Industrieanlagen stoßen laut der International Energy Agency (IEA) weltweit rund 9 Gigatonnen CO2 pro Jahr aus, das sind 29 Prozent aller Treibhausgasemissionen. Allein die Sektoren Stahl, Zement und Chemie verursachen circa 6 Gigatonen – also rund 70 Prozent – davon. Diese Branchen liefern grundlegende Materialien für unsere Gesellschaft und sind auch für klimafreundliche Zukunftstechnologien notwendig. Die Dekarbonisierung der Schwerindustrie ist somit dringend und strategisch – sie verhindert massive Emissionen und sichert die nachhaltige Versorgung mit Materialien für die Energiewende.
Weltweit wächst der Druck auf diese Industrien, schnell emissionsärmer zu werden. Bereits 107 Länder – verantwortlich für über 82 Prozent der globalen Emissionen – haben sich das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Entsprechend verschärfen sich regulatorische Vorgaben: beispielsweise fordert die EU im „Fit for 55“-Paket massive CO2-Reduktionen und führt ab 2026 einen CO2-Grenzausgleich (CBAM) für Importe in CO2-intensiven Sektoren wie Stahl und Zement ein. Gleichzeitig verlangen auch Kunden, Investoren und Endverbraucher zunehmend nachhaltigere Lieferketten. Unternehmen der Schwerindustrie stehen somit vor der Herausforderung – und Chance – jetzt in saubere Technologien zu investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Laut IEA sind insbesondere Elektrifizierung und Energieeffizienz die primären Pfade in eine Netto-Null-Zukunft. Doch der beste Mix an Lösungen variiert je nach Branche, da die Emissionsquellen unterschiedlich sind.
Energieeffizienz: Der erste Schritt zur Emissionsminderung
Die Steigerung der Energie- und Prozesseffizienz gilt als unmittelbar umsetzbare Maßnahme, um Emissionen in allen Industriebereichen zu senken. Viele Anlagen arbeiten seit Jahrzehnten und bieten Optimierungspotenzial. Durch Modernisierung und bessere Steuerung lassen sich mit vergleichsweise geringen Investitionen erhebliche Einsparungen erzielen. Beispielsweise können Stahlhersteller durch Optimierung des Hochofen-Einsatzmix (etwa höhere Erzgehalte) und das Einblasen von Gasen den Koksbedarf senken und ihren energieintensiven Hochofen-Konverter-Prozess effizienter gestalten. Auch Abwärmenutzung spielt eine Rolle: In Zementwerken könnte die Rückgewinnung von nur 10 Prozent der Abwärme bereits 36 bis 58 Prozent des Strombedarfs der Anlage decken. Moderne Kraft-Wärme-Kopplung und Thermoelektrik ermöglichen es, Abgashitze wieder in nutzbare Energie umzuwandeln.
Ein weiterer Ansatz ist der Einsatz energieeffizienterer Antriebe und Motoren. In allen Branchen treiben Elektromotoren Pumpen, Ventilatoren, Mühlen oder Kompressoren an – oft rund um die Uhr. Durch den Austausch älterer Motoren gegen hocheffiziente Modelle (Effizienzklasse IE5) und den flächendeckenden Einsatz von drehzahlvariablen Antrieben lässt sich der Energieverbrauch solcher Aggregate um typischerweise 2,5 bis 4,5 Prozent senken. Weltweit sind weniger als ein Viertel aller Industriemotoren mit einem Frequenzumrichter ausgestattet. Letztere können den Stromverbrauch jedoch um bis zu 25 Prozent senken, wenn sie in Anwendungen wie Pumpen, Lüftern oder Kompressoren an einem bestehenden Motor installiert werden. Ein Frequenzumrichter passt die Motorleistung dynamisch dem Bedarf an und vermeidet ineffizienten Volllastbetrieb. So konnte zum Beispiel ein Stahlwerk durch Investitionen in eine bessere Anlagentechnik oder Elektrolichtbogenöfen und ein ausgeklügeltes Energiemanagement seinen Stromverbrauch um 600 GWh pro Jahr reduzieren.
Ähnlich profitieren Bergbaubetriebe: Durch den Verzicht auf mechanische Getriebe zugunsten von Direktantrieben in Fördersystemen oder Brechern erhöht sich der Gesamtwirkungsgrad und der Energiebedarf sinkt. Solche Effizienzmaßnahmen reduzieren nicht nur Emissionen und Energiekosten, sondern erhöhen oft auch die Produktivität und Anlagenverfügbarkeit – ein echtes Win-Win für Klima und Wirtschaftlichkeit.
Elektrifizierung von Prozessen und Anlagen
Die Elektrifizierung industrieller Prozesse ersetzt fossile Brennstoffe durch emissionsfreien Strom (idealerweise aus erneuerbaren Quellen) und ist ein weiterer Schlüssel zur Dekarbonisierung. Das betrifft sowohl thermische Prozesse (Erhitzung, Schmelzen, Trocknen) als auch Antriebe, Fahrzeuge und Maschinen. Im Stahlsektor ermöglicht die elektrische Stahlerzeugung im Lichtbogenofen (EAF) signifikante Einsparungen. Recyclingstahl spart große Mengen Kohle ein und reduziert Emissionen aus Koksöfen und Hochöfen nahezu vollständig. Elektrostahl deckt etwa 30 Prozent der Stahlproduktion und verursacht deutlich weniger CO2 pro Tonne als das konventionelle Verfahren.
