Kunststoffteilchen im Meer Unterschätzte Quelle für Mikroplastik in der Nordsee entdeckt

In Wasserproben der Deutschen Bucht fanden Forscher überraschend wenig Verpackungskunststoffe, dafür deutlich mehr Indikatoren für Polyvinylchlorid, Acrylate oder Polycarbonate.

Bild: Universität Oldenburg; American Chemical Society
23.02.2021

Umweltchemiker der Universität Oldenburg haben Wasserproben der Nordsee auf Mikroplastik untersucht. Das überraschende Ergebnis: Statt wie vermutet von Verpackungen stammen die meisten Kunststoffteilchen aus einer anderen Quelle.

Eine aktuelle Oldenburger Studie liefert neue Einblicke in die Mikroplastik-Verteilung der Nordsee. Aus ihr geht hervor, dass Schiffsanstriche als Quelle für Mikroplastik bislang unterschätzt worden sind. Denn: Mikropartikel in der südlichen Nordsee stammen überwiegend aus Farben und Lacken, wie Forscher anhand von Wasserproben in der Nähe wichtiger Schifffahrtsstraßen der Deutschen Bucht feststellten.

„Wir nehmen an, dass Schiffe im Wasser eine Art ‚Bremsspur‘ hinterlassen, die als Quelle von Mikroplastik eine ähnlich große Bedeutung hat wie der Reifenabrieb von Autos an Land“, sagt Dr. Barbara Scholz-Böttcher. Sie hat die Studie zusammen mit einem Team aus Umweltchemikern vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg durchgeführt.

Entnahme und Charakterisierung von Mikroplastik

Das Oldenburger Team entnahm im Herbst 2016 und 2017 mit dem Forschungsschiff „Heincke“ Wasserproben an verschiedenen Stellen der Deutschen Bucht. Mit Edelstahlsieben filterten Scholz-Böttcher und ihre Kollegen Christopher Dibke und Marten Fischer Plastikteilchen mit einem Durchmesser von weniger als 1 mm aus dem Meerwasser heraus.

Anschließend ermittelten sie die chemische Zusammensetzung der gesammelten Teilchen. Mithilfe eines speziellen Analyseverfahrens zerlegten sie hierzu die Kunststoffmoleküle zunächst bei Temperaturen von fast 600 °C in kleinere, charakteristische Bruchstücke, die sie anhand ihrer Masse und chemischen Eigenschaften trennten und verschiedenen Stoffgruppen zuordneten. So konnten die Forscher außerdem die Masse der jeweiligen Fraktionen bestimmen.

„Bisherige Studien haben für die Nordsee lediglich Partikelzahlen ermittelt, wir haben zum ersten Mal auch die Massenverteilung bestimmt und damit ein umfassenderes Bild vom Aufkommen verschiedener Kunststoffsorten erhalten“, erklärt Scholz-Böttcher.

Verpackungskunststoffe nur in kleinen Mengen vorhanden

Das Ergebnis überraschte das Team: In den Proben tauchten vor allem Indikatoren für Polyvinylchlorid (PVC), sogenannte Acrylate und Polycarbonate auf. Ihre Masse nahm in allen Proben zusammen einen Anteil von etwa zwei Dritteln ein, in ausgewählten Proben hatten sie sogar einen Massenanteil von 80 Prozent.

Verpackungskunststoffe wie Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET), die bislang als wichtigster Bestandteil des Mikroplastiks im Meer galten, machten dagegen einen wesentlich kleineren Anteil aus. „Eine solche Verteilung hatten wir nicht erwartet“, sagt Scholz-Böttcher.

Als die Forscher die Ergebnisse genauer aufschlüsselten, stellten sie fest, dass PE, PP und PET vor allem in der Nähe der Küste auftraten. Die anderen Kunststoffarten überwogen hingegen auf der offenen Nordsee und in der Elbemündung – insbesondere in der Nähe großer Schifffahrtsrouten.

„Wir nehmen an, dass diese Partikel aus Schiffsanstrichen stammen, wo derartige Kunststoffe zum Beispiel in Acrylfarben oder Epoxidharzen als Bindemittel verwendet werden“, berichtet die Umweltchemikerin. Das Ergebnis lege nahe, dass deutlich mehr Mikroplastik direkt auf See entsteht als bislang vermutet.

Schiffsanstriche potenziell umweltschädlich

Wie das Oldenburger Team berichtet, gelangen Untersuchungen zufolge allein in der Europäischen Union jedes Jahr mehrere tausend Tonnen Farbe in die Meeresumwelt. Denn die Antifouling-Komponenten, die unerwünschten Bewuchs am Schiffsrumpf verhindern sollen, werden durch Wind und Wellen stetig abgeschmirgelt. Sie enthalten oftmals Schwermetalle und weitere Zusatzstoffe, die für viele Lebewesen giftig sind.

Das Team der Universität Oldenburg führt derzeit weitere Untersuchungen etwa in Flussmündungen und in Sedimenten durch. Damit wollen die Wissenschaftler den Weg des Mikroplastiks in der Umwelt weiter aufklären.

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