Smart Traffic & Mobility Beschleunigungen im Griff

11.09.2013

Elektrische Antriebe in Fahrrädern und E-Bikes stellen neue Aufgaben und Herausforderungen an die Branche. Konnte man bisher auf bekannte Betriebslasten in der Mechanik zurück­greifen, werden nun weitere Erkenntnisse über Beschleunigungen an Elektrokomponenten benötigt.

Auf Fahrräder wirkende Beschleunigungen werden bislang wenig beachtet. Fahrradkomponenten sind meist robuste rein mechanische Systeme. Anders ist die Situation allerdings bei E-Bikes und Pedelecs, bei denen alle am Fahrzeug verbauten elektrischen und elektronischen Komponenten Fahrbahnstößen ausgesetzt sind. Während der übrige Fahrzeugbau - Pkw und Lkw, Luftfahrt, Schifffahrt - elektrische Komponenten schon seit langem intensiv testet, ist dies bei E-Bikes bislang regelrecht "vergessen" worden.

Mechanik mit elektronischem Zusatznutzen

Ging es um das Messen von Beschleunigungen am Fahrrad, beschäftigte man sich bislang meist mit der Verzögerung durch die Bremsen. Die bei durchschnittlichen Pkw auftretenden Bremswerte von etwa 10 m/s² erreichen heutige hydraulische Scheibenbremsen am Fahrrad ebenso. Es wurden auch höhere Verzögerungswerte im Prüfstandsversuch gemessen, die sich allerdings in der Praxis nicht umsetzen lassen - es käme dabei zur Reifenblockade bis hin zum Überschlag.

Beim Fahren mit einem Elektrofahrrad ist es aber diese merkliche Beschleunigung beim Anfahren oder während der Bergauffahrt, die den Radlern ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

In der Fahrpraxis sind Messungen von Beschleunigungen insbesondere für die mechanischen Federungselemente sowie für die elektronischen Komponenten von elektromotorisch unterstützten Fahrzeugen interessant. Einerseits zum Entwickeln solcher Fahrzeuge oder deren Komponenten, andererseits zum Prüfen der Komponenten und Fahrzeuge.

Betriebslasten und die dazugehörigen Beschleunigungen am (Elektro-)Fahrrad werden maßgeblich bestimmt durch die Fahrbahn, das Fahrgeschick und die Masse des Fahrers, die Art und Anbringung der Ladung sowie die Geschwindigkeit. Als echtes Leichtbau-Fahrzeug muss ein Fahrrad zudem deutlich mehr Lasten im Verhältnis zu anderen Fahrzeugarten ertragen bezogen auf Eigengewicht und Nutzlast.

Schwingungsursache Fahrbahnunebenheiten

Unebenheiten der Fahrbahnoberfläche verursachen Stöße und Schwingungen bei darüber fahrenden Fahrzeugen. Ungefederte Fahrräder mildern Fahrbahnstöße schon allein aufgrund der Elastizität von Reifen, Rädern, Lenker, Gabel und Rahmen. Einen deutlich besseren Komfort für den Fahrer bieten jedoch Federungen, die am Rahmen montierte Komponenten entkoppeln. Das gilt natürlich nicht für Bauteile an den ungefederten Massen (Laufräder), also für Nabenmotoren.

Die Unebenheiten der Fahrbahnoberfläche führen zu stochastischen Anregungen des Fahrrads, wobei verschiedene Fahrbahnen unterschiedliche fahrbahnbedingte Anregungsspektren aufweisen (siehe Tabelle S. 72). Die Wellenlängen-angabe lässt dabei Schlüsse auf die Fahrbahnbeschaffenheit zu. In jedem Fall sollten bei Fahrradkomponenten Eigenfrequenzen zwischen etwa 10 Hz und 35 Hz vermieden werden, da es sonst zu einer Resonanz kommen kann.

Beschleunigung an Pedelecs messen

Auf die Antriebskomponenten eines Pedelecs wirken dreier-lei Beschleunigungen. Um diese zu quantifizieren, wurden auf einer gemischten Strecke - Asphalt, Radwege, Pflasterstraße - triaxiale Messungen auf dem Batteriepack eines ungefederten S-Pedelecs durchgeführt. Die Messungen erfolgten bei den minimal und maximal empfohlenen Reifendrücken (2 und 5 bar). Die Strecke wurde mit gleicher Geschwindigkeit durchfahren.

Auf der Mischstrecke mit einer Länge von zwei Kilometer wurden bei einem Reifendruck von 2 bar maximale Beschleunigungen gemessen, die in x- und z-Richtung um 120 m/s² oder 12 g (g ist die Erdbeschleunigung, hier aufgerundet auf 10 m/s²) lagen und deren Effektivwerte in allen Messrichtungen um 7 m/s² betrugen. Bei einem Reifendruck von 5 bar hingegen lagen die maximalen Beschleunigungen in x- und z-Richtung um 300 m/s² (30 g) und damit deutlich höher; die Effektivwerte zeigten unterschiedliche Beschleunigungen auf: x = 13 m/s², y = 7 m/s², z = 12 m/s². Die höchsten Werte treten also sowohl in Fahrtrichtung (x) als auch vertikal (z) auf, was unter anderem durch Schwingungen der Vorderradgabel bei Fahrbahnstößen verursacht wird.

Bei Vergleichsfahrten auf einer 200-m-Pflasterstrecke mit 22 km/h traten maximale Beschleunigungen von über 400 m/s² (40 g) auf. Als Effektivwerte in vertikaler Richtung (z) wurden am Vorbau 18 m/s², am Vorderrad 30 m/s² und am Hinterrad 35 m/s² gemessen.

Etwa doppelte Werte werden auf der Strecke "Belgisch Block" (Arenberg, Etappe Paris - Roubaix) in vertikaler Richtung erreicht. Die maximalen Beschleunigungen liegen hier ebenso über 400 m/s², aber die Effektivwerte sind deutlich höher. So wurden vertikal gemessen: Vorbau 40 m/s², Vorderrad 59 m/s² und Hinterrad 76 m/s². Horizontal: Vorderrad -80 m/s² und Hinterrad 38 m/s². Bemerkenswert ist die Größenordnung der auftretenden Beschleunigung, der deutliche Einfluss des Reifendrucks und die an der Batterie auftretenden Beschleunigungen in Fahrtrichtung. Bei dem Gewicht des hier verwendeten Akkus von 3,75 kg wirken damit näherungsweise Kräfte über 1000 Newton (N) auf die Befestigung (F = m*a, hier 3,75 kg * 300 m/s² = 1125 N).

Die Schwingungen der Vorderradgabel sind insbesondere bei Frontmotoren zu berücksichtigen. So wurden zum Beispiel bei einer Messung der Beschleunigungen auf einer Kopfsteinpflasterstraße mit 22 km/h maximale Beschleunigungen bis zu 400 m/s² (40 g) am Vorderrad in horizontaler Richtung gemessen, bedingt durch eine Resonanz der Gabel. Entsprechend liegt hier auch der Effektivwert am Vorderrad mit 35 m/s² (im Bild rechts oben auf S. 73 rot) deutlich höher als am Hinterrad mit 10 m/s² (im Bild grün).

Horizontale Impulse spürt der Pedelec-Nutzer in der Regel nicht, im Gegensatz zu Impulsen in vertikaler oder Gabelrichtung. Jedoch sind es gerade die horizontalen Impulse, die Schäden verursachen. Die Situation verschlechtert sich deutlich mit einem angehängten Kinder-Fahrradanhänger. Der schlimmste Fall solcher horizontalen Belastungen für die Fahrradgabel entsteht durch zusätzliches Bremsen auf Kopfsteinpflaster.

Beim Pedelec unbedingt zu beachten

Hohe Beschleunigungen können an einem Pedelec auch dann auftreten, wenn es nicht gefahren wird. So erfährt ein aus dem Stand seitlich auf Betonboden umfallendes Elektrorad Beschleunigungen von rund 170 m/s² (17 g). Auf weicheren Untergründen sind es noch 120 m/s² (12 g). Besonders gefährdet sind die Befestigungen für die Batterie am Unterrohr des Rahmens und Verschlussklappen von Gepäckträger-Akkus.

Bei Elektrofahrrädern zusätzlich zu beachten sind beispielsweise auch an Radschützern auftretende Beschleunigungen, die beim herkömmlichen Fahrrad kaum Probleme bereiten. Radschützer am Vorderrad werden besonders bei Vorderrad-Nabenmotoren zusätzlich angeregt. Auf einer Schlechtwegstrecke wie einem Kopfsteinpflaster werden hier quer zur Fahrtrichtung Beschleunigungen über 700 m/s² (70 g) erreicht. Ungünstigerweise liegen die maximale Amplitude bei der Resonanzfrequenz der Gabel - bei 23 Hz. Die Schwingwege liegen bei zirka 14,5 mm, wodurch es besonders bei profilierten Reifen zu erhöhter Unfallgefahr kommen kann.

Zu den Beschleunigungen in Längs- und Hochachsenrichtung beeinflussen die Fahrdynamik aber auch Querbeschleunigungen zur Fahrtrichtung in ungünstigen Frequenzbereichen. Diese treten beispielsweise auf durch eine erhöhte, exponierte Schwerpunktlage, wenn etwa die Batterie im Gepäckträger ist, oder bei Motoranregungen. Bemerkbar machen sie sich in einer Flatterneigung bei niedrigen Geschwindigkeiten.

Dringender Handlungsbedarf

E-Bikes und Pedelecs sind besonders auf Schlechtweg-strecken wie Kopfsteinpflaster sehr hohen Beschleunigungen ausgesetzt. Wobei bei ungefederten Fahrrädern die Aufbaubeschleunigungen am Vorbau oder Rahmen nur geringfügig niedriger liegen als die Werte an den Radachsen. Vergleiche mit gefederten Fahrrädern zeigen, dass eine gut ausgelegte Federung von Vorder- und Hinterrad die Rahmenbeschleunigungen um das 2 bis 4fache reduzieren kann. Hiermit lässt sich also zumindest für einen Akku und einen Tretlagerantrieb die Schwingungsexposition deutlich vermindern.

Kabel, Befestigungen, Steckverbindungen sowie Elektronikkomponenten wie Platinen, Zellen, Magnete und so weiter müssen für solche ständig auftretenden Belastungen ausgelegt sein. Weiter sind Handhabung, Umwelteinflüsse und auftretende Temperaturen zu beachten.

Generell aber sind die elektrischen und elektronischen Komponenten eines E-Bikes oder Pedelecs sehr hohen mechanischen Belastungen ausgesetzt, die deutlich oberhalb der bei anderen Fahrzeugen auftretenden Werte liegen. Trotzdem sehen die derzeitigen sicherheitstechnischen Anforderungen an Pedelecs keine Vibrationsprüfungen vor - hier besteht also dringender Handlungsbedarf.

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