Virtuelle Pumpstation Digitaler Zwilling soll Abwassersysteme in Großstädten optimieren

Die Forschungspumpstation an der TU Berlin: In Verbindung mit einem digitalen Zwilling werden hier digitale Möglichkeiten für Abwassersysteme erprobt.

Bild: Siemens
28.07.2020

Die Urbanisierung und der Klimawandel belasten die natürlichen Wasservorkommen zunehmend. Gerade in Megastädten ließen sich durch eine optimierte Infrastruktur viele Ressourcen einsparen. Der digitale Zwilling einer Berliner Pumpstation soll Abwassersysteme nun besser verständlich und beherrschbar machen.

Zuverlässig mit sauberem Frischwasser versorgt zu werden, ist für viele Menschen selbstverständlich. Doch das intelligente Management und die sichere Behandlung von Wasser und Abwasser sind ingenieurtechnische Höchstleistungen. Um gerade in großen Städten die entsprechenden Infrastrukturen effizienter zu gestalten, entwickeln Forscher der TU Berlin derzeit zusammen mit Siemens und den Berliner Wasserbetrieben den digitalen Zwilling einer Pumpstation. Mit seiner Hilfe soll es künftig möglich sein, Probleme im Abwassersystem virtuell zu detektieren sowie dieses mit intelligenter Technik vorausschauend zu betreiben und funktionsfähig zu halten.

„Der digitale Zwilling ist ein echter Meilenstein auf dem Weg zu Wasser 4.0“, sagt Prof. Paul Uwe Thamsen, der das Fachgebiet Fluidsystemdynamik am Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik der TU Berlin leitet. In seiner Laborhalle auf dem Campus der Universität steht die riesige Versuchsanlage einer Pumpstation, an der sein Team aktuell in verschiedenen Projekten digitale Möglichkeiten in Betrieb und Wartung, Datenanalysen und Vernetzung solcher Infrastrukturen untersucht. Die Ergebnisse sollen sich hinterher auf beliebige Abwassernetzstrukturen unterschiedlicher Städte anwenden lassen.

Hitze und Starkregen belasten das Kanalsystem

Die Urbanisierung ist in Berlin deutlich zu spüren: Laut Thamsen ist die Stadt in den vergangenen 20 Jahren um 300.000 Einwohner gewachsen. „Lange Trocken- und Hitzeperioden nehmen zu, ebenso Starkregenereignisse“, berichtet der Wissenschaftler. „Das macht insbesondere unseren Abwassersystemen sehr zu schaffen.“

Denn die Wetterereignisse bringen eine Reihe von Folgen mit sich: Geruchsbelastungen aus dem Abwassernetz, korrodierte Einbauteile, überlastete Kanäle durch Starkregenfälle. Letzteres führt dazu, dass die Mischwasserkanäle mit Oberflächen- und Abwässern überlaufen und belastetes Abwasser freisetzen.

Damit Berlin nicht zur Kloake wird

Ein weiteres großes Problem im städtischen Abwassersystem sind die sogenannten Verzopfungen. Das sind meterlange, stinkende und schleimig-dicke Materialklumpen, die sich regelmäßig tief unter der Erde im Abwasserstrom ineinander verdrehen und schließlich die riesigen Abwasserpumpen blockieren. Mitarbeiter der Berliner Wasserbetriebe müssen diese dann von Hand aus der Pumpstation zerren, damit die Straßen der Hauptstadt nicht zur Kloake werden.

Hauptverursacher der Verzopfungen sind feuchte Baby- oder Hygienetücher, die in der Toilette entsorgt werden; denn sie lösen sich im Abwasser nicht auf. „Mit dem digitalen Zwilling kann man die Gefahr solcher Verzopfungen frühzeitig erkennen und die Pumpen rückwärts laufen lassen, um sie zu reinigen“, sagt Thamsen. „Alles in allem hilft uns die Digitalisierung, unsere Infrastrukturen optimal zu verstehen und zu nutzen.“

Besser mit Niederschlag umgehen

Als Forschungspartner hat Siemens rund 500.000 Euro investiert, um die Pumpenversuchsanlage der TU-Forscher mit Technologie auszustatten, die die Anlage nun Schritt für Schritt um einen digitalen Anlagenzwilling erweitert. Am Ende sollen dann alle Informationen des Versuchsstandes in einer digitalen Umgebung vorliegen: von Planungsunterlagen über technische Daten, Einstellparameter, Betriebs- und Wartungsinformationen bis hin zur Fehlerdiagnose mit selbstständiger Reaktion zur Fehlerbehebung.

Für die Berliner Wasserbetriebe, den zweiten Forschungspartner, ist ein weiterer Aspekt besonders interessant, den der digitale Anlagenzwilling verspricht: „Durch die intelligente Vernetzung von vorhandenen Wasser- und Abwasser-Rückhalteeinrichtungen und die vorausschauende Betriebsweise von Abwasser-Pumpstationen werden Niederschlagsereignisse besser beherrschbar und energetische Einsparungen gegenüber dem regulären Betrieb möglich“, erklärt Thamsen. Das könne auch den Bau neuer Anlagen ersparen, der oft mit Millionen-Investitionen verbunden sei. „Die Digitalisierung des Systems unterstützt also eine effiziente und ökonomische Wasserwirtschaft.“

Bildergalerie

  • Paul Uwe Thamsen (rechts), Leiter des TU-Fachgebiets Fluidsystemdynamik, im Gespräch mit Markus Lade, der bei Siemens das globale Geschäft Wasser- und Abwasserbranche leitet.

    Paul Uwe Thamsen (rechts), Leiter des TU-Fachgebiets Fluidsystemdynamik, im Gespräch mit Markus Lade, der bei Siemens das globale Geschäft Wasser- und Abwasserbranche leitet.

    Bild: Siemens

  • Digitales Anlagenbild in 3D: Der Versuchsstand wurde anhand von 1.100 Einzelbildern digitalisiert.

    Digitales Anlagenbild in 3D: Der Versuchsstand wurde anhand von 1.100 Einzelbildern digitalisiert.

    Bild: Siemens

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