Ungiftige, wiederverwendbare Farbstoffsolarzelle entwickeln Wie viel Potenzial steckt hinter Farbstoffsolarzellen?

Hibiskusblüten liefern den Farbstoff für die Solarzellen, Bleistiftabrieb dient als Katalysator und Titandioxid dient als Halbleiter.

Bild: Patrick Pollmeier / FH Bielefeld
21.04.2022

Bei der Produktion von PV-Anlagen werden Materialien eingesetzt, die nur schwer oder gar nicht recycelt werden können. Daher arbeiten an der Fachhochschule Bielefeld Forscher an einer komplett ungiftigen und wiederverwendbaren Solarzelle im Sinne einer Circular Economy.

In Zeiten, in denen wir die Auswirkungen des Klimawandels mehr denn je zu spüren bekommen, wird die Notwendigkeit für nachhaltige, erneuerbare Energien immer dringender. Wind- und Sonnenenergie sind dabei die Schlüsseltechnologien.

Doch auch bei der Produktion von Photovoltaik- und Windkraftanlagen wird viel Energie verbraucht und es werden Materialien eingesetzt, die nur schwer oder gar nicht recycelt werden können.

Ungiftige, wiederverwendbare Farbstoffsolarzelle

Um wirklich unschädlich Energie zu produzieren, sollten im besten Fall gar keine giftigen Stoffe verwendet und sämtliche Materialien und Werkstoffe rückstandslos wiederverwendet werden können – ganz im Sinne einer zirkulären Wertschöpfung. An der Fachhochschule (FH) Bielefeld wollen Forscherinnen und Forscher im Institut ITES daher eine zirkuläre Farbstoffsolarzelle entwickeln.

Zirkulär bedeutet mehr als nur recyclingfähig: Alle Bestandteile sollen als solche wiederverwendet werden können, ohne, wie zum Beispiel bei Glas, erst aufgeschmolzen werden zu müssen. Farbstoffsolarzellen sind zwar in ihrem Wirkungsgrad und der Stabilität den herkömmlichen siliziumbasierten Solarzellen weit unterlegen. An der FH Bielefeld sieht man in den Zellen dennoch ein großes Potenzial, den grünen Energiemix zu ergänzen.

So funktionieren Farbstoffsolarzellen

Farbstoffsolarzellen sind dem photoelektrischen Effekt nachempfunden: Sie wandeln Licht in elektrische Energie um. Der Farbstoff absorbiert Licht, dadurch „löst sich“ ein Elektron – ein Stromkreislauf entsteht. Die Zellen bestehen aus zwei leitfähigen Elektroden, von denen mindestens eine durchsichtig sein muss, um Licht in die Zelle eindringen zu lassen. Dazu wird meist Glas als Trägermaterial genutzt.

Die Frontelektrode, die dem Sonnenlicht ausgesetzt ist, wird mit einem Halbleiter, typischerweise Titandioxid, beschichtet. Darauf wiederum wird der Farbstoff abgelagert. „Wir nutzen in unserem Projekt pflanzliche Farbstoffe und Titandioxid als Halbleiter“, erklärt Fabian Schoden, der das Projekt als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FH Bielefeld verantwortet. Er schreibt seine Doktorarbeit über das Thema und ist Teil eines multidisziplinären Teams aus Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studierenden.

Schoden erläutert weiter: „Die Farbstoffmoleküle absorbieren das Licht und regen so Elektronen im Farbstoff an, die sozusagen in das Leitungsband des Halbleiters ‚wandern‘. Durch den Halbleiter und die Frontelektrode gelangen die Elektronen in einen äußeren Kreislauf, wo sie die Energie abgeben können.“ Den Wiedereintritt in die Solarzelle über die Gegenelektrode unterstützt eine Platin- oder Graphitschicht als Katalysator. Mit der Rückkehr des Elektrons in den Farbstoff wird der Kreislauf geschlossen. Der Farbstoff kann dann wieder erneut Licht absorbieren und in elektrische Energie umwandeln.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten denkbar

Farbstoffsolarzellen werden nach Ansicht des Wissenschaftlers aufgrund ihres geringeren Wirkungsgrads und ihrer kürzeren Lebensdauer nicht die herkömmlichen Photovoltaik-Systeme ersetzen. „Der große Vorteil ist aber, dass sie viel leichter herzustellen sind und somit die Chance aufkommt, beispielsweise in Entwicklungsländern solche Technologien herzustellen und lokal zu nutzen“, nennt Schoden eine Anwendungsmöglichkeit.

Zudem können Farbstoffsolarzellen auch in der Dämmerung oder in Innenräumen, unter dem Licht einer Lampe, Strom erzeugen. Sie könnten also in Alltagsgegenstände wie Smartphone oder Laptops integriert werden, um diese zu laden. Es sind auch transparente Farbstoffsolarzellen möglich, die in Fenstern von Gebäuden oder Fahrzeugen eingebaut werden könnten, um unsichtbar grünen Strom zu produzieren.

Circular Economy als Prinzip für die Entwicklung einer neuartigen Farbstoffsolarzelle

Im Projekt der FH Bielefeld haben sich die Forscher um Schoden eindeutige Ziele gesteckt: Sämtliche Materialien, die für die neue Farbstoffsolarzelle genutzt werden, müssen ungiftig und reichlich verfügbar sein. Denn bei „klassischen“ Farbstoffsolarzellen kommen häufig giftige Materialien zum Einsatz, beispielsweise giftige Farbstoffe, die den Wirkungsgrad erhöhen sollen. Aber: sie erschweren das Recycling.

„Zwar ist der Wirkungsgrad mit toxischen Materialien wie Ruthenium oder Kobalt höher. Wir möchten aber, dass alle Materialien in einen Kreislauf gehen und unbedenklich weiter genutzt oder recycelt werden können, und wir möchten keine seltenen Rohstoffe verwenden, sondern gut verfügbare. Wir wollen weg vom ‚Müll-Konzept‘ hin zur Circular Economy“, erklärt Projektleiter Schoden.

„Bei unseren Zellen verwenden wir deshalb ausschließlich ungiftige Komponenten wie pflanzenbasierte Farbstoffe, ganz konkret: Hibiskusblüten“, so Schoden. „Das verwendete Halbleitermaterial Titandioxid ist auch in handelsüblicher Zahnpasta als CI 77891 zu finden, es sorgt dafür, dass die Zahnpasta schön weiß ist. Man kann also theoretisch recht leicht zuhause selbst eine Zelle bauen. Man braucht: Zahnpasta, Früchtetee, einen Ofen und zwei leitfähige Glasplättchen – die kann man tatsächlich recht einfach im Internet kaufen.“

Die Farbstoffsolarzelle hält Schoden aus einem weiteren Grund für ein ideales Produkt: „Noch sind sie kein Massenprodukt, haben aber das Potenzial dazu“, so Schoden. „Wenn wir jetzt an einer wirklich sauberen, nachhaltigen Version arbeiten, kann das einen großen Beitrag für die Energieversorgung der Zukunft leisten“, ist sich der Wissenschaftler sicher.

Doch wie schafft man es, ein solches Produkt zu entwickeln?

„Wir denken bei der Entwicklung vom Ende her und nicht nur für eine vielleicht relativ kurze Nutzungsdauer“, so Schoden.

Gestartet ist er mit einer Literaturrecherche: „Ich habe herausgefunden, dass es zwar sehr viele wissenschaftliche Publikationen zu Farbstoffsolarzellen gibt, Stand März 2021 habe ich über 24.000 gefunden. Bei den meisten standen jedoch technische Aspekte im Vordergrund. Der Begriff Nachhaltigkeit wurde in nur 35 Veröffentlichungen erwähnt. Daher ist meine These, dass Nachhaltigkeit noch keine besonders große Rolle bei der Forschung zu spielen scheint.“

Im nächsten Schritt hat er sich einen Überblick verschafft, welche Ansätze es in der wissenschaftlichen Literatur zur Verwendung von recyceltem Material für Farbstoffsolarzellen gibt. So hätte beispielsweise Carbon aus Batterien einen recht hohen Wirkungsgrad, aber der Recyclingprozess könnte wiederum zu teuer sein. Bleistiftabrieb zu nutzen, ist verbreitet, der Wirkungsgrad aber gering. Auch ausgediente Handydisplays und Computerbildschirme wurden bereits untersucht.

„Hier sind wir zu der Annahme gekommen, dass noch weiterer Forschungsbedarf besteht, wie die recycelten Materialien miteinander agieren. Dabei darf man die Wirtschaftlichkeit nicht aus dem Blick verlieren. Denn wenn das Recycling eines Materials teurer ist als der Rohstoff, wird die Variante keine Zukunft haben“, fasst Professorin Dr. Hildegard Manz-Schumacher zusammen, die die Wirtschaftlichkeit des Projekts im Auge behält.

Ein Knackpunkt in der Forschung: Die Lebensdauer der Solarzellen zu verlängern

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, die Lebensdauer der Farbstoffsolarzellen zu verlängern. „Häufig endet die Funktion der Zelle mit dem Austrocknen des Elektrolyts. Um das zu verhindern, könnten die Zellen verkapselt werden oder man könnte Gel-Elektrolyte verwenden. Anstatt Erdöl-basierter Elektrolyte könnten welche auf der Basis von Biopolymeren verwendet werden. Andererseits führt die Verkapselung wieder zu einem weiteren Rohstoff, was das Recycling erschwert.“

Eine andere Möglichkeit wäre eine Zelle, bei der regelmäßig Flüssigkeit nachgefüllt werden könnte, durch Regen oder manuelles Gießen.

Schoden arbeitet an einer Möglichkeit, dieser Schwachstelle der Farbstoffsolarzellen zu begegnen. „Das ist aber noch nicht reif für eine Veröffentlichung“, so der Wissenschaftler.

Von den Glas-Recyclern lernen

Seine Recherchen führten Schoden zur Firma Reiling in Marienfeld bei Gütersloh, wo das Recycling von PV-Modulen schon lange professionell durchgeführt und stetig an Optimierungen geforscht wird. Schoden: „Die wissen, was schiefläuft und warum das Recycling dieser Module so schwer ist. Daraus wollen wir lernen.“

Wirtschaftsingenieur Malte Fislake, Produktmanager bei Reiling: „Bei herkömmlichen Photovoltaik-Modulen auf Siliziumbasis ist der Materialverbund das Hauptproblem. Der Alu-Rahmen kann gut getrennt und recycelt werden. Das Glas ist aber mit Folie und Silizium verklebt. Das Ganze ist äußerst schwer zu trennen und es gibt zurzeit noch keinen Prozess im industriellen Maßstab, der hochwertigstes Glas daraus zurückgewinnen kann.“

Derzeit wird das Endprodukt überwiegend für alternative Glasanwendungen im Bau- und Dämmstoffsektor, wie beispielsweise für Mineralwolle, eingesetzt, „obwohl das Glas für die PV-Anwendung sehr hochwertig ist. Es enthält wenig Eisenoxid und lässt viel Licht durch, was gut ist, wenn man Licht in Strom umwandeln möchte“, stellt Fislake fest.

Ansätze, um die Recyclingfähigkeit der konventionellen PV-Module zu verbessern, wären andere Konstruktionsweisen oder andere Materialien zu verwenden, die sich leichter auftrennen und separieren lassen.

Aus den Erfahrungen von Reiling will Schoden lernen und Farbstoffsolarzellen bauen, die besser und leichter zu recyceln sind. „Im Labormaßstab hat das schon funktioniert!“, so Schoden, der für diesen Schritt mit dem Institut für Glas- und Rohstofftechnologie in Göttingen kooperiert. Dort wurden die Glasbestandteile zunächst durch optische Emissionsspektrometrie analysiert, und die Oberfläche wurde mit rasterelektronenmikroskopischer Röntgenstrahlung untersucht.

„Danach haben wir das Glas in einem Ofen geschmolzen und mit einem Standard-Glasrecyclingprozess verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Farbstoffsolarzellen für das Glasrecycling geeignet sind und somit potenziell ohne Downcycling-Prozess gemäß einer Circular Economy wiederverwendet werden können“, resümiert Schoden. Materialeigenschaften wie Chemikalienbeständigkeit, Transparenz oder Viskosität wurden jedoch nicht untersucht und bedürfen weiterer Forschung.

Das Ziel: Remanufacturing statt Recycling

Nachdem Schoden die Recyclingfähigkeit der Farbstoffsolarzellen unter die Lupe genommen hat, arbeitet er zurzeit am Remanufacturing, also der Wiederverwendung der Materialien: „Remanufacturing ist noch besser als Recycling, da ich das Glas als solches wiederverwende und es nicht erst aufschmelzen muss, um neues Glas daraus herzustellen. Ich nutze quasi ohne komplexe Arbeitsschritte und weiteren Energieeinsatz die alten Farbstoffsolarzellen und mache daraus neue.“ Auch dazu laufen Experimente.

Circular Design

Der nächste Schritt ist das Circular Design einer Farbstoffsolarzelle. Die Circular Economy ist ein Thema, das am Institut für Technische Energie-System (ITES) immer mehr an Bedeutung gewinnt. Prof. Dr. Eva Schwenzfeier-Hellkamp ist die Institutsleiterin und treibt das Thema in der Forschung an, zudem begleitet Sie Schoden auf dem Weg zur Promotion.

Gemeinsam versuchen sie im finalen Schritt einen Prototyp einer Farbstoffsolarzelle zu entwickeln, der wirklich zirkulär ist. Dabei fließen die Erkenntnisse aus allen vorangegangenen Experimenten zusammen.

Bildergalerie

  • Arbeiten im Team an den neuen Farbstoffsolarzellen (v.l.): Prof. Dr. Hildegard Manz-Schumacher, Fabian Schoden, Katharina Schnatmann, Prof. Dr. Eva Schwenzfeier-Hellkamp, allesamt vom Institut für Technische Energie-Systeme (ITES) der FH Bielefeld

    Arbeiten im Team an den neuen Farbstoffsolarzellen (v.l.): Prof. Dr. Hildegard Manz-Schumacher, Fabian Schoden, Katharina Schnatmann, Prof. Dr. Eva Schwenzfeier-Hellkamp, allesamt vom Institut für Technische Energie-Systeme (ITES) der FH Bielefeld

    Bild: Patrick Pollmeier / FH Bielefeld

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