Prozessautomation & Messtechnik Wertstoff aus der Alge


Im Rampenlicht: Im Photobioreaktor in der TH-Wildau - hier
mit pH- und Sauerstoffsensoren - wird eine besonders robuste
einzellige Grünalgenspezies mit CO2 „gefüttert“.

14.06.2013

Aus Sonne wird Biomasse, aus Biomasse werden Chemikalien, Lebensmittel oder Kraftstoff: Damit dieses Kunststück gelingt, müssen die Akrobaten - etwa Algen und Bakterien - gut trainiert sein. Und sie benötigen geeignete Technik. Um diese zu optimieren, betreibt die TH Wildau eine Algen-Pilotanlage. In ihr wurde erstmals ein Photobioreaktor mit einem Methangasreaktor und einem Blockheizkraftwerk gekoppelt. Bei der Prozessoptimierung spielen pH- und Sauerstoffanalytik eine zentrale Rolle.

Mikroalgen stehen seit einigen Jahren im Fokus vieler Wissenschaftler. Durch katalytische Prozesse oder Gärungsverfahren kann man aus ihnen nicht nur Biodiesel und Ethanol generieren. Auch die Erzeugung von Wertstoffen wie Fettsäuren und Methan ist möglich. Hierzu nutzt man die anaerobe Vergärung der Algenmasse. Dieses Verfahren kommt in der Pilotanlage zum Einsatz, die die TH Wildau südlich von Berlin seit 2010 betreibt. „Eigentlich sind die Algen viel zu schade, um sie in Motoren zu verfeuern“, erklärt Roberto Lisker vom Kompetenzzentrum Regenerative Energie, der das Projekt an der Technischen Hochschule verantwortet. „Sie haben das Zeug dazu, zur Lösung der globalen Ernährungsprobleme beizutragen. Die Mikroorganismen können Stärke, hochwertige Proteine und Nahrungsergänzungsmittel wie Fettsäuren, Antioxidantien und Vitamine liefern.“ Die Energieausbeute von Algen, also der photosynthetische Umsatz bezogen auf die Anbaufläche, ist höher als bei allen anderen nachwachsenden Rohstoffen. Ihre Produktivität hinsichtlich Stärke, Ölen und Fettsäuren beträgt sogar das Siebenfache der Hochleistungsnutzpflanze Mais. Und je nach Algenart kann man unterschiedliche Wertstoffe gewinnen. Was man alles mit den Algen machen kann, ist in der Wildauer Pilotanlage allerdings zweitrangig. Vorderstes Ziel ist die Erprobung und Verbesserung des verfahrenstechnischen Kreislaufs: Dazu zählen die Steigerung der Energieeffizienz, Tests geeigneter Materialien und natürlich die Maximierung der Algenausbeute. „Algenzucht wird heute bereits an vielen Orten erforscht und betrieben. Die Verfahrensschritte sind bekannt und die Komponenten für die Kultivierung problemlos erhältlich“, beschreibt Lisker. „Das Neuartige hier in Wildau ist, dass wir erstmals alle einzelnen Schritte zu einem Kreislauf verbinden und untersuchen, wie sich die Gesamteffizienz des Systems optimieren lässt.“ Auch wenn sich in der Pilotanlage alles um einen biologischen Organismus, die einzellige Grünalge Scenedesmus Rubescens dreht - die eigentliche Herausforderungen stellen sich nicht an Biologen, sondern an die Ingenieure. Warum gerade dieses Algenspezies? „Es gibt um die 340.000 Mikroalgenarten. Einige hundert davon sind kultivierbar“, umreißt Lisker den aktuellen Erkenntnisstand. „Diese Alge kam wegen ihrer stabilen Natur in die engere Auswahl. Und je länger wir mit ihr arbeiten, desto begeisterter sind wir.“

In der Manege: Scenedesmus Rubescens

Die Mikroalge ist robust, wächst schnell und produziert viele Öle und Fettsäuren. Sie verfügt sowohl über einen photo- als auch über einen heterotrophen Stoffwechsel, kann also ihren Energiebedarf entweder mit Licht oder aus Zucker bestreiten. Alles, was die genügsame Alge sonst noch zum Leben braucht, ist Kohlendioxid. Das erhält sie in Wildau aus einem Blockheizkraftwerk, das auch die Energie für alle Verfahrensschritte liefert. Bevor der Bioreaktor gestartet werden kann, wird eine bestimmte Menge an Algen benötigt, die zuvor in einem externen Labor gezüchtet werden. Diese Algenpopulation wird in den Photobioreaktor gegeben, der aus einem lichtdurchlässigen Rohrsystem mit einem Volumen von 250 Litern besteht. Zwischen den Rohren emittieren energiearme Leuchtstoffröhren genau die Wellenlängen, die die Algen für die Photosynthese benötigen. Den Strom für die Lampen und das CO 2für die Algen liefert das gasbetriebene Blockheizkraftwerk. Seine CO 2-haltigen Abgase können allerdings nicht direkt in die Röhren des Bioreaktors eingeleitet werden. Mit ca. 90°C sind sie zu heiß. Deshalb werden sie zur Filterung und Trocknung zuvor durch einen mit Zeolithen - keramikähnlichen Mineralien - befüllten Behälter geleitet und anschließend mit Hilfe von Hochleistungs-Wärmeübertragern auf 30°C gekühlt. Die anschließende Zuführung in die mit Wasser und Algen befüllten Röhren erfüllt neben der CO 2-Versorgung auch die wichtige Funktion, das Wasser in Bewegung zu halten. Das verhindert, dass sich Algenschichten an den Rohrwänden ablagern und diese nach und nach lichtundurchlässig machen. Bei jeder Kultivierung des Reaktors mit einer neuen Algengeneration, die bis zur Ernte zehn Tage benötigt, muss zunächst das chemische Gleichgewicht im Wasser eingeregelt werden.

Fütterung der Raubtiere: pH-Wert-geregelt

Sehr wichtig dabei sind der pH-Wert und der Sauerstoffgehalt. Die Algen benötigen ein saures Milieu, doch bei Übersäuerung muss die CO 2-Zufuhr gedrosselt werden. Zur Messung von Sauerstoffgehalt und pH-Wert verwenden die Ingenieure Memosens-Sensoren des Messtechnikherstellers Knick. „Das ist sehr praktisch für uns, weil wir die digitalen Sensoren im Labor vorkalibrieren können und nicht darauf angewiesen sind, die Kalibrierung in den beengten Verhältnissen am Reaktor durchzuführen“, so Lisker. Die Sensorwerte werden dann in die Leitwarte übertragen: In einem Schaltschrank neben der Messstelle nehmen Analysenmessgeräte der MemoRail-Baureihe von Knick die Werte der Memosens-Sensoren entgegen. Die ressourcen- und platzsparenden Messgeräte für die Hutschienenmontage verfügen über ein nur 12,5mm breites Anreihgehäuse. Sie sind auf die wesentlichen Funktionen beschränkt, denn dank der vorkalibrierten Memosens-Sensoren und der Bereitstellung und Visualisierung der Messwerte in der Leitwarte ist eine Vor-Ort-Visualisierung am Messumformer nicht mehr nötig. In Wildau übermitteln die MemoRail-Einheiten die Analogwerte an einen Datenlogger im Schaltschrank, der die erfassten Daten über TCP/IP an die Rechner in der Leitwarte sendet. „Für uns war entscheidend, dass wir die Analysengeräte auf der Hutschiene im Schaltschrank montieren können - ein Feature, dass nur MemoRail bietet“, fasst Lisker zusammen. In Kürze wird das Kompetenzzentrum seine messtechnische Ausstattung um tragbare Analysenmessgeräte der Serie Portavo von Knick ergänzen. Diese Geräte sind laut Herstellerangabe derzeit die einzigen tragbaren Analysenmessgeräte zur Messung von pH-Wert, Leitfähigkeit oder Gelöstsauerstoff, die über Memosens-Technik verfügen. Sollte es einmal zu Störungen oder Unterbrechungen der Datenübertragung kommen, gestattet Portavo eine schnelle Überprüfung der Sensoren direkt an der Messstelle. Nach zehn Tagen des Wachstums im Bioreaktor naht die Erntezeit. Da Filter durch die geringen Durchmesser der Algen sofort verstopfen würden, sondert man die Algen in einer Zentrifuge vom Wasser ab. Zur Gewinnung der Wertstoffe werden sie dann in einem Hochdruckhomogenisator mit 650bar aufgeschlossen. Welche Stoffe die Algen in welchen Anteilen bilden, hängt von den Kultivierungsbedingungen ab. Zum Beispiel fördert eine geringe Nitratkonzentration die Produktion von Fettsäuren. Wird hingegen die Lichteinstrahlung intensiviert, reagieren die Algen mit verstärkter Produktion von Karotinoiden. Nachdem der Algenemulsion alle wertvollen Substanzen entzogen wurden, bleibt Biomasse übrig, aus der in einer Biogasanlage Methangas gewonnen wird. Das wird wiederum in das Blockheizkraftwerk gespeist. Hier schließt sich der Kreis. „Anders als bei unserer Pilotanlage, die Forschungszwecken dient und bei der wir mit künstlichem Licht arbeiten, ist es für die wirtschaftliche Nutzung eines Photobioreaktors entscheidend, dass die Anlagen im Freiland stehen und damit als biologischer Speicher solarer Energie fungieren. Dabei muss man letztlich von erheblich größeren Dimensionierungen ausgehen, als sie unsere Anlage aufweist“, erklärt Lisker. Die Testanlage in Wildau erreicht folgende Bilanz: Die Ernte aus 250l „Algenwasser“ beträgt rund 2,5l Algenschlamm, aus dem zwischen 100 und 200g hochwertige Produkte gewonnen werden können. Das Methangas aus der Biomasse reicht für einen zehnminütigen Betrieb der Blockheizkraftwerks. Von der insgesamt für die Anlage eingesetzten Energie entfällt ein Drittel auf die Ernte, wird also zum Betrieb der Zentrifugen und des Homogenisators verwendet.

Algen im Rotlichtmilieu

„Wir betreiben unser Blockheizkraftwerk aus Forschungsgründen abgasgeführt, nicht, wie es normalerweise der Fall ist, strom- oder wärmegeführt“, erläutert Lisker. „Denn es ging uns primär um einen geschlossenen CO 2-Kreislauf.“ In einem der nächsten Vorhaben wird die Energieeffizienz eine zentrale Rolle spielen. Dann soll die Wärme aus den Abgasen mit einer Nachverstromungseinheit auf Basis eines Organic-Rankine-Cycle-Verfahrens, also über Dampfturbinen, genutzt werden. Weitere Untersuchungen betreffen die Eignung verschiedener Leuchtmittel - derzeit werden LEDs und Energiesparlampen getestet - sowie das Material und die Oberflächenstruktur der Reaktorröhren. So wird das Kompetenzzentrum demnächst Röhren mit spezieller Oberflächenkontur verwenden, die ein Anhaften der Algen verhindern soll.

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