DLR vergibt zwei Aufträge Quantencomputer: Raus aus dem Labor, rein in die Praxis

Ein fluoreszierender organischer molekularer Kristall befindet sich im Kryostat (Kühlgerät für sehr tiefe Temperaturen) eines optischen Mikroskops. Bei Quantencomputern auf Basis von Festkörperspins sind die Rechen- und Speichereinheiten in die Kristallstruktur von Festkörpern eingebettet.

Bild: NVision Imaging Technologies
08.01.2024

Ein Quantencomputer zum Anfassen und Ausprobieren – für künftige Nutzer, für Studierende, für Unternehmen: Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat die Entwicklung eines speziellen Mini-Quantencomputers für Schulungen in Auftrag gegeben. Das Start-up Advanced Quantum aus Allmersbach (Baden-Württemberg) entwickelt ein mobiles Zwei-Qubit-System und ein passendes didaktisches Konzept. Einen weiteren Auftrag hat das DLR an das Unternehmen NVision Imaging Technologies aus Ulm (Baden-Württemberg) vergeben. NVision liefert einen prototypischen Quantencomputer mit mindestens 50 Qubits. Sowohl Advanced Quantum als auch NVision setzen auf Festkörper-Spins als technische Grundlage.

In Quantencomputern mit Festkörper-Spins sind die Rechen- und Speichereinheiten in die Kristallstruktur von Festkörpern eingebettet. NVision nutzt zur Realisierung dieser „Spin-Qubits“ spezielle Designer-Moleküle auf Basis von kristallinem Kohlenwasserstoff.

Advanced Quantum nutzt Siliziumcarbid-Kristalle. „Wir freuen uns auf zwei neue Projektteams in unserem Innovationszentrum in Ulm. Damit wächst nicht nur das Technologie-Portfolio der DLR Quantencomputing-Initiative, sondern auch die Vielfalt unseres Ökosystems – lokal vor Ort und in Deutschland insgesamt“, sagt Dr. Karla Loida, Leiterin Hardware-Projekte in der DLR Quantencomputing-Initiative (DLR QCI). „Mit dem Schulungssystem fördern wir außerdem den Technologietransfer. Der Zwei-Qubit-Demonstrator wird in Schulen, auf Messen und bei Industrieunternehmen zeigen, wie Quantencomputing funktioniert, und zwar mit echten Qubits und Quantengattern statt Simulationen.“

Kristalline Strukturen in Festkörpern schützen Spin-Qubits

Es gibt viele Ansätze, wie man Qubits für Quantencomputer technisch umsetzt. In der DLR QCI werden dazu unter anderem Systeme auf Basis von Photonen, Neutralatomen und gefangenen Ionen entwickelt. Diese Ansätze sind technologisch sehr unterschiedlich und haben jeweils Eigenschaften, die sie für bestimmte Anwendungen mehr oder weniger attraktiv machen.

Die Besonderheit von Spin-Qubits in Festkörper-Strukturen ist ihre hervorragende Miniaturisierbarkeit und Robustheit gegenüber äußeren Störungen. Das heißt, dass mit dieser Technologie immer kleinere und dichtere Qubit-Strukturen hergestellt werden können, eine Voraussetzung für Quantencomputer mit großen Qubit-Zahlen und damit hoher Rechenleistung.

Dass Festkörper-Spin-Qubits so robust sind, liegt an ihrer besonderen, physikalischen Struktur: Die kristalline Struktur des Festkörpers schützt die in ihnen eingebetteten freien Elektronen, deren Eigendrehimpuls (Spin) als Qubit genutzt wird. Die beiden vom DLR beauftragten Unternehmen fügen gezielt Störungen im Kristallgitter eines Festkörpers ein: Einzelne Atome oder Moleküle, durch die sich freie Elektronen an bestimmten Stellen konzentrieren.

Ein Spin kann durch Laser und Mikrowellenpulse präzise verändert und – solange sie nah genug beieinander liegen – mit den Spins der umgebenden Elektronen und Atome verbunden werden. Auf diese Weise entstehen Anordnungen von mehreren miteinander wechselwirkenden Qubits – die Grundlage für das Quantencomputing.

Rechnen mit Elektronen, die in Kristallen gefangen sind

Advanced Quantum nutzt für seine Spin-Qubits Kristalle aus Siliziumcarbid. Der „Mini-Quantencomputer“ mit zwei Qubits wird ungefähr so groß sein wie ein Umzugskarton. Er wiegt weniger als 30 kg, kann bei Raumtemperatur und auf einem Tisch betrieben werden und benötigt nur eine gewöhnliche Steckdose zur Stromversorgung.

