wenn sie sich ohne lästige und schweißtreibende Schutzausrüstung in der Anlage bewegen können.

Je teurer das Produkt, desto schneller spielen Containment-Systeme die für ihren Einsatz notwendigen Kosten wieder ein. Und das Plus an Sicherheit und Produktqualität kann sich zudem auszahlen, wo sonst aufgrund von Verunreinigungen Rückrufaktionen notwendig werden oder das Image des Unternehmens auf dem Spiel stehen.

Arbeits- und Produktschutz wird auch Thema auf der Fachmesse Solids sein, die vom 1. bis 2. April 2020 in Dortmund stattfindet.

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