Panorama-Bahn elektrifiziert Berührungslose Ladetechnik für den Europa-Park Rust

Weg vom Diesel, hin zu regenerativen Energien: Die Panorama-Bahn im Europa-Park Rust wurde elektrifiziert.

Bild: iStock, youngID
30.11.2020

Wer schon einmal in einem Freizeitpark war, weiß, dass die Wege zu den Attraktionen sehr lang sein können. Der Europa-Park bietet seinen Besuchern verschiedene Transportmöglichkeiten an – zu Lande oder in der Luft. Der People-Mover „Panoramabahn“ wurde durch Energie- und Antriebskomponenten ins Zeitalter der Elektromobilität katapultiert und fährt seither CO2-frei.

Den Europa-Park im badischen Rust besuchen pro Saison rund 5,7 Millionen Menschen. Das entspricht im Durchschnitt rund 30.000 Besuchern pro Tag. Ein immenser Aufwand hinsichtlich Logistik und Instandhaltung läuft im Hintergrund. Im Idealfall bekommen die Besucher davon nichts mit. Sie sollen die etwa 100 Attraktionen unbeschwert genießen können. Für die störungsfreie Funktion der Fahrgeschäfte sorgt Steffen Kasten, Betriebsleiter Betriebstechnik, mit einem Team von rund 50 Mitarbeitern. Er erinnert sich noch gut an den 26. Mai 2018, als ein Brand die Attraktion „Die Piraten in Batavia“ vollständig zerstörte und auch auf die nebenliegende Wartungshalle der Panoramabahn übergriff. „Dadurch brannten zwei von insgesamt fünf Zügen vollständig aus“, berichtet Kasten. Ursache des Brandes war ein technischer Defekt. Es entstand Sachschaden in Millionenhöhe.

Eine Parkbahn zum Transport der Besucher auf dem weitläufigen Gelände, auch People Mover genannt, fuhr von Anfang an im Europa-Park. Das war dem Gründer und Inhaber Roland Mack eine Herzensangelegenheit. Daher sollte es für die zerstörten Züge der Panoramabahn möglichst schnell einen Ersatz geben. Betriebsleiter Kasten zog bei der Neuanschaffung der Züge eine nachhaltige Variante in Betracht. „Schon seit längerem hatten wir überlegt, von den klassischen Energieträgern Diesel und Benzin auf Strom umzustellen“, berichtet der Betriebsleiter. „Motoren, die mit fossilen Brennstoffen angetrieben werden, sind wartungsintensiv, problematisch bei der Ersatzteilbeschaffung, schlagen mit immer höheren Treibstoffkosten zu Buche und produzieren Abgase. Diese wiederum belästigen Lokführer und Fahrgäste. Um das zu ändern, hatte der Europa-Parkt schon im Jahr 2017 gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Masterarbeit vergeben: Der Student Martin Böhme sollte in seiner Arbeit die Möglichkeiten einer Umrüstung auf elektrische Antriebstechnik untersuchen. Betreut wurde er dabei von Prof. Dr.-Ing. Eric Sax, der selbst ein großer Fan des Europa-Parks ist. Aufgrund der guten Kundenbeziehung zum Europa-Park wurde auch SEW frühzeitig in dieses Vorhaben eingebunden und war bei der Konzeptentwicklung beratend tätig. Nach Abschluss der Masterarbeit wurden die Ergebnisse aus verschiedenen Gründen zunächst nicht weiterverfolgt und die Umrüstung für einen späteren Zeitpunkt geplant. Nach der Zerstörung der Züge durch den Brand war man durch diesen Weitblick bestens vorbereitet und der Zeitpunkt für eine Elektrifizierung war nie günstiger.

Nachhaltige Energieversorgung

Für das neue Konzept sollte eine nachhaltige Energieversorgung genutzt werden. Regenerative elektrische Energie wird bereits auf dem Parkgelände erzeugt und bietet sich zur Eigenversorgung an. Der Originalhersteller der Panoramabahn aus den USA bot neue Züge mit einem Konzept basierend auf zwei Elektromotoren in Kombination mit Lithium-Ionen-Batterien und Ladung über Schleifleitung an. Das war den Verantwortlichen des Europa-Parks nicht innovativ und nachhaltig genug, kennt man sich mit Batterien und deren Pflege gerade in den geschlossenen Wintermonaten zu genüge aus. Sie suchten weiter nach einer Lösung, die sie schließlich mit der Energie-, Automatisierungs- und Antriebstechnik von SEW-Eurodrive fanden.

Seit knapp drei Jahren hatten die Bruchsaler Automatisierungsspezialisten bereits Reparatur- und Wartungsarbeiten an Fahrgeschäften im Park durchgeführt. Das betrifft nicht nur SEW-Antriebe, sondern auch Fremdmotoren. Für die Umrüstung der Panoramabahn wurde gemeinsam mit dem Europa-Park ein Projektteam mit jeweils abgegrenzten Zuständigkeiten gebildet. SEW-Eurodrive war mit der Konzepterstellung in Bezug auf Antriebs- und Energiespeicherauswahl und zugehörige Ladetechnik sowie Sicherheits- und Kommunikationstechnik beauftragt. Des Weiteren stellten die Bruchsaler die wesentlichen Komponenten bereit, übernahm die Inbetriebnahme und die komplette Software. Der Europa-Park war für den Schaltschrankaufbau, die mechanische Installation aller Komponenten für die Infrastruktur und der Lok, sowie die Implementierung der dekorativen Elemente wie Dampf, Licht und Geräusche verantwortlich.

Dezentrale Ladetechnik und Speichersystem

Ein Kernstück ist die neue dezentrale Generation des Energieübertragungssystems Movitrans, die keinen Schaltschrank mehr benötigt. Die Folgen sind Platzeinsparungen und Kostenvorteile für Anlagenbauer und -betreiber. Bereits seit vielen Jahren setzen Kunden das Energieversorgungssystem Movitrans von SEW-Eurodrive erfolgreich ein. Es überträgt elektrische Energie von einer im Boden installierten Feldplatte oder einem Linienleiter induktiv und kontaktlos auf einen oder mehrere mobile Verbraucher. Neu ist die dezentrale Einspeisung TES, die es mit Nennleistungen von 8 kW oder 16 kW gibt, verbunden mit einer sehr hohen Energieeffizienz. Sie zeichnet sich durch eine hohe Leistungsdichte aus und ist für das schnelle Laden der Movi-DPS-Speicher in Verbindung mit der außenbereichstauglichen Feldplatte TFS30 konzipiert. Durch Parallelschaltung von mehreren 16-kW-Einspeisungen können bei Anlagen mit Linienleiterstruktur bis zu 32 kW oder auch 48 kW Einspeiseleistung realisiert werden.

Das Konzept für den Europa-Park umfasst das kontaktlose Aufladen der Züge in den vier Bahnhöfen des Parks. Diese wurden mit jeweils vier Feldplatten ausgestattet und ermöglichen so eine Ladung der Movi-DPS-Doppelschichtkondensatorspeicher des Zugs mit bis zu 40 kW. Die Züge halten für die Dauer des Aus- und Einstiegs der Fahrgäste etwa vier bis fünf Minuten pro Bahnhof. In dieser Zeit werden innerhalb von 60 Sekunden rund 700 kWs „getankt“. Die aufgenommene Energie versorgt alle elektrischen Verbraucher auf dem Zug. Das sind neben den Fahrantrieben, der Kompressor für die pneumatischen Bremsen, die künstliche Dampferzeugung, die Soundanlage für Lokgeräusche und, im Winter, die Illumination. „Die Energiemenge reicht problemlos bis zum Aufladen im nächsten Bahnhof“, erläutert Dominik Gläßer, Außendienstmitarbeiter bei SEW-Eurodrive und zuständig für die Durchführung dieses Projekts im Europa-Park. Die Doppelschichtkondensatoren haben eine maximale Speicherspannung von 800 V und somit eine nutzbare Speicherenergie von etwa 2.000 kWs, die mit über 1 Million Vollladezyklen, wartungsfrei zum Einsatz kommen. Diese Eigenschaften sprechen für den Speicher, welcher sich somit gegen den Einsatz von Batterien durchgesetzt hat: Er ist bestens geeignet für die im Europa-Park vorherrschenden klimatischen Bedingungen und optimal nutzbar in Kombination mit der zyklischen „Betankung“ durch Movitrans.

Für den passenden Antrieb sorgen vier Antriebseinheiten Movigear MGFTT4-DSM, die jedoch aus Optik- und Platzgründen in den Drehgestellen der Lok keine aufgesetzte dezentrale Elektronik besitzen, sondern über Schaltschrankdoppelachsen Movidrive modular geberlos geregelt werden. Durch seine kompakte Bauweise, bedingt durch den verbauten Synchronmotor, sind diese Antriebseinheiten maßgeschneidert für einen energieeffizienten Betrieb. Zusätzlich sind sie wartungsarm und durch ihre hohe Schutzart, in Kombination mit der Oberflächenbeschichtung HP 200 prädestiniert für den rauen Einsatz im Freien. Nur durch das Zusammenspiel zwischen den Antriebseinheiten und der Automatisierungsplattform Movi-C, lassen sich Movitrans und Energiespeicher in das Gesamtsystem einbinden. Somit ist die Energieeffizienz besser als beim Dieselmotor und auch die Bremsenergie kann in den Speicher genutzt werden.

Sicherheit hat Priorität

Die Züge queren den Park an diversen Bahnübergängen, die auch von Besuchern passiert werden können. Deren Sicherheit hat absolute Priorität. Bedingt durch die gewählten Antriebe beträgt die Höchstgeschwindigkeit der Züge 8 km/h. Als weitere Sicherheitselemente dienen ein Totmannschalter, der alle 25 Sekunden vom Lokführer per Fuß betätigt werden muss sowie ein Sitzkontaktschalter, der ein Losfahren ohne Fahrer verhindert. Sollte eine dieser Sicherheitsfunktionen auslösen oder der Lokführer den Notausschalter betätigen, wird ein Safe Torque Off (STO) eingeleitet und der Zug kommt innerhalb von fünf Metern zum Stehen.

Der TÜV Süd verlangte eine Risikoanalyse für den Einsatz von Movitrans in den Bahnhöfen und somit im öffentlichen Raum. Der TÜV Süd stellte hohe Anforderungen an eine sichere Abschaltung, sobald sich kein Zug zum Laden auf den Feldplatten befindet. Für die sichere zweikanalige Abschaltung des Systems kommt eine Sicherheitssteuerung UCS10B zum Einsatz, die die Movitrans Einspeiseeinheiten deaktiviert.

Umbau der Züge im laufenden Betrieb

Seit Beginn der Wintersaison im November 2019 ist die erste Panoramabahn mit SEW-Technik in Betrieb und erfüllt alle gestellten Erwartungen. Aus diesem Grund wurde im Februar 2020 mit der Elektrifizierung der zweiten Panoramabahn begonnen, welche im Mai 2020 fertiggestellt wurde. Ab November 2020 werde zwei weitere Züge auf einen grünen Betrieb umgebaut. Ein zusätzlicher Reservezug wird bis März 2021 einsatzbereit sein. Die Abteilung Betriebstechnik des Europa-Parks installierte die Mechanik, die Getriebe sowie die Schaltschränke in den Bahnhöfen. Getreu dem Motto „Geht nicht, gibt’s nicht!“ passten die Inbetriebnehmer von SEW-Eurodrive die Konfiguration der Produkte noch auf der Baustelle nach Wunsch des Kunden und des TÜVs an.

SEW-Technik für weitere Attraktionen

„Der Europapark hat insgesamt 65 Fahrgeschäfte – mit einer Verfügbarkeit von 99,7 Prozent“, berichtet Steffen Kasten nicht ohne Stolz. Er ergänzt „Das schafft man nur mit starken Partnern und großen Lagerbeständen.“ Für seinen modernisierten People Mover will sich der Europa-Park um den „Golden Ticket Award“ bewerben. Die Zufriedenheit des Kunden spiegelt sich auch in weiteren geplanten Projekten wider. So soll beispielsweise am Liftantrieb der Achterbahn „Silverstar“ ein Serviceeinsatz stattfinden. Auch für die „Monza-Piste“ ist Antriebstechnik von SEW-Eurodrive vorgesehen. Die Schwesterfirma Mack Rides stellt Fahrgeschäfte auch für andere Freizeitparks her. Auch sie hat bereits Interesse an der dezentralen SEW-Technologie geäußert.

Bildergalerie

  • Die Panoramabahn fährt als Bummelzug durch den Europa-Park. Sie ist ein sogenannter People Mover und eine von drei Transportmöglichkeiten durch den Park. Ein Klebeband in Pfeilform auf dem Boden wurde für Positioniertests genutzt.

    Die Panoramabahn fährt als Bummelzug durch den Europa-Park. Sie ist ein sogenannter People Mover und eine von drei Transportmöglichkeiten durch den Park. Ein Klebeband in Pfeilform auf dem Boden wurde für Positioniertests genutzt.

    Bild: SEW-Eurodrive

  • Stationäre Feldplatten Movitrans TFS laden die Loks induktiv. Hier im Bahnhof England.

    Stationäre Feldplatten Movitrans TFS laden die Loks induktiv. Hier im Bahnhof England.

    Bild: SEW-Eurodrive

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