Quelloffene Tools als Schlüssel zur Souveränität Kann Deutschland führender Standort für Mikroelektronik werden?

Quelloffene Tools im Chipdesign können ein Schlüssel für technologische Durchbrüche der Zukunft sein.

Bild: iStock, da-kuk
13.05.2025

Die neue Bundesregierung möchte den Standort Deutschland im Bereich der Mikroelektronik-Produktion ausbauen. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften sieht besondere Chancen in quelloffenen Instrumenten des Chipdesigns: eine Projektgruppe erarbeitete eine differenzierte Analyse der Potenziale und aktuellen Grenzen und zeigt, warum Deutschland und Europa stärker auf frei zugängliche statt proprietäre Designinstrumente setzen sollten.

Aktuelle Chipdesigns bestehen aus über 100 Milliarden miteinander verschalteter Transistoren. Für deren Gestaltung kommt hochspezialisierte Software zum Einsatz, sogenannte Entwurfsautomatisierungswerkzeuge. Wenige Anbieter dominieren den Markt dieser spezialisierten Programme mit entsprechend hohen Lizenzkosten, aber auch strikten Nutzungs- und Geheimhaltungsvorgaben. Diese Konzentration erschwert die Entwicklung hochspezialisierter Chips, den Markteintritt neuer Akteure und die Entwicklung neuer Ansätze aus der Wissenschaft – und bremst deshalb auch das Innovationstempo im Chipdesign.

In der von einer unabhängigen Projektgruppe aus Wirtschaft und Wissenschaft erarbeiteten differenzierten Analyse der Potenziale und aktuellen Grenzen quelloffener Designinstrumente wird deutlich, warum Deutschland und Europa stärker auf frei zugängliche, quelloffene statt proprietäre Designinstrumente setzen sollten: Diese Alternative verspricht eine Minderung kritischer Abhängigkeiten im Chipbereich, einen Zugewinn an digitaler Souveränität und mehr Innovation im Halbleiterbereich.

Mikroelektronik als Basis für fortschrittliche Gesellschaften

Der Acatech-Impuls attestiert quelloffenen Designinstrumenten insbesondere für Spezialanwendungen und Zukunftstechnologien wie photonisches Computing, Quantencomputing oder Advanced Packaging großes Potenzial. Aber auch für die Versorgungssicherheit mit Chips für etablierte Branchen und den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit Europas können quelloffene Designinstrumente perspektivisch einen wichtigen Beitrag leisten.

„Quelloffene Tools im Chipdesign können ein Schlüssel für technologische Durchbrüche der Zukunft sein“, erklärt Robert Weigel, Acatech-Mitglied und einer der beiden Projektleiter des Impulses. „Natürlich sind Lizenzkosten proprietärer Systeme für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Start-ups herausfordernd. Aber noch mehr sind es deren Fokus auf bereits existente Technologien und die starren Vorgaben zur Nutzung. Quelloffene Tools können dieses unflexible Gefüge aufbrechen und so eine dynamische Basis für Innovationssprünge und damit für Europas wachsende Wettbewerbsfähigkeit in der Mikroelektronik schaffen.“

Löwenanteil der Wertschöpfung liegt im Designprozess

Im Jahr 2020 betrug Europas Umsatzanteil an der globalen Mikroelektronik rund acht Prozent. Zum Vergleich: Die USA kamen auf 46 Prozent, Südkorea auf 19 Prozent. Gleichzeitig verlagert sich der Fokus der Wertschöpfung zunehmend von der Halbleiterproduktion auf den Designprozess. Bis vor kurzem war eine komplett quelloffene Prozesskette in der Halbleiterentwicklung nicht realistisch abbildbar. Mit den erreichten Fortschritten ist nun ein zunehmender Lückenschluss der bisher fragmentierten Entwurfsketten möglich. Warum der Designprozess auch von ökonomischem Interesse ist, führt der Acatech-Impuls vor Augen. Die Vorstufe der Halbleiterproduktion macht einen Großteil der Halbleiter-Wertschöpfungskette aus: Rund 65 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten und 53 Prozent der Wertschöpfung werden im Designprozess geleistet.

„Quelloffene Design-Tools sind bereits heute eine Ergänzung zu proprietären Lösungen. Trotz noch bestehender Einschränkungen bei Schnittstellen oder Funktionalität können sie insbesondere für die Zukunft des Forschungsstandorts, aber auch für Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen eine wichtige Rolle spielen. Für den Nachwuchs fördern sie einen frühen Zugang zur Mikroelektronik und ermöglichen Studierenden, sich durch die Entwicklung eigener Chips gezielt Fachkompetenzen aufzubauen. Das sichert nicht nur neue Talente, sondern kann durch Ausgründungen aus der universitären Forschung auch den Aufbau eines Chipdesign-Ökosystems unterstützen – und damit zur weiteren Etablierung und Entwicklung quelloffener Designinstrumente beitragen“, so Wolfgang Nebel, Acatech-Mitglied und Co-Projektleiter.

Und Acatech-Präsident Jan Wörner ergänzt: „Das geopolitische Gefüge befindet sich in einem dynamischen Wandel, der Risiken durch kritische Abhängigkeiten erhöht. Um in dieser Dynamik unsere technologische Souveränität zu sichern und auszubauen, brauchen wir neue Ansätze. Nur in einem zugänglichen Umfeld kann die Innovationsdynamik entstehen, die wir für Sicherheit, Resilienz und Wohlstand Europas brauchen. Unsere DI-QDISC-Arbeitsgruppe hat hier Pionierarbeit geleistet, indem sie das Potenzial von Open Source im Bereich der Chip-Designinstrumente aufzeigt.“

Übergreifende Halbleiterstrategie für den Ausbau quelloffener Designinstrumente

Chancen und Herausforderungen liegen auch im Chipdesign nah beieinander: So ermöglichen es quelloffene Designtools einerseits, die Chipdesigns für die Anwendungen zu modifizieren und somit auf Funktion und Marktdifferenzierung anzupassen. Andererseits scheuen laut Acatech-Impuls noch viele Unternehmen den Schritt in die Open-Source-Welt.

Um die Entwicklung quelloffener Designinstrumente perspektivisch voranzubringen, gibt der Impuls einen Überblick zu den Handlungsoptionen – beispielsweise den Aufbau von Plattformen, die Akteure miteinander vernetzen und so die Integration der quelloffenen Werkzeuge in industrielle Entwicklungsprozesse voranbringen. Grundlage dafür und für alle weiteren Optionen: Eine übergreifende Halbleiterstrategie, die die einzelnen Fördermaßnahmen evaluiert und bei Bedarf an die veränderten Rahmenbedingungen anpasst.

Lesen Sie zum Thema auch: Mehr Chips aus Europa? Warum die Realität hinterherhinkt

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel