Kommentar über Personalrecruiting Schluss mit Jammern: Niemand ist dem Fachkräftemangel hilflos ausgeliefert

Stefan Scheller bloggt auf Persoblogger.de kritisch über Personalmarketing und Recruiting.

Bild: Stefan Scheller
28.03.2018

Derzeit klagen viele Unternehmen über den Mangel an Fachkräften und Nachwuchs. Dabei müssten Arbeitgeber wieder aktiver bei der Mitarbeitergewinnung werden und sich vor allem um mehr Authentizität im Umgang mit den Bewerbern bemühen, meint Stefan Scheller. Er ist verantwortlich für die Arbeitgebermarken-Kommunikation bei Datev und schreibt auf Persoblogger.de kritisch über Personalmarketing und Recruiting.

Wie so oft beginnt es mit der eigenen Haltung: Denn der erste Irrtum, dem Unternehmen in diesem Zusammenhang häufig unterliegen, ist zu glauben, es gäbe einen flächendeckenden Fachkräftemangel, dem sie hilflos unterworfen seien. Zweifellos leiden Branchen, wie zum Beispiel die Pflege, unter einem Nachwuchsmangel. Allerdings sind viele Probleme hausgemacht. Arbeitsbedingungen und Bezahlung sind Faktoren, die die Job­attraktivität wesentlich beeinflussen.

Die meisten Unternehmen müssen bei der Mitarbeitergewinnung deutlich aktiver werden. Sie müssen wegkommen von anonymen Werbebotschaften und möglichst schnell hin zu einer persönlichen Ansprache potenzieller Bewerber. Social Media ist sicher eine noch stark unterschätzte Möglichkeit. Allerdings kann ich nur davor warnen, Standard-Tipps unreflektiert zu übernehmen und jetzt „auch was mit Facebook und Instagram zu machen“.

Klassische Formate, wie ein regionaler Tag der offenen Tür mit Event-Charakter, gehen in unserer stark von Innovationsdenken getriebenen Arbeitskultur leider zunehmend unter und sind trotzdem oft hochgradig effektiv. Manchmal erzeugen auch witzige Aufkleber auf den Firmenfahrzeugen des Unternehmens bereits mehr Wirkung als die ausgefeilteste Online-Strategie.

Braucht es die eierlegenden Wollmilchsäue?

Am wichtigsten ist es daher, die gesuchten Zielgruppen erst einmal sauber zu definieren. Braucht es wirklich die jungen, eierlegenden Wollmilchsäue mit überdurchschnittlich langer Berufserfahrung? Oder lassen sich ganz andere Profile zur Zielgruppendefinition nutzen? Darauf aufbauend können diejenigen Kanäle und Plattformen identifiziert werden, die von diesen Zielgruppen tatsächlich genutzt werden. Weniger, dafür gezielter, ist hier sogar mehr.

Authentizität ist wichtiger als Perfektion

In jedem Fall sollten in der Kommunikation zwischen Unternehmen und Jobsuchenden immer Mitarbeiter aus den Fachbereichen eingebunden werden. Personaler können als prozessuale Türöffner dienen. Allerdings reden Experten gerne mit Experten. Unternehmen tun sogar gut daran, in den Prozess der Personalgewinnung und Bindung alle Mitarbeiter des Unternehmens zu inte­grieren. Neben dem Multiplikator-Effekt und einer breiten internen Akzeptanz, schaffen Sie so vor allem authentische Einblicke in das Unternehmen. Das lockt die passenden Mitarbeiter an und sorgt automatisch für eine höhere Bindungswirkung. Die meisten Bewerber suchen nämlich gar keine Perfektion, sondern freuen sich vor allem über Ehrlichkeit und Individualität. Diese sollten die Verantwortlichen dann natürlich auch bieten.

Zwar besagen Studien, dass die alte Papierbewerbung gerade wieder bei Schülern in Mode kommt. Aber davon sollte man sich nicht blenden lassen: Die Erwartungshaltung an die Kommunikation hat sich vor allem bei jüngeren Zielgruppen stark geändert. Im Zeitalter von Snapchat und Co. entscheiden mitunter auch Antwortzeiten über ein positives oder negatives Arbeitgeber­image.

Aufgrund der hohen Transparenz durch Arbeitgeberbewertungsplattformen wie Kununu oder Glassdoor, entsteht Image zudem immer weniger durch das aktive Zutun von Unternehmen, sondern vermehrt aufgrund der Reaktion des Marktes. Dies gilt für Kunden genauso wie für Bewerber. Diese Mechanismen können sich Unternehmen zunutze machen und möglichst viel möglichst authentisch und direkt mit den Zielgruppen kommunizieren – wertschätzend und auf Augenhöhe.

Employability der Mitarbeiter fördern

Ein weiterer wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht das Thema Weiterbildung. Mitarbeiter sind heute mehr denn je an ihrer sogenannten „Employability“ interessiert. Das bedeutet, sie möchten möglichst attraktiv für den Arbeitsmarkt bleiben und ihre Kompetenzen ausbauen und wachsen. Daher können diejenigen Unternehmen punkten, die bereits im Rahmen der Personalmarketing-Maßnahmen hierüber reden und ihre Belegschaft auch tatsächlich systematisch bei der fachlichen, methodischen und persönlichen Weiterentwicklung unterstützen.

Dieser Artikel ist Teil des Fokusthemas „Fachkräfte & Weiterbildung“ aus der A&D-Ausgabe 4-2018.

Verwandte Artikel