Sehr dünne Schmierfilme berechenbar machen Neue Gestaltungsmöglichkeiten für Hochleistungs-Tribosysteme

Bei hochbelasteten tribologischen Kontakten, beispielsweise bei Zahnrädern, braucht es Schmiermittel damit es nicht zu Überhitzung oder schnellem Verschleiß kommt.

Bild: iStock, matejmo
12.12.2023

Viele tribologische Systeme werden aus Effizienzgründen an ihren Belastungsgrenzen betrieben. Schmierspalte werden enger, Schmierfilme müssen größeren Belastungen standhalten. Für das zuverlässige Design solcher Systeme sind Entwicklung und Konstruktion auf präzise Berechnungsmethoden angewiesen. Bei der sogenannten Grenzschmierung versagen jedoch konventionelle Berechnungsansätze. Forschende am Fraunhofer IWM in Freiburg gelang es, die Mechanismen der Grenzschmierung aufzuklären und vorhersagbar zu machen

Beschleunigt ein Elektrofahrzeug, erzeugt der Motor höchste Kräfte und enorme Drücke wirken auf die Zahnräder des elektrischen Antriebsstrangs. Oberfläche trifft auf Oberfläche, Metall auf Metall. Würde kein Schmierfilm die Zahnräder leichter gleiten lassen, würden sie sich nicht nur extrem erhitzen, sondern auch schnell verschleißen. „Ohne Schmierfilm würde vieles in unserem Alltag langsamer, quietschender und ruckelnder vor sich gehen“, erklärt Prof. Michael Moseler, Leiter des Geschäftsfelds Tribologie am Fraunhofer IWM.

„Das Elektrofahrzeug würde sicherlich niemals eine so hohe Reichweite erzielen“, ergänzt Dr. Kerstin Falk, die das Team „Molekulares Schmierstoff“ leitet. Zusammen erforschen sie das Verhalten von Schmierfilmen in hochbelasteten tribologischen Kontakten, um deren Eignung für einen reibungsarmen Ablauf vorherzusagen. Egal, ob Metall, Kunststoff oder Keramik, mit einer idealen Schmierung können über 20 Prozent Energie eingespart werden, da Maschinen mit weniger Widerstand laufen. Dies ist auch im Sinne der Nachhaltigkeit ein zukunftsträchtiges Forschungsfeld.

Kein Wunder also, dass die Partnerunternehmen des MikroTribologie Centrums µTC, einem Zusammenschluss zwischen dem Fraunhofer IWM und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT), sehr daran interessiert sind, die Reibung in ihren Systemen so gut wie möglich zu reduzieren. „Inzwischen werden viele tribologische System an ihrer Belastungsgrenze ausgelegt, wo Schmierfilmdicken im Nanometerbereich und Drücke im Gigapascalbereich auftreten. Unsere Partner fragen sich, wie man die Reibung in einem Bauteil mit solch hochbelasteten tribologischen Kontakten berechnen kann, denn gängige fluiddynamische Berechnungsansätze versagen unter diesen extremen Bedingungen“, fasst Falk die Problemstellung zusammen. Falk und Moseler haben zusammen mit ihrem Simulationsteam am MikroTribologie Centrum μTC eine Antwort auf diese Frage gefunden. Nun stellen sie im renommierten Fachjournal Science Advances die Ergebnisse ihrer Forschung vor.

Reibung kennen und anpassen

Wie man Reibung berechnen und damit so klein wie möglich halten kann, hängt davon ab, welches Schmierungsregime in seinen Bauteilen ein Unternehmen anstrebt. Gewöhnlich möchte es seine Tribosysteme – hier wirkt eine Kraft, die Grund- und Gegenkörper aneinanderdrückt – unter elastohydrodynamischen Bedingungen antreiben. Dabei soll ein Schmierfilm, dessen Dicke um einiges größer ist als die Rauheiten der beiden Oberflächen, die Reibung mindern. In diesem Fall kann man die Reibung mit einem kontinuumsmechanischen Ansatz sehr genau vorhersagen. Hierfür löst man die sogenannten Reynoldsgleichung für den Schmierstoff, die Osborne Reynolds 1886 ableitete.

Außerdem berechnet man die Wärmeleitgleichung für das Gesamtsystem und die linearelastischen Gleichungen für beide Oberflächen. Als Stoffdaten benötigt man lediglich E-Module und Poissonzahlen der Reibpartner, Wärmeleitfähigkeiten und -kapazitäten aller beteiligten Werkstoffe sowie akkurate Konstitutivgesetze – für die Dichte des Fluids und für dessen dynamische Viskosität für ein Parameterfeld bestehend aus Druck, Temperatur und lokale Scherrate im Fluid. Das ist Stand der Technik.

Wird das Tribosystem jedoch in der Grenzschmierung betrieben, also mit einem sehr dünnen Schmierfilm, bei dem die Asperitenkontakte, das heißt die Rauheitsspitzen, nur noch durch wenige Atomlagen des Schmierstoffs voneinander getrennt sind, wird in den Berechnungen für die „trockenen“ Kontaktstellen nur noch eine grob geschätzte Reibzahl verwendet. „Das ist sehr unbefriedigend, weil Berechnungen mit geratenen Materialparametern ungenau sind, zu suboptimalen Designs führen und die Unternehmen letztlich viel Geld kosten“, sagt Moseler.

Kerstin Falk und Michael Moseler wollten sich damit nicht zufriedengeben: Zusammen mit vier Partnerunternehmen des MikroTribologie Centrums µTC erforschten sie in einem dreijährigen Projekt ein eigenes mathematisches Gesetz für das Verhalten extrem dünner Schmierfilme und entwickelten die Reynoldsgleichung sozusagen weiter. „Wir wollten verstehen, wie sich Reibung in der Grenzschmierung verhält“, erläutert Moseler. Das Projekt sollte klären, unterhalb welcher Schmierfilmdicke die Kontinuumsmechanik versagt und wie man diese so erweitert, dass man einen Schmierfilm, der dünner als die Oberflächenrauheit ist, berechnen kann. Dazu wurde die Molekulardynamik eines Kohlenwasserstoffschmierstoffs in einer Asperitenkontaktgeometrie berechnet, zum Beispiel zwei Oberflächen aus diamantähnlichen Kohlenstoff (engl.: „diamond-like carbon“, DLC) geschmiert mit einem Polyalphaolefin-Grundöl (PAO). Die Ergebnisse der Molekulardynamik-Simulation wurden dann mit der Lösung der Reynoldsgleichung verglichen.

Das durchschlagende Ergebnis: Für Drücke zwischen den Reibpartnern unterhalb von 0,4 Gigapascal und Schmierspalthöhen größer als 5 Nanometer stimmt die Reynoldsbeschreibung gut mit den Molekulardynamik-Referenzrechnungen überein, vorausgesetzt man nutzt ein exaktes Konstitutivgesetz für die Viskosität des Schmierstoffs. Im Gegensatz dazu konnten Kerstin Falk und Michael Moseler zeigen, dass bei extremen Grenzreibungsbedingungen, also hohen Drücken von circa 1 Gigapascal und kleinen Schmierspalthöhen von circa 1 nm, die Haftung des Schmierstoffs an den Oberflächen vermindert wird und deshalb der Schlupf zwischen einem Reibpartner und dem Schmierstoff in die Berechnung einbezogen werden muss, um die Reibung korrekt vorherzusagen. Dazu wird ein nichtlineares Wandschlupfgesetz benötigt. Dieses setzt die Wandschlupfgeschwindigkeiten (das heißt, die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen einem Reibpartner und dem angrenzenden Schmierstoff) mit den lokalen Scherspannungen im Schmierfilm zueinander in Beziehung.

Durchbruch in der Tribologie: die Grenzreibung berechenbar machen

Mit diesen Forschungsergebnissen legen die Forschenden nun eine innovative Methode vor zur Vorhersage der Reibung unter Grenzschmierbedingungen. Eine zusätzliche Information, die für diese nicht-empirische prädiktive Kontinuumsmodellierung hochbelasteter tribologischer Kontakten benötigt wird, ist die atomare Struktur der reibenden Oberflächen. Diese wird mit tiefergehenden experimentellen Analysen bestimmt und ist Voraussetzung für das Wandschlupfgesetz.

Die neuen Erkenntnisse des Fraunhofer IWM kommen nun in Folgeprojekten zum Einsatz, um Reibwerte und Reibungsverhalten in konkreten Anwendungen – zum Beispiel in Getrieben oder Lagern – vorherzusagen und den Forschungspartnern beim Aufbau von Simulationskompetenz zu unterstützen. Diese können dann Prüfstands- und Bauteilsimulationen durchführen, Unsicherheiten bei der Auslegung von tribologischen Systemen reduzieren und Designparameter exakter bestimmen. Damit ist ein wichtiger Schritt zu einem wissensbasierten Schmierstoff-, Oberflächen- und Bauteildesign gemacht. Dies ist sowohl für Schmierstoffhersteller, Beschichter als auch für Lager- und Getriebehersteller äußerst interessant.

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