In der Zementindustrie ist die direkte Elektrifizierung der Klinkeröfen eine Herausforderung, aber erste Ansätze sind vielversprechend. Forschungsanlagen nutzen Widerstandsheizungen oder Plasmabrenner, um die nötigen Temperaturen zu erzeugen. Auch Elektromotoren und -antriebe können Emissionen senken, indem sie Dieselaggregate ersetzen. Im Bergbau spielen elektrische Antriebe eine immer größere Rolle. Große Muldenkipper und LKW können durch batterieelektrische Fahrzeuge oder Trolley-Systeme ersetzt werden. Elektrisch betriebene Förderbänder sind energieeffizienter und sparen CO2. Elektrische Bohrer, Schaufellader und belüftungsgesteuerte Ventilatoren reduzieren den Treibstoffverbrauch unter Tage.
Auch die Öl- und Gasindustrie kann durch Elektrifizierung erhebliche Emissionssenkungen erzielen. Der Produktions- und Raffinerieprozess von Öl und Gas war 2021 für 6 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Offshore-Plattformen und Pumpstationen können beispielsweise durch Strom von Land versorgt werden, was den CO2-Ausstoß drastisch reduziert. Gasmotoren und gasbetriebene Kompressoren lassen sich dann durch elektrische Antriebe und Motoren ersetzen. Diese erreichen Wirkungsgrade von bis zu 95 Prozent, verglichen mit rund 40 bis 50 Prozent bei typischen Gas- oder Dampfturbinen. Als angenehmen Nebeneffekt sinken auch Lärm und Wartungsaufwand.
Wasserstoff und alternative Brennstoffe
Grüner Wasserstoff – erzeugt durch Elektrolyse mit erneuerbarem Strom – gilt als Schlüssellösung für Prozesse, die schwer direkt zu elektrifizieren sind. In der Stahlindustrie kann Wasserstoff anstelle von Kohlenstoff als Reduktionsmittel dienen. In der Zementherstellung wird Wasserstoff primär als alternativer Brennstoff interessant. In der Chemieindustrie ist Wasserstoff gleich doppelt relevant: als kohlenstofffreier Brennstoff für Prozesswärme und als alternativer Rohstoff (Feedstock) für chemische Reaktionen. Im Bergbau wird Wasserstoff vor allem als zukünftiger Energieträger für schwere Maschinen diskutiert. Auch in der Öl- und Gasbranche selbst spielt Wasserstoff zunehmend eine Rolle, beispielsweise in Raffinerien.
Neben Wasserstoff bleiben biogene Brennstoffe und Sekundärrohstoffe wichtige Bausteine in der kurz- und mittelfristigen Dekarbonisierungsstrategie. So ist Schrottrecycling im Stahlbereich essenziell: Jede Tonne Stahlschrott, die wieder eingeschmolzen wird, reduziert den Bedarf an neuem Roheisen und damit die Emissionen. In der Chemie lässt sich durch Kunststoffrecycling der Einsatz von fossilen Rohölen verringern, was die prozessbedingten Emissionen mindert. Der Begriff der Kreislaufwirtschaft gewinnt somit an Bedeutung: Materialeffizienz und Wiederverwertung senken den Druck, immer neue energieintensive Primärmaterialien herzustellen.
Herausforderungen und Rahmenbedingungen
Trotz aller Effizienzsteigerungen, Elektrifizierung und alternativer Energieträger bleiben in einigen Prozessen unvermeidbare Emissionen. Hier kommt CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture, Utilization and Storage, CCUS) ins Spiel. In Zementwerken werden dafür derzeit Abgaswäscher und Filteranlagen entwickelt, die direkt am Ofenabgas das CO2 abtrennen. Auch in anderen Branchen gibt es entsprechende Initiativen. CCUS steht jedoch vor Herausforderungen: Hohe Investitionskosten, erhöhter Energiebedarf für die Abscheidung und fehlende CO2-Transportleitungen beziehungsweise Speicher sind zu lösen.
Die technischen Lösungen zur Dekarbonisierung sind also vielfältig – doch ihre Umsetzung im industriellen Maßstab hängt von wichtigen Rahmenbedingungen ab. Erstens erfordern viele der genannten Maßnahmen enorme Investitionen. Zweitens sind die Energieinfrastruktur und Versorgung entscheidend. Drittens spielt die regulatorische Planungssicherheit eine Rolle. Schließlich darf man die technologischen Grenzen nicht verschweigen: Manche Lösungen befinden sich noch im Pilotstadium und müssen erst ihre kommerzielle Reife beweisen.
Ausblick: Zukunftstrends auf dem Weg zu Netto-Null
Trotz der genannten Herausforderungen ist der Pfad Richtung Netto-Null-Industrie klar erkennbar. Nahezu alle großen Industrieunternehmen haben inzwischen Klimastrategien formuliert und erste Projekte angestoßen. Die kommenden Jahre bis 2030 sind entscheidend, um Pilotanlagen zu skalieren und die nötige Infrastruktur aufzubauen. Zahlreiche Best-Practice-Beispiele zeigen schon heute, dass Dekarbonisierung machbar ist. Technologisch zeichnet sich ab, dass Sektorkopplung immer wichtiger wird. Für Ingenieurinnen und technische Leiter in der Industrie bedeutet dies, flexibel zu planen und neue Kooperationen einzugehen. Die schnellsten kurzfristigen Maßnahmen zur Dekarbonisierung bleibt energieeffiziente Antriebstechnik: verfügbar, einfach einsetzbar, schneller ROI.