Dieser Demonstrator soll anschaulich darstellen, wie ein Quantencomputer überhaupt funktioniert. Er eignet sich für Personen ohne Vorwissen, die Quantencomputer später im Arbeitsalltag einsetzen möchten – aber ebenso für Forschende aus der Quantenphysik und Interessierte aus der Industrie. Advanced Quantum unterstützt das mit einem didaktischen Kurskonzept für unterschiedliche Zielgruppen, mit Schwerpunkten von der Theorie über Experimente bis zu einer persönlichen Bewertung. Das flexible Konzept für Messen, Vorlesungen oder Schulungen wird laufend weiterentwickelt.

NVision entwickelt im Rahmen der DLR Quantencomputing-Initiative einen Quantencomputer mit mindestens 50 Qubits. Diese befinden sich direkt in kristallinen Kohlenwasserstoff-Verbindungen. Der Quantencomputer-Prototyp soll skalierbar und fehlerkorrigierbar sein. Das heißt, dass die Qubit-Zahl erhöht werden kann und Fehler durch den Quantencomputer selbst berichtigt werden können.

Die Fehleranfälligkeit gilt als eines der größten Hindernisse beim Quantencomputing. Mit einem gut funktionierenden 50-Qubit-Quantencomputer könnten schon unterschiedliche Fehlerkorrektur-Algorithmen getestet werden. Außerdem ist die Lösung erster quantenchemischer Fragestellungen möglich. Perspektivisch soll NVision auch zeigen, wie sich die Technologie auf mehr als 1.000 Qubits erweitern ließe.

Die beiden Aufträge haben ein Gesamtvolumen von 14 Millionen Euro.

DLR QCI setzt auf Vielfalt

„Die DLR QCI verfolgt unterschiedliche technologische Ansätze für Qubits, um die jeweiligen Vor- und Nachteile zu erforschen. Noch ist nicht klar, welche Architekturen für Quantencomputer sich letztlich durchsetzen werden – oder ob unterschiedliche Technologien für unterschiedliche Anwendungen notwendig sind. Deswegen setzt die DLR Quantencomputing-Initiative auf Vielfalt und entwickelt neben der Hardware auch Algorithmen und Software für Quantencomputer. Damit werden Ergebnisse von Bau und Nutzung der Quantencomputer in einer Initiative miteinander verzahnt“, sagt Dr. Robert Axmann, Leiter der DLR QCI.

In den zwei Innovationszentren in Hamburg und Ulm entstehen Quantencomputer, die dazu notwendigen Technologien, Software und Anwendungen. Gleichzeitig unterstützt die DLR QCI den Transfer in Märkte und gestaltet die Grundlage für ein weltweit konkurrenzfähiges Quantencomputing-Ökosystem in Deutschland.

Für die Entwicklung ihrer Quantencomputing-Projekte nutzen Advanced Quantum und NVision Labore und Büros im Innovationszentrum Ulm der DLR QCI. In direkter Nachbarschaft zu den DLR-Instituten stellen Start-ups und Unternehmen hier im Rahmen der DLR Quantencomputing-Initiative Quantencomputer auf Basis von Neutralatomen und Stickstoff-Fehlstellen in Diamant (NV-Zentren), photonische Quantencomputer, hybride Systeme mit Analogrechnern und andere Spin-Qubits her.

Bei den NV-Zentren handelt es sich ebenfalls um Festkörper-Spins, in diesem Fall in Diamant-Kristallen. Durch die neuen Aufträge ergeben sich wertvolle Synergien. So werden in drei weiteren DLR QCI-Projekten notwendige Basistechnologien, sogenannte Enabling-Technologien für Spin-Qubits entwickelt: Advanced Quantum ist beispielsweise mit dem Projekt SQuAp zur Vermessung von Spin-Qubits in die DLR QCI eingebunden.

Außerdem werden Advanced Quantum und NVision jeweils die Anwendungsprojekte der DLR QCI mit ihrer Hardware und Entwicklungsarbeit unterstützen.

Bildergalerie

  • Der „Mini-Quantencomputer“ mit zwei Qubits soll darstellen, wie ein Quantencomputer überhaupt funktioniert. Das System für Schulungen wiegt weniger als 30 kg, kann bei Raumtemperatur und auf einem Tisch betrieben werden und benötigt nur eine gewöhnliche Steckdose zur Stromversorgung.

    Der „Mini-Quantencomputer“ mit zwei Qubits soll darstellen, wie ein Quantencomputer überhaupt funktioniert. Das System für Schulungen wiegt weniger als 30 kg, kann bei Raumtemperatur und auf einem Tisch betrieben werden und benötigt nur eine gewöhnliche Steckdose zur Stromversorgung.

    Bild: Advanced Quantum

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