Wie Künstliche Intelligenz die Robotik transformiert „KI macht Cobots zu flexiblen Problemlösern“

Susanne Nördinger, Head of Ecosystem Success EMEA bei Universal Robots: „Echte KI beginnt, wo der Roboter seine Umgebung wahrnimmt und darauf reagiert.“

Bild: Universal Robots
03.06.2025

Im Interview mit A&D spricht Susanne Nördinger, Head of Ecosystem Success EMEA bei Universal Robots, über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Robotik. Sie erläutert, wie KI Cobots intelligenter und flexibler macht, neue Märkte erschließt und komplexe Aufgaben automatisiert – von der Objekterkennung bis zur Zusammenarbeit mit Menschen.

KI wird inzwischen sehr inflationär verwendet: Wo fängt KI bei Robotik wirklich an?

KI wird aus meiner Sicht in der Robotik vor allem in zwei Bereichen genutzt. Zum einen, um Prozesse automatisieren zu können, die in unstrukturierten Umgebungen stattfinden. Zum anderen beim Erstellen von Programm-Code. Hier gibt es KI-basierte Autocompletion Systeme, die beim Schreiben von Programmen unterstützen. KI zeigt sich also dort, wo der Cobot adaptiv, lernfähig und kontextsensitiv handelt – nicht nur regelbasiert. Das heißt: In der Robotik beginnt echte KI, wo der Roboter nicht mehr nur starr vorgegebene Abläufe ausführt, sondern seine Umgebung wahrnimmt, interpretiert und darauf reagiert. Er kann also über Sensoren erfassen, was um ihn herum passiert, daraus lernen oder Entscheidungen treffen – sei es bei der Objekterkennung, der Wegplanung oder in der Zusammenarbeit mit Menschen. KI bietet damit die Vielseitigkeit und Problemlösungskompetenz, die oft für komplexe Anwendungsfälle benötigt werden und die bisher außerhalb des Machbaren lagen. Klassische Einsatzgebiete sind hier zum Beispiel das Bin Picking von unsortierten Produkten aus Boxen heraus oder das Depalletieren von Paletten, auf denen verschieden große Boxen unsortiert gestapelt sind. Es gibt aber auch exotischere Einsatzgebiete. Unser UR+ Ecosystem-Partner – Konica Minolta – bietet zum Beispiel eine Sprachsteuerung für UR-Roboter an. Hier wird KI bei der Spracherkennung eingesetzt.

Welche konkreten KI-Funktionalitäten sind bei UR bereits verfügbar?

Es gibt verschiedene KI-Funktionen, die UR mit seinen Partnern umsetzt. Dank der nahtlosen Integration von Nivida Isaac Manipulator, PolyScope X und benutzerfreundlichen Toolsets können Entwickler jetzt ganz einfach physische KI nutzen, um innovative Roboteranwendungen zu entwickeln. Nehmen wir beispielsweise einen Logistikbetrieb, in dem Roboter durch ein Lager mit sich ständig wechselnden Layouts und Hindernissen navigieren. Oder eine Baustelle, auf der Roboter bei Montageaufgaben in unvorhersehbaren und wechselnden Umgebungen assistieren. Der AI Accelerator von Universal Robots (UR) hilft unseren Cobots, ihre Umgebung besser zu verstehen, optimale Pfade zu planen und Aufgaben in bisher unübersichtlichen Räumen sicher und effizient auszuführen. Zwei konkrete Beispiele aus der Praxis: In der Logistik hat Universal Robots in Zusammenarbeit mit Siemens und Zivid eine Lösung entwickelt, die einen Cobot beinhaltet, der die Kommissionierung auf der Grundlage der KI-Software Simatic Robot Pick AI von Siemens und der Bildverarbeitungstechnologie von Zivid völlig autonom durchführt. Im Vergleich zu manuellen Prozessen erhöht dies die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Auftragserfüllung in Lagern erheblich und hilft Logistikzentren, die steigende globale Nachfrage zu befriedigen. Gleichzeitig können sie damit dem wachsenden Arbeitskräftemangel besser begegnen. Ebenfalls in der Logistik kann KI jetzt Unternehmen unterstützen, deren Mitarbeitende bislang Kleinladungsträger (KLT) manuell handeln mussten – ein zeitaufwändiger und anstrengender Prozess, der auf Dauer ermüdend ist und dadurch zu Fehlplatzierungen und ungenauen Beständen führt. Hier kann eine neue, KI-basierte Lösung für automatisiertes Kleinladungsträger-Handling bei AutoStore-Systemen Abhilfe schaffen. Sie kombiniert das auf KI basierende robobrain mit robobrain.eye von robominds mit einem Cobot von UR sowie einem fortschrittlichen Greifer. Der Roboter erkennt dank der Wahrnehmungsalgorithmen, Sensoren und Kameras flexibel die Ladungsträger - unabhängig von deren Position und Inhalt – und kann diese präzise ein- und auslagern. Kombiniert mit einer mobilen Plattform (AGV), kann der Cobot die KLT auch effizient und dynamisch in wechselnden Umgebungen zu ihrem nächsten Ziel transportieren.

Was genau verstehen Sie unter „Physical AI“ bei Universal Robots – wie differenziert sich dieses Konzept?

Physical AI bezeichnet die Verbindung von Künstlicher Intelligenz mit physischen Systemen – also Maschinen oder Robotern, die in der realen Welt handeln. Es geht darum, dass KI nicht nur in der Cloud oder auf dem Bildschirm existiert, sondern aktiv mit der Umwelt interagiert. In der Robotik bedeutet das: Ein intelligenter Algorithmus steuert gezielt die Bewegung, das Greifen, die Kraftdosierung oder die Reaktion auf den Menschen. Physical AI ist die Schnittstelle zwischen Denken und Handeln – sie bringt KI aus der Theorie in die Praxis und verleiht Robotern sozusagen Körper und Verhalten.

Ist KI für Sie ein Wachstumstreiber und Enabler für Cobots, weil sich so komplexe Aufgaben sehr smart und einfach automatisieren lassen? Eröffnet das neue Zielmärkte?

Ja, Künstliche Intelligenz ist ein klarer Wachstumstreiber für die kollaborative Robotik. Sie ermöglicht es, komplexe Prozesse deutlich einfacher zu automatisieren – oft ohne spezielles Fachwissen oder aufwändige Programmierung. Künstliche Intelligenz erkennt nicht nur, welche Objekte sich in einer Box befinden, sondern entscheidet auch, welches zuerst gegriffen werden sollte – und wie der Roboter dieses Objekt am effizientesten erreicht. Unterstützt durch Kameras kann die KI Objekte präzise identifizieren und anschließend die optimale Greifstrategie wählen. Gerade in unstrukturierten Umgebungen eröffnet KI neue Möglichkeiten: Sie vereinfacht den Einsatz von Robotern erheblich und macht Anwendungen automatisierbar, die bisher als zu komplex galten. So lassen sich mit Cobots heute deutlich mehr Prozesse flexibel und effizient automatisieren als je zuvor. Der AI Accelerator von UR kann zudem einen echten Wandel bewirken. Das zeigt, dass gerade durch KI Cobots intelligenter, flexibler und für eine breitere Nutzergruppe zugänglich werden. Das schafft neue Einsatzmöglichkeiten, etwa in Branchen, die bisher wenig automatisiert waren. KI senkt also nicht nur technische Hürden, sondern öffnet auch wirtschaftlich neue Türen und ermöglicht die Ausweitung der kollaborativen Robotik auf neue Branchen außerhalb der klassischen Fertigung - z. B. Logistik, Dienstleistung, Bauwesen, Pharma/Life Science. Eröffnet das neue Zielmärkte? Ja, die Logistik ist hier ein gutes Beispiel. Beim Kommissionieren von Produkten in großen eCommerce Lagerhallen funktioniert es nicht ohne KI. Tolle Beispiele mit KI und UR-Robotern sind unsere Kollaborationen mit Ecosystem Partnern wie Okado, Siemens und Sick.

Gerade in der Programmierung hilft Generative AI. Wie wirkt sich das auf die Roboterprogrammierung bei PolyScope X aus?

Generative AI verändert die Art und Weise, wie Roboter programmiert werden, grundlegend – auch bei PolyScope X. Statt komplexe Befehle manuell einzugeben, können Anwender jetzt natürliche Sprache verwenden, um Aufgaben zu definieren. Die KI übersetzt diese in lauffähige Programme oder schlägt passende Workflows vor. Das senkt die Einstiegshürde enorm, beschleunigt die Inbetriebnahme und macht es auch kleinen Unternehmen möglich, Roboterlösungen selbstständig zu konfigurieren. PolyScope X wird damit zum intuitiven Interface für eine neue Generation von Automatisierung – offen, intelligent und effizient.

Welche Komponenten umfasst der UR AI Accelerator – und wie werden diese integriert?

Der AI Accelerator erweitert die UR-Plattform mit integrierten Demoprogrammen, die es ermöglichen, Funktionen wie Positionsbestimmung, Tracking, Objekterkennung, Pfadplanung, Bildklassifizierung, Qualitätsprüfung, Zustandserkennung und vieles mehr umzusetzen. Unterstützt von PolyScope X bietet der UR AI Accelerator Entwicklern die Freiheit, die gewünschten Toolsets, Programmiersprachen und Bibliotheken auszuwählen sowie die Flexibilität, eigene Programme zu erstellen. Die PolyScope X-Plattform ist weltweit verfügbar und kann für alle Cobot-Automatisierungsanwendungen in verschiedenen Branchen eingesetzt werden. Der UR AI Accelerator ist für Applikationen in der Industrie und Forschung konzipiert. Er bietet Entwicklern eine erweiterbare Plattform, um Applikationen zu bauen, Forschung zu beschleunigen und die Markteinführungszeit von KI-Produkten zu verkürzen. Das Toolkit beschleunigt die Integration von KI in die neueste Generation der Software-Plattform PolyScope X von UR und wird durch die Nvidia Isaac-beschleunigten Bibliotheken und KI-Modelle unterstützt, die auf dem Nvidia Jetson AGX Orin System-on-Module laufen. Der Nvidia Isaac Manipulator ermöglicht es Entwicklern insbesondere, ihre Robotiklösungen mit erhöhter Leistung und modernsten KI-Technologien auszustatten. Zudem enthält das Toolkit die hochwertige, neu entwickelte Orbbec Gemini 335Lg 3D-Kamera. Dank der nahtlosen Integration bietet das Toolkit Entwicklern eine vollständige Go-to-Market-Architektur und ist sofort einsatzbereit. Dazu ist sie auch für bestehende UR-Cobots nachrüstbar. Mit einem Hardware-Upgrade ist die Software mit den Cobots der e-Serie von UR sowie den Cobots der neuen Generation UR20 und UR30 kompatibel.

Welche Bedeutung hat das UR+ Ökosystem im Kontext KI? Gibt es Partner, die KI-basierte Vision-Lösungen, Greifsysteme etc. beisteuern?

Das führende Ökosystem von UR und damit verbunden die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit ist ein wichtiger Treiber beim Thema Innovation. Daher spielt das UR+ Ökosystem eine zentrale Rolle, wenn es um die Integration von KI in die Praxis geht. Es verbindet die Offenheit der Plattform von Universal Robots mit der Innovationskraft spezialisierter Partner – darunter viele, die KI-basierte Technologien einbringen. Dazu zählen etwa Vision-Systeme mit KI-gestützter Objekterkennung, lernfähige Greifsysteme oder Softwarelösungen, die mithilfe von Machine Learning Prozesse optimieren. Diese enge Verzahnung erlaubt es, komplexe KI-Anwendungen „out of the box“ in bestehende Cobot-Lösungen zu integrieren – ohne hohen Integrationsaufwand. Das UR+ Ökosystem wirkt damit wie ein Innovationskatalysator: Es beschleunigt die Marktreife neuer KI-Lösungen und macht sie für unterschiedlichste Anwender direkt nutzbar. Gerade im Zusammenspiel mit KI zeigt sich, wie wertvoll ein offenes, geprüftes Partnernetzwerk für die Skalierung smarter Automatisierung ist. Das UR+ Ökosystem zeigt sehr klar: KI ist nicht nur ein Trend, sondern bereits gelebte Praxis – eingebettet in ein Netzwerk aus Spezialisten, die gemeinsam dafür sorgen, dass smarte Automatisierung immer zugänglicher wird. Zwei Beispiele: MIRAI – KI-Vision für flexible Robotik. Die Vision-Software MIRAI von Micropsi Industries verleiht Industrierobotern die Fähigkeit, sich in Echtzeit an unvorhersehbare Produktionsbedingungen anzupassen. Ob wechselnde Positionen, Formen, Lichtverhältnisse oder glänzende Oberflächen – MIRAI meistert komplexe Szenarien ohne den Einsatz von CAD-Daten oder aufwändiger Lichttechnik. Im Gegensatz zu klassischen Automatisierungslösungen wird der Roboter nicht programmiert, sondern durch menschliche Demonstration trainiert. Die Kombination aus Edge-Gerät, Cloud-basiertem Machine Learning und Trainings-App ermöglicht eine einfache Integration in bestehende Produktionslinien. MIRAI-betriebene Roboter finden Einsatz in Montage, Lecksuche oder End-of-Line-Tests und liefern konsistente Ergebnisse – selbst unter erschwerten Bedingungen. Unterstützt wird der gesamte Prozess von den Automatisierungsexperten von Micropsi Industries. Unternehmen, die auf MIRAI setzen, profitieren von höherer Produktivität, verbesserter Qualität und flexiblerer Fertigung. Das zweite Beispiel ist Inbrain: Die KI-basierte Lösung Inbrain von Inbolt ist speziell darauf ausgelegt, Roboter in dynamischen Umgebungen intelligenter und flexibler zu machen. Das System nutzt künstliche Intelligenz, um große Mengen an 3D-Daten mit hoher Geschwindigkeit zu verarbeiten. Dadurch kann es in Echtzeit die genaue Position und Orientierung von Werkstücken erkennen – selbst wenn sich diese bewegen oder in ihrer Lage variieren. Basierend auf diesen Informationen passt Inbrain die Bewegungsbahn des Roboters unmittelbar an. Diese Fähigkeit macht die Technologie besonders geeignet für komplexe Anwendungen wie Montage, Materialhandhabung, Oberflächenbearbeitung oder Qualitätstests, bei denen Präzision und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind. Inbrain ermöglicht damit eine höhere Prozesssicherheit und Effizienz in der Fertigung, selbst unter variablen Bedingungen.

Wie koordiniert UR die Zusammenarbeit in der Community, um KI-Lösungen der Partner in die industrielle Praxis zu überführen?

Unsere Software-Plattform Polyscope bietet zahlreiche offene Schnittstellen, über die Ecosystem-Partner eigene Produkte entwickeln und nahtlos in unser Roboter-Betriebssystem integrieren können – selbstverständlich auch KI-basierte Anwendungen. Mit unserer neuesten Plattform Polyscope X schaffen wir darüber hinaus einen noch direkteren Zugang zu KI-Funktionalitäten. Ein zentrales Element ist dabei der AI Accelerator, der den schnellen Einstieg in KI-gestützte Robotik ermöglicht. Polyscope X enthält sogenannte Smart Skills – vorgefertigte, intelligente Module, die als Werkzeuge für spezifische Anwendungen dienen. Ein Beispiel dafür ist unser Partner AICA aus der Schweiz. AICA hat eigene, KI-gestützte Smart Skills auf Basis des Prinzips „Learning by Demonstration“ entwickelt: Ein Mensch führt dem Roboter eine Bewegung vor, indem er ihn manuell durch den gewünschten Ablauf leitet. Anschließend generiert der Machine-Learning-Algorithmus ein Bewegungsmodell, optimiert den Pfad und speichert die erlernte Sequenz automatisch in einer lokalen Datenbank. Dadurch ist der Roboter in der Lage, sich an veränderte Umgebungen anzupassen und den Pfad flexibel neu zu berechnen – ganz ohne manuelle Nachjustierung. Für Entwicklerinnen und Entwickler bieten wir zusätzlich umfangreiche Austausch- und Support-Möglichkeiten: Auf unserer Website finden sich das UR Forum sowie ein aktiver Discord-Server, auf dem täglich Fragen gestellt, Ideen geteilt und Lösungen gemeinsam entwickelt werden – mit Unterstützung unserer eigenen Mitarbeitenden. Unternehmen, die KI-basierte Lösungen über unser Ecosystem auf den Markt bringen möchten, erhalten von uns umfassende Unterstützung – sowohl bei technischen als auch bei kommerziellen Fragestellungen.

Welche Art von Schulungen und Support bietet Universal Robots seinen Kunden bei der Implementierung von KI-basierten Robotiklösungen?

Grundsätzlich spielen KI-Lösungen auf jedem unserer Events oder der unserer Partner eine Rolle. Wir zeigen auf den Messen Logimat und Automatica die aktuellen KI-basierten Robotiklösungen.

Zeigt KI bei Ihren Cobots gerade auch in Zusammenarbeit den AMRs von MiR das volle Potenzial?

Die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit sind vielfältig. MIR Pallet Jack setzt bereits selbst auf Künstliche Intelligenz. Auf der LogiMAT präsentierten wir eine Anwendung, in der der Pallet Jack autonom eine Palette aus dem Lager abholt und sie zu einem UR20-Roboter transportiert. Dieser übernimmt das Entstapeln mithilfe eines KI- und kamerabasierten Systems – selbst bei variierenden Palettenmustern.

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