Agile Integration im IIoT Das kann die Industrie von der modernen Software-Entwicklung lernen

Das methodische Vorgehensmodell bedient sich wesentlicher Elemente der agilen Software-Entwicklung.

Bild: iStock, sdecoret
20.04.2021

Warum scheitern Digitalisierungsprojekte so oft? Weil sich Unternehmen immer wieder in blindem Aktionismus verzetteln und die Digitalisierungsprojekte daher eher einem Flickenteppich gleichen als einer konsistenten Strategie. Ein methodisches Vorgehensmodell, das sich wesentlicher Elemente der agilen Software-Entwicklung bedient, kann die Erfolgsquote erhöhen.

Ausgehend von zahlreichen Integrations- und Digitalisierungsprojekten hat das Dresdner IT-Unternehmen SQL Projekt ein methodisches Vorgehensmodell entwickelt, das sich wesentlicher Elemente der agilen Software-Entwicklung bedient. Damit konnte die Erfolgsquote bei der Durchführung von Projekten beliebiger Komplexität deutlich erhöht und die Kundenbindung intensiviert werden.

Der vorliegende Beitrag deckt typische Hürden der Digitalisierung in der Industrie auf und stellt das Vorgehensmodell anhand einer Fallstudie ausführlich vor.

Es droht die Verzettelung

Viele Unternehmen kennen das Szenario: Sie möchten ihre Abläufe in der Produktion auf Basis neuartiger IIoT-Technologie digitalisieren und so beispielsweise Produktionsaufträge direkt aus dem ERP-System heraus hinunter zur Maschine senden und jederzeit den aktuellen Bearbeitungsstand im Dashboard Ihres ERP-Systems oder sogar im angeschlossenen Webshop ablesen können.

Sie recherchieren, sie informieren sich, sie finden viel versprechende technische Ansätze. Doch je mehr sich die IT-Verantwortlichen mit der Thematik befassen, desto mehr Ideen kommen auf den Tisch: das MES-System soll einbezogen werden, die Lagerverwaltung, warum nicht auch eine KI-Lösung und noch weitere IT-Systeme: es droht die Verzettelung.

Ohne Vision und Strategie wird der Weg zum Ziel

Mit Projektanfragen, die sich im Laufe des Akquiseprozesses in der oben beschriebenen Art aufblähen, hat SQL Projekt regelmäßig zu tun. Warum aber ist das so und wie gelingt es dem Dresdner Unternehmen, seinen Kunden einen Ausweg aus diesem Hamsterrad aufzuzeigen? Folgende drei wesentlichen Hürden einer erfolgreichen Umsetzung eines Digitalisierungsprojekts sind ausschlaggebend:

  • Technologie ist der Treiber: Wie im oben beschriebenen Szenario werden Unternehmen nie den Anfang finden und wenn doch, dann wird das Resultat ein großer, komplexer Erwachsenenspielplatz sein. Lösung: Den Kundennutzen in den Vordergrund stellen!

  • In den Fängen der eierlegenden Wollmilchsau: Zu viele Baustellen gleichzeitig zu öffnen, birgt die Gefahr, sich zu verzetteln. Der Abstimmungsbedarf steigt, die Wirksamkeit der verfügbaren Ressourcen wird verwässert, die Nutzeneffekte werden stark verzögert. Lösung: Mit einer gut kommunizierten Roadmap auf regelmäßige Nutzeninkremente fokussieren!

  • Ohne Vision und Strategie wird der Weg zum Ziel: Steht die Vorstandsebene nicht bedingungslos mit einer klaren Vision und Strategie hinter dem Digitalisierungsprojekt, dann werden aufgrund mangelndem Alignment viele Digitalisierungsinseln statt einem blühenden Festland entstehen. Lösung: Klare Strategie, die auf den Markt, das Unternehmen und die Mitarbeiter abgestimmt ist!

In der Software-Industrie wurden im Jahr 2001 durch das ‚Agile Manifest’ zwölf Leitsätze für die agile Software-Entwicklung vorgeschlagen, die die oben genannten Hürden adressieren.

Agile Integration als Navigationssystem

Zu den Integrations- und Digitalisierungsprojekte im IIoT wesentliche Grundprinzipien des agilen Manifests gehören:

  • Frühe und kontinuierliche Auslieferung von Projektständen!

  • Anforderungsänderungen werden zum Wettbewerbsvorteil genutzt!

  • Ein gleichmäßiges, dauerhaft aufrecht erhaltenes Tempo fördert die nachhaltige Entwicklung!

  • Ein gleichmäßiges, dauerhaft aufrecht erhaltenes Tempo fördert die nachhaltige Entwicklung!

Regelmäßiges Reflektieren

Das ‚Agile Integration Framework’ ist ein methodisches Vorgehensmodell, das sich wesentlicher Elemente der agilen Software-Entwicklung bedient. Dabei handelt es sich um ein zyklisch iteratives Vorgehensmodell, das die oben genannten Grundprinzipien erfüllt und damit als Navigationssystem durch beliebig komplexe Integrationsvorhaben verstanden werden kann.

Ausgangspunkt einer jeden Navigation ist die Positionsbestimmung: Wo stehe ich und wo möchte ich hin? In einer systematischen Betrachtung wird auf der obersten Leitungsebene der Wunschzustand herausgearbeitet. Hierbei helfen Gesprächsleitfäden mit präzise auf die jeweiligen Unternehmen, Branchen, Märkte abgestimmten Triggerfragen.

Anschließend wird mit allen relevanten Mitarbeitern dieser Wunschzustand mit dem Markt, also den Bedarfen der Kunden, Partner, Lieferanten, mittels Stakeholderanalyse abgestimmt und sowohl mit der Unternehmensstrategie als auch mit der aktuellen System- und Prozesslandschaft abgeglichen. Ein wichtiges Hilfsmittel hierfür ist der ‚Agile Integration Canvas’.

Frühzeitig spürbare Nutzeneffekte freisetzen

Ergebnis des Positionsworkshops ist eine Digitalisierungsroadmap in Form einer priorisierten agilen User Story Map. Auf dieser User Story Map wird der sogenannte Outcome des Projekts in kleinere Nutzeninkremente dergestalt zerlegt, dass jedes Inkrement einen funktionierenden Projektstand liefert, mit dem bereits produktiv gearbeitet werden kann. Damit werden einerseits frühzeitig spürbare Nutzeneffekte freigesetzt und andererseits können wichtige Erfahrungen gemacht werden, die wiederum in die Verfeinerung der Roadmap in einem der folgenden Zyklen einfließen.

Das sind die zentralen Elemente des Vorgehens zur Ausrichtung am Markt und der Strategie sowie um regelmäßig auch auf geänderte Rahmenbedingungen reagieren zu können.

Innerhalb der Methodik erfolgt dann unter Zuhilfenahme des Integrationsleitfadens eine intensive Auseinandersetzung mit den Daten(-modellen), Systemen und Prozessen sowie ausgehend davon die Verfeinerung der Roadmap. Erst jetzt erfolgt die eigentliche Umsetzung. Eine Retrospektive schließt den aktuellen Zyklus ab und leitet einen neuen Zyklus ein.

Dreh- und Angelpunkt: regelmäßige Positionsbestimmung

Zentrales Element des Vorgehens ist die Positionsbestimmung in Form eines Positionsworkshops, der seine volle Kraft erst bei regelmäßiger Durchführung entfaltet. Denn damit können regelmäßig neue Anforderungen eingebracht oder geänderte Rahmenbedingungen bewertet werden, ohne das Gesamtziel aus den Augen zu verlieren.

Weiterhin werden alle Beteiligten von Beginn an und regelmäßig einbezogen und somit auf ein gemeinsames Ziel eingeschworen. Damit entwickeln alle ein gemeinsames Verständnis von den relevanten strategischen Zielen und haben gemeinsam einen Plan für deren Erreichung erarbeitet.

Fallbeispiel Energiedatenmanagement

Zur Vermeidung von Lastspitzen, die eine Eingliederung in höhere Stromtarife zur Folge haben, soll eine Lösung zum Energiedatenmanagement eingeführt werden. In einer ersten Iteration wird entsprechende Sensorik nicht-invasiv an die Maschinen verbracht und die Daten an der Fertigungslinie noch in der Edge gesammelt, ausgewertet und visualisiert.

Damit haben die Maschinenführer zur Entscheidungsfindung stets den Überblick über die aktuellen Verbräuche und der verfügbaren Kapazität. In einer weiteren Iteration werden Daten aus den Steuerungen hinzugezogen und damit die Messgenauigkeit erhöht. Weitere Iterationen weiten die Lösung auch auf andere Standorte aus, aggregieren die Informationen zentral in einer Cloud und führen schließlich automatisierte Freigabemechanismen für die Anfahrprozesse ein.

Zur iterativen Umsetzung dieser Anwendung wurde die skalierbare Integrationsplattform Transconnect eingesetzt. Transconnect schlägt die Brücke zwischen Shopfloor und Topfloor und erlaubt die Abbildung und Automatisierung OT/IT-übergreifender Prozesse, vom Webshop bis zur SPS.

Dazu verbindet die Low-Code Integrationsplattform auf einfachste Weise alle Schnittstellen der OT-Systeme (SPS, SCADA, MES oder Intralogistik Systeme) mit denen der IT-Systeme für Verwaltungs-, Organisations- und Kundenprozesse (ERP, CRM oder PLM), führt deren Daten zusammen und versorgt alle Systeme bedarfsgerecht mit Informationen.

Das iterative Vorgehen hat sich in diesem Projekt bewährt. Schon zu einem frühen Zeitpunkt konnten die Mitarbeiter den ersten Projektstand produktiv nutzen und auch Änderungen wurden regelmäßig eingebracht. Durch regelmäßige Retrospektiven im Rahmen der wiederkehrenden Positionsbestimmung wurden nicht nur die Projektstände bewertet, sondern auch die Zusammenarbeit aller Beteiligten verbessert und damit zusätzlich effektiver.

Fazit

Bei Projekten, in denen SQL Projekt regelmäßig Positionsworkshops durchführt, kommt es zu messbar größeren Erfolgsaussichten als Projekte, in denen Kunden diese Zeit nicht investieren wollen. Wobei ein Vielfaches der investierten Zeit aufgrund der effektiveren Projektdurchführung wieder eingespielt wird.

Greifen Methodik und Technik so passgenau ineinander wie das Agile Integration Framework und Transconnect, wird in Integrations- und IIoT-Projekten beliebiger Komplexität schnell ein erfahrbarer Nutzen geliefert und diese mit nachhaltigem Erfolg umgesetzt.

Bildergalerie

  • Innerhalb der Methodik erfolgt dann unter Zuhilfenahme des Integrationsleitfadens eine intensive Auseinandersetzung mit den Daten(-modellen), Systemen und Prozessen sowie ausgehend davon die Verfeinerung der Roadmap.

    Innerhalb der Methodik erfolgt dann unter Zuhilfenahme des Integrationsleitfadens eine intensive Auseinandersetzung mit den Daten(-modellen), Systemen und Prozessen sowie ausgehend davon die Verfeinerung der Roadmap.

    Bild: SQL Projekt

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