Simulationsmethode für Hochleistungscomputercluster Nichtlineare Effekte in der Praxis nachweisen

Die Erweiterung der theoretischen Grundlagen trifft auf neue experimentelle Werkzeuge wie etwa an der Helmholtz International Beamline for Extreme Fields. Zusammen können nun Effekte untersucht werden, die bisher außer Reichweite waren.

Bild: HZDR / Science Communication Lab
01.07.2022

Die meisten grundlegenden mathematischen Gleichungen, die elektronische Strukturen beschreiben, sind seit langem bekannt. Allerdings sind sie zu komplex, um sie in der Praxis zu lösen. Jetzt ist es Physikern am HZDR gelungen eine bestimmten Simulationsmethode, die Dichtefunktionaltheorie, so zu verbessern, das sich komplett neue Möglichkeiten für Experimente mit Ultrahochintensitätslasern eröffnen.

In der neuen Publikation nehmen sich Nachwuchsgruppenleiter Dr. Tobias Dornheim, Hauptautor Dr. Zhandos Moldabekov (beide CASUS, HZDR) und Dr. Jan Vorberger (Institut für Strahlenphysik, HZDR) einer der grundlegendsten Herausforderungen unserer Zeit an: präzise zu beschreiben, wie Milliarden von Quantenteilchen wie etwa Elektronen miteinander wechselwirken.

Diese so genannten Quanten-Vielteilchensysteme stehen im Mittelpunkt vieler Forschungsfelder der Physik, Chemie, Materialwissenschaften und verwandter Disziplinen. In der Tat werden die meisten Materialeigenschaften durch das komplexe quantenmechanische Verhalten von wechselwirkenden Elektronen bestimmt. Die mathematischen Grundgleichungen zur Beschreibung elektronischer Strukturen sind zwar im Prinzip seit langem bekannt, aber zu komplex, um sie tatsächlich lösen zu können. Daher ist das konkrete Verständnis von zum Beispiel raffiniert aufgebauten Materialien sehr begrenzt geblieben.

Diese unbefriedigende Situation hat sich mit dem Aufkommen moderner Hochleistungscomputercluster gewandelt, wodurch sich das neue Anwendungsgebiet der computergestützten Quanten-Vielteilchentheorie eröffnet hat. Ein besonders leistungsfähiges Werkzeug ist in diesem Zusammenhang die Dichtefunktionaltheorie (DFT), die nie dagewesene Einblicke in die Eigenschaften von Materialien ermöglicht hat.

Die DFT gilt heute als eine der wichtigsten Simulationsmethoden in Physik, Chemie und den Materialwissenschaften. Sie eignet sich insbesondere für die Beschreibung von Vielelektronensystemen. Tatsächlich ist die Anzahl der auf DFT-Berechnungen beruhenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen in den vergangenen zehn Jahren exponentiell gestiegen. Auch Unternehmen haben diese Methode erfolgreich eingesetzt, um Materialeigenschaften mit einer nie zuvor erreichten Genauigkeit zu berechnen.

Eine extreme Vereinfachung wird überwunden

Viele der mit DFT berechneten Eigenschaften werden im Rahmen der linearen Antworttheorie ermittelt. Dieses Konzept wird auch in vielen Experimenten verwendet, bei denen die (lineare) Reaktion des betrachteten Systems auf eine äußere Störung, zum Beispiel einen Laser, gemessen wird.

Auf diese Weise lässt sich das System beurteilen und wesentliche Parameter wie Dichte oder Temperatur können ermittelt werden. Die lineare Antworttheorie macht Experiment und Theorie oft überhaupt erst möglich und ist in der Physik und verwandten Disziplinen nahezu allgegenwärtig. Dennoch basiert sie auf einer extremen Vereinfachung der Prozesse und stellt somit eine erhebliche Einschränkung dar.

Indem sie die DFT-Methode über den vereinfachten linearen Bereich hinaus erweitern, setzen die Wissenschaftler mit ihrer jüngsten Publikation neue Maßstäbe. So können erstmals nichtlineare Effekte wie Dichtewellen, Bremsvermögen und Strukturfaktoren berechnet und mit experimentellen Ergebnissen an echten Materialien verglichen werden.

Bislang konnten diese nichtlinearen Effekte nur durch eine Reihe aufwendiger Berechnungsmethoden, nämlich Quanten-Monte-Carlo-Simulationen, reproduziert werden. Diese Methoden liefern exakte Ergebnisse. Da sie aber eine hohe Rechenleistung erfordern, werden sie durch systembedingte Parameter eingeschränkt. Daher bestand ein dringender Bedarf an schnelleren Simulationsmethoden.

„Der DFT-Ansatz, den wir in unserer Arbeit vorstellen, ist 1.000 bis 10.000 Mal schneller als die Quanten-Monte-Carlo-Berechnung“, sagt Zhandos Moldabekov. „Außerdem konnten wir für alle Temperaturbereiche von Umgebungstemperatur bis hin zu extremen Bedingungen nachweisen, dass dieser Geschwindigkeitsgewinn nicht zu Lasten der Genauigkeit geht. Die DFT-basierte Methodik des nichtlinearen Reaktionsverhaltens quantenkorrelierter Elektronen eröffnet die verlockende Möglichkeit, neue nichtlineare Phänomene in komplexen Materialien zu untersuchen.“

Mehr Möglichkeiten für moderne Freie-Elektronen-Laser

„Wir sehen, dass unsere neue Methodik sehr gut zu den Möglichkeiten moderner Experimentieranlagen wie der Helmholtz International Beamline for Extreme Fields passt, die erst kürzlich in Betrieb genommen wurde und vom HZDR mitbetrieben wird“, erklärt Jan Vorberger.

„Mit Hochleistungslasern und Freie-Elektronen-Lasern können wir genau diese nichtlinearen Anregungen erzeugen, die wir jetzt theoretisch untersuchen können, und sie mit einer noch nie dagewesenen zeitlichen und räumlichen Auflösung erforschen. Theoretische und experimentelle Werkzeuge stehen bereit, um neue Effekte in der Materie unter extremen Bedingungen zu untersuchen, die bisher nicht zugänglich waren.“

„Diese Arbeit ist ein gutes Beispiel für die Ausrichtung meiner kürzlich gegründeten Gruppe“, sagt Tobias Dornheim, Leiter der Anfang 2022 eingerichteten Nachwuchsgruppe „Frontiers of Computational Quantum Many-Body Theory (Grenzen der rechnergestützten Quanten-Vielteilchentheorie)“.

„In den vergangenen Jahren waren wir vor allem in der Community der Hochenergiedichte-Physik aktiv. Jetzt wollen wir die Grenzen der Wissenschaft erweitern, indem wir rechnerische Lösungen für Quanten-Vielteilchen-Probleme in vielen verschiedenen Kontexten anbieten. Wir glauben, dass die vorgelegte Neuerung für die Theorie der elektronischen Struktur für Fachleute zahlreicher Wissenschaftsfelder von Nutzen sein wird.“

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