Qualitätssicherung in der additiven Fertigung 3D-Druck industrietauglich machen

Dr. Simina Fulga-Beising mit einem 3D-gedruckten pneumatischen Auslenk-System zum Entgraten.

Bild: Fraunhofer IPA
15.06.2018

Im industriellen Bereich hat der 3D-Druck ein großes Manko. Denn bislang hat es an wirksamen Qualitätskontrollen für die gefertigten Bauteile gefehlt. Aus diesem Grund entwickelte Simina Fulga-Beising im Rahmen ihrer Dissertation ein Inline-Kontrollsystem, das auf maschinelles Sehen setzt und sich maschinenunabhängig anbringen lässt. Damit lassen sich Fehler an den Bauteilen schon während des Druckprozesses erkennen.

Auf Simina Fulga-Beisings aufgeräumtem Schreibtisch stehen weiße Kunststoffteile, darunter ein Prothesenfuß, ein pneumatisches Auslenk-System zum Entgraten und ein Greifer für einen Roboterarm. Sie wurden alle mit 3D-Druck hergestellt, genauer gesagt mit Lasersintern. „Solche Bauteile sind die Hoffnungsträger für Industrie 4.0. Sie vereinen Funktionalität, Flexibilität, Komplexität und Individualität“, erklärt die Wissenschaftlerin. Die gebürtige Rumänin, die an der Transilvania University of Brașov studiert hat, arbeitet seit 2003 in der Abteilung Bild- und Signalverarbeitung des Fraunhofer IPA in Stuttgart.

Losgröße 1 realisierbar

Additive Fertigung ist für die vierte industrielle Revolution deshalb so wichtig, weil es der einzige Produktionsprozess ist, der heute schon vollständig digital gesteuert wird. „Du gibst die Daten des CAD-Modells ein und das System produziert“, schwärmt Fulga-Beising. Losgröße 1, das große Ziel von Industrie 4.0, lässt sich damit realisieren. Außerdem lassen sich individualisierte Werkstücke mit komplexen Geometrien und integrierten Funktionalitäten fertigen. „Du kannst zum Beispiel Prothesen oder Orthesen bauen, die genau zum Körper des Trägers passen“, fügt sie hinzu und deutet auf die Sammlung auf ihrem Schreibtisch.

Für ihre Dissertation hat Fulga-Beising viele Videos aufgenommen, die zeigen, wie 3D-gedruckte Bauteile hergestellt werden. Eines davon, das den Druck eines Kalibrierbauteils zeigt, spielt sie auf ihrem Rechner ab. Man sieht, wie im dunklen Innenraum des Druckers ein Wischer weißes Pulver auf einer Plattform hin und her schiebt. Nachdem er ein paar Mal durchs Bild gefahren ist, sieht die Fläche aus wie eine frische Schneelandschaft. „Das ist das Kunststoffpulver, aus dem das Bauteil aufgebaut wird“, erläutert Fulga-Beising. Jetzt sieht man, wie sich eine graue Kontur im Pulverbett abzeichnet.

Verantwortlich dafür ist ein Laser, der von oben die Geometrie des Bauteils herausschmilzt. Am Ende verteilt der Wischer erneut Pulver über die gerade gesinterte Bauteilschicht. „Dieser Prozess wird jetzt zirka vier Stunden lang wiederholt“, sagt Fulga-Beising und stoppt die Aufnahme. Der Drucker baut die Werkstücke schichtweise auf. Am Ende nimmt man das fertige Bauteil aus dem Pulverbett heraus.

Fehlende Qualitätssicherung

Bislang hat die Additive Fertigung aber noch einen Haken: „Für die gesamte Qualitätssicherung gibt es noch keine fest etablierten Normen“, kritisiert Fulga-Beising. Qualität und Reproduzierbarkeit lassen sich deshalb nicht garantieren. Gerade bei Bauteilen für die Medizintechnik sind solche Vorgaben aber extrem wichtig. Hinzu kommt, dass fehlende Qualitätskontrollen während des Drucks hohe Kosten für das Unternehmen verursachen. „Der Drucker arbeitet völlig autark. Im schlimmsten Fall bemerkt man den Fehler erst, wenn das Bauteil fertig ist. Da ist die Maschine aber schon viele Stunden gelaufen und es wurde viel Material und Energie verschwendet“, bemängelt die Expertin. Den Vorgang von einem Techniker überwachen zu lassen, wäre durch die hohe Maschinenlaufzeit viel zu teuer.

Bildverarbeitung ist heute ein gängiges Verfahren, um die Qualität von Produkten sicherzustellen. Fulga-Beising hat sich in ihrer wissenschaftlichen Laufbahn schon früh dafür interessiert. „Es ist faszinierend, weil man einer Maschine das Sehvermögen beziehungsweise die visuelle Wahrnehmung beibringt und im Gegensatz zu anderen IT-Themen immer sieht, was man macht“, sagt sie. Vor einigen Jahren hat sie gemeinsam mit ihrem damaligen Kollegen Ralf Becker aus der IPA-Abteilung Generative Fertigung ein Vorlaufforschungsprojekt zur Qualitätskontrolle im 3D-Druck geleitet. Becker, der heute Leiter der Forschungsabteilung bei Schunk ist, hat sie zur Promotion auf diesem Gebiet ermutigt. Gemeinsam sei die Idee entstanden, ein Qualitätskontrollsystem zu entwickeln, das die Qualität inline, also schon während des Druckvorgangs, prüft und protokolliert. Entsteht ein Fehler, soll der Prozess sofort gestoppt werden.

Den Prototyp für ihr Inline-Qualitätskontrollsystem hat Fulga-Beising mit anpassbarer, prozessintegrierter Sensormesstechnik im Jahr 2016 im Rahmen des Applikationszentrums Industrie 4.0 realisiert. Die Anwendung, die sie IQ4AP nennt, basiert auf einer Blackbox, die eine Kamera, Beleuchtung und Belüftung enthält. Die Box lässt sich außen am Drucker anbringen.

Maschinelles Sehen

Bei ihrem System hat Fulga-Beising auf Technologien des maschinellen Sehens gesetzt. Ein Kamerasystem scannt die frisch aufgetragenen Pulverschichten und die gesinterten Schichten direkt im Prozess. Anschließend werden die Bilder mit mehreren Algorithmen geprüft. „Grobe und feine Defekte werden sofort erkannt. Sogar die Merkmale der gesinterten Schicht, wie zum Beispiel Längen oder Lochdurchmesser, können inline gemessen werden. Man erhält damit ein Bauteilqualitätsprotokoll auf Schichtebene“, erklärt die Wissenschaftlerin. Der Maschinenbetreuer wird vom Qualitätskontrollsystem automatisch benachrichtigt, etwa per SMS oder E-Mail, und kann entscheiden, was zu tun ist. Auch Toleranzen, zum Beispiel der maximale Abstand von Löchern, lassen sich festlegen. Der Prozess ist jetzt validierbar. „Mit industrieller Computertomographie konnten wir die Ergebnisse des Inline-Qualitätskontrollsystems bestätigen“, freut sich Fulga-Beising.

Die Hardware des Inline-Qualitätskontrollsystems kostet Anwender gerade einmal 2500 Euro. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass es maschinenunabhängig ist und man es an jeden beliebigen 3D-Drucker andocken kann. „Es ist keine Kühlung notwendig, um die Hardwarekomponenten gegen die hohen Temperaturen im Druckbereich zu schützen. Das System hat somit ein ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis und ist sofort einsetzbar – ohne zeit- und kostenaufwendige Maschinenzertifizierungen“, erklärt die Forscherin. Theoretisch lässt sich das Modul auch für die Qualitätskontrolle im Metallbereich adaptieren. Ein entsprechendes Soft- und Hardwarekonzept hat Fulga-Beising in ihrer Dissertation entwickelt. Außerdem ist IQ4AP modular aufgebaut und lässt sich damit beliebig erweitern. Jetzt sucht das IPA nach Partnern, die das System testen und in gemeinsamen Projekten bedarfsgerecht erweitern wollen.

Selbststeuernde Produktion

Fulga-Beisings Dissertation wurde Ende 2016 mit der Note „sehr gut“ anerkannt. Die Arbeit am Inline-Qualitätskontrollsystem ist für die Forscherin aber noch lange nicht abgeschlossen. „Im nächsten Schritt soll das System durch maschinelles Lernen selbst beurteilen, was der Fehler für den Druckprozess bedeutet“, erklärt Fulga. Dazu gehört, nicht nur zu entscheiden, ob er gestoppt werden soll, sondern auch Rückschlüsse zu ziehen und das Verfahren zu optimieren. „Auf dem Weg zur selbststeuernden Produktion ist das ein wichtiger Schritt“, meint die Wissenschaftlerin.

Dieser Artikel ist Teil des Fokusthemas „Additive Fertigung & 3D-Druck" aus der A&D-Ausgabe 6-2018.

Bildergalerie

  • Der Prototyp des Inline-Qualitätskontrollsystems ist Teil eines Lasersinter-Demonstrators im Fraunhofer IPA.

    Der Prototyp des Inline-Qualitätskontrollsystems ist Teil eines Lasersinter-Demonstrators im Fraunhofer IPA.

    Bild: Fraunhofer IPA

  • Das Inline-Qualitätskontrollsystem lässt sich einfach und flexibel außen an einem 3D-Drucker anbringen.

    Das Inline-Qualitätskontrollsystem lässt sich einfach und flexibel außen an einem 3D-Drucker anbringen.

    Bild: Fraunhofer IPA

  • Der 3D-gedruckte Greifer liegt noch im Pulverbett innerhalb des Druckers.

    Der 3D-gedruckte Greifer liegt noch im Pulverbett innerhalb des Druckers.

    Bild: Fraunhofer IPA